Frankreichs Parteiensystem ist traditionell weniger stabil als das deutsche oder das österreichische. Dass neue Parteien entstehen, sie an Bedeutung gewinnen oder verlieren, oder gar von der Bildfläche verschwinden, war auch schon im 20. Jahrhundert nichts Ungewöhnliches. Verändert hat sich aber seit der Weltwirtschaftskrise 2008 das Tempo, mit dem dieser Prozess vonstattengeht. Von den sieben Parteien, die es bei der Europawahl 2004 über fünf Prozent schafften, würden nur noch zwei Parteien in ihrer ursprünglichen Form ins Europaparlament einziehen. Die übrigen Gruppierungen haben entweder den Namen gewechselt, sich aufgelöst oder würden einen Wähleranteil von vier Prozent oder weniger halten (Subsample der Ifop-Umfrage aus dem Dezember 2017).
Besonders junge Wähler wenden sich neuen und meist radikaleren Parteien zu. Besonders attraktiv finden sie jene Gruppierungen, die bisher noch nicht die Macht in den Händen gehalten haben. Die Parteien, die als Teil der Eliten wahrgenommen werden, sind dagegen unbeliebt. Keine Ausnahme bildet hier Präsident Emmanuel Macrons „En Marche“. Sie würde unter den 18- bis 24-Jährigen vierzehn Prozent erhalten. In der Gesamtbevölkerung würden 26 Prozent der Franzosen Macrons liberaler Bewegung ihre Stimme geben. Ebenso hart trifft es die Sozialisten (5 statt 8 Prozent) und die der CDU ähnlichen Partei „Die Republikaner“ (5 statt 12 Prozent). „Kontinuität unerwünscht“, lautet der Slogan der Jungen.
Beliebt sind vor allem Parteien, die radikalen Wandel versprechen. Marine Le Pens rechtsgerichteter Front National würde zwar bei den 18- bis 24-Jährigen mit 14 Prozent leicht unterdurchschnittlich abschneiden, bei den 25- bis 34-Jährigen aber wäre Le Pen mit 25 Prozent stärkste Kraft. Erfolgreicher unter Jungwählern ist nur Jean-Luc Mélenchon. Mit 27 Prozent würden doppelt so viele junge Menschen für den Linkspolitiker stimmen als im Bevölkerungsdurchschnitt. Mélenchon verspricht raschen sozialen Wandel. Mehr Sozialstaat und weniger Neoliberalismus sind seine zentralen Forderungen. Viele Franzosen nehmen ihn als den Gegenspieler zu Präsident Macron wahr - vor allem in der Sozialpolitik. Besonders stark unter Erstwählern ist auch der Frexit-Referendum-Befürworter Nicolas Dupont-Aignan. 11 Prozent der Jungwähler, aber nur sechs Prozent der Gesamtbevölkerung würden die Partei des Rechtspopulisten wählen. Ähnlich verhält es sich mit dem Wähleranteil der Grünen (EELV). Andere Parteien sind unter Jungwählern bedeutungslos. Die Jugend in Frankreich, sie will den radikalen Wandel: Sozialismus, Patriotismus oder Frexit.
Infogram
Europaweit gibt es keine bedeutsamen Veränderungen in der Wählergunst. Die Sozialdemokraten (Parteien der S&D-Fraktion) legen einen halben Punkt auf 22,5 Prozent zu und bauen damit ihren Vorsprung zu den Liberalkonservativen (Parteien der EPP-Fraktion) auf 1,5 Punkte aus. Die Liberalen (Parteien der ALDE-Fraktion) behaupten sich mit 12,5 Prozent auf Platz drei. Unverändert ist auch der Wert der Konservativen (ECR-Fraktion), die zehn Prozent erreichen. Die Linksparteien (der GUE/NGL-Fraktion) erreichen mit 8,5 Prozent (+0,5 im Vergleich zum Vormonat); den besten Wert seit Mai 2016. Einen historischen Bestwert erhalten die euroskeptischen Populisten der EFDD-Fraktion. Ihr Wähleranteil steigt auf 7,5 Prozent (+0,5). Dafür verlieren die Rechtspopulisten um Marine Le Pen (Parteien der ENF-Fraktion) einen Punkt und erreichen nur noch 5,5 Prozent. Es ist der schlechteste Wert seit dem Beginn der Flüchtlingskrise von 2015. Damals konnten die Rechten europaweit rassistische Ressentiments in Wählerstimmen ummünzen. Die Grünen (der G/EFA-Fraktion) legen einen halben Punkt auf 4,5 Prozent zu.
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