Funktioniert Klimaschutz per Gesetz? EU-Klimagesetz kurz erklärt

, von  Sira Horstkötter

Funktioniert Klimaschutz per Gesetz? EU-Klimagesetz kurz erklärt
Luisa Neubauer übte scharfe Kritik an den Vorschlägen aus Brüssel. Foto: Flickr / Stefan Müller (climate stuff) / CC BY 2.0

Brüssel in Aufruhr: Im Europäischen Parlament, im Europäischen Rat und im Rat der EU wurde im Oktober über ein Klimagesetz gerungen. Bietet sich nun eine echte Chance für besseren Klimaschutz? Ein FAQ.

Höhere Emissionsreduktionsziele von 60 Prozent für 2030 und eine gesetzliche Verankerung der Klimaneutralität der EU bis 2050, ein C02-Budget, ein einklagbares Recht auf Klimaschutz, ein europäischer Klimaschutzrat und das Ende klimaschädlicher Subventionen: Diese Ziele wurden in der zweiten Oktoberwoche als Gesetzesentwurf vom Europäischen Parlament angenommen. Ein deutlich ambitionierterer Plan als das Vorhaben der Kommission, die im Gesetzesentwurf vom März 2020 nur eine Erhöhung von mindestens 50 Prozent im Vergleich zu 1990 forderte. Kritischer stehen diesem Ziel die Staats- und Regierungschef*innen und die Umweltminister*innen der Staaten gegenüber - und auch in der Zivilgesellschaft sind die Reaktionen gemischt.

Wie steht es um die EU-Klimapolitik?

Die Klimakrise ist im vollen Gange. Junge Menschen ziehen durch die Straßen und fordern Politiker*innen auf, den mahnenden Worten von Klimawissenschaftler*innen Taten folgen zu lassen. Das Pariser Abkommen verpflichtet die Vertragsstaaten, zu denen auch die EU-Mitgliedstaaten zählen, die Erderwärmung deutlich unter 2 und bestenfalls bei 1,5 Grad zu halten. Auch die EU muss sich dieser Herausforderung stellen, hatte sie sich doch stets in einer Vorreiterrolle in der internationalen Klimapolitik gesehen. Auch gehört sie zu den Weltregionen, in denen historisch betrachtet am meisten Treibhausgase ausgestoßen wurden.

Prognosen zeigen, wie ernst die Lage ist: In einem Sonderbericht von 2018 stellte der Weltklimarat IPCC fest, dass eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nötig sei, um dramatische Folgen für Natur und Mensch zu verhindern. Sollte eine solche Begrenzung nicht möglich sein, sind Dürren, Wasserknappheit und immense Fluchtbewegungen nur einige der Folgen, die Wissenschaftler*innen prognostizieren. Die Einhaltung sei bisher noch machbar, es benötige aber drastischer Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen, warnen sie.

Was ist dieses Klimagesetz?

Seit der Ankündigung des European Green Deals im Dezember 2019 arbeitet die Kommission an der Ausarbeitung eines EU-Klimagesetzes, das der EU den Weg zur Einhaltung des Pariser Abkommens ebnen soll. Als Beitrag zur Einhaltung der Pariser Ziele war bislang eine Reduktion der Treibhausgase um 40 Prozent bis 2030 vorgesehen. Diese Reduktionsziele sollen nun erhöht werden - mit dem Ergebnis, dass in der EU bis 2050 keine Treibhausgase, die nicht von der Natur auf natürliche Weise abgebaut werden können, mehr ausgestoßen werden sollen. Das Gesetz wäre dabei ein großer Schritt, da die Ziele damit verbindlich werden und von den Mitgliedstaaten der EU umgesetzt werden müssen. So müssen die Staaten auch ihre nationale Klimapolitik verschärfen.

Was genau wird jetzt verhandelt?

Kontrovers diskutiert wird die Verschärfung der Treibhausgasreduktionsziele. In ihrer Rede zur Lage der Union sprach sich von der Leyen für eine Verschärfung um 55 Prozent aus. Ein deutlicher Schritt hin zu schärferen Zielen – auch nachdem die Europäische Kommission in ihrem ersten Entwurf im März noch von einer Verminderung um mindestens 50 Prozent gesprochen hatte. Debattiert wurde aber auch im Europäischen Parlament: Der Umweltausschuss rang um eine Positionierung zum Gesetzesentwurf der Kommission. Ende Mai schlug die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments Jytte Guteland (S&D) eine Verschärfung der Ziele um 65 Prozent vor, erhielt dafür aber kräftigen Gegenwind. In den folgenden Wochen gingen über 1000 Änderungsentwürfe im Umweltausschuss ein. Nach zähen Verhandlungen hat sich letzterer Anfang September auf eine gemeinsame Positionierung zum Gesetzesentwurf der EU-Kommission einigen können - und zwar auf eine Anhebung der Reduktionsziele auf 60 Prozent. Hinzu kommen weitere Instrumente wie ein C02-Budget, ein einklagbares Recht auf Klimaschutz, ein europäischer Klimaschutzrat und das Ende der klimaschädlichen Subventionen.

Warum hagelt es Kritik?

Kritik wurde von verschiedenen Seiten geübt. Auf Twitter kommentierte die deutsche Klimaaktivistin Luisa Neubauer das Reduktionsziel von 55 Prozent als „eine Absage, an alle die es ernst meinen. An all die, die eine Zukunft auf einem sicheren Planeten nicht aufgeben wollen.“

Kritik übten Aktivist*innen vor allem an einer neuen Rechenmethode, die von der Leyen vorstellte: Mit dem Ansatz zukünftig auch sogenannte „negative Emissionen“, also Emissionen, die zum Beispiel durch Aufforstung wieder aus der Atmosphäre entfernt werden können, miteinzuberechnen. Damit betreibe die Kommission nach Ansicht der Aktivist*innen „Schönrechnerei.“

Ambitioniertere Pläne verfolgten auch die Fraktionen der Sozialdemokrat*innen (S&D), der Grünen (Greens/EFA) und der Linken (GUE/NGL) im Europäischen Parlament, die eine Erhöhung der Reduktionsziele auf 65 bzw. 70 Prozent forderten. Von vielen Stimmen aus der Wissenschaft und NGOs wurde der Vorstoß der Kommission zwar als Schritt in die richtige Richtung begrüßt, doch auch sie schlossen sich mehrheitlich der Forderung nach einem 65 Prozent-Ziel an. Sie argumentieren, dass eine Reduktion der Treibhausgase um 65 Prozent nötig sei, um das Pariser Abkommen einzuhalten. Die Europäischen Konservativen bezeichneten eine Verschärfung um mehr als 55 Prozent hingegen als unrealistisch, da dies eine zu hohe Belastung für die Industrieländer bedeute.

Bringt das Gesetz den nötigen Klimaschutz?

Eine Frage steht derweil nicht zur Debatte: Kann das Gesetz allein besseren Klimaschutz bieten? Eher nicht. Die beschlossenen Ziele dienen vielmehr als rechtsverbindlicher Rahmen für die EU-Mitgliedstaaten, die das Gesetz umsetzen und ihre innerstaatliche Klimapolitik anpassen müssen. Kritisch zeigten sich im Vorfeld einige osteuropäische Staaten, insbesondere Polen. Der von der Kohleenergie besonders abhängige Staat hatte sich bereits vor der Ankündigung des European Green Deals kritisch gegenüber dem Ziel der Klimaneutralität bis 2050 geäußert.

Auf der anderen Seite bietet das Gesetz die Möglichkeit, die bislang ausbremsenden Staaten zu mehr nationalem Klimaschutz zu bewegen. Das Verschärfen der Reduktionsziele um 60 Prozent ist nach Ansicht vieler zwar nicht ausreichend, um das Pariser Ziel einzuhalten, dennoch aber ein Schritt in die richtige Richtung. Eins steht dabei außer Frage: Zweifelslos liegt durch die zusätzlichen Instrumente der bisher ambitionierteste Klimaschutzgesetzesentwurf der Welt vor.

Kommt die Einigung bis Jahresende?

Die Zeit drängt, denn auf das EU-Klimagesetz sollen sich die Mitgliedstaaten bereits bis Ende des Jahres einigen. Auch der Rat der EU muss als Teil des Gesetzgebungsprozesses noch über den Entwurf entscheiden. Bei ihrem Treffen am 23. Oktober verständigten sich die Umweltminister*innen auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2050. Eine Einigung auf ein festes Reduktionsziel blieb jedoch aus. Zudem haben sich auch die Staats- und Regierungschef*innen dem Thema angenommen: Auf ihrem Gipfeltreffen äußerten sich gerade die osteuropäischen Staats- und Regierungschef*innen kritisch gegenüber der Zielerhöhung. Für die stark von Kohle abhängigen Staaten stellt sich insbesondere die Frage nach einer gerechten Lastenverteilung. Für sein Land sei eine Reduktion um 55 Prozent nicht machbar, ließ etwa der tschechische Regierungschef Barbis verlauten. Einer durchschnittlichen Erhöhung um 55 Prozent innerhalb der EU stand er allerdings nicht entgegen. Elf andere Staats- und Regierungschef*innen unterzeichneten jedoch eine gemeinsame Positionierung, in der sie mehr Tempo beim Klimaschutz fordern.

Zeitlicher Druck geht aber nicht nur von der Klimakrise, sondern auch von der internationalen Politik aus: Die internationale Klimakonferenz COP 26, auf der die EU eigentlich ihre Klimaschutzstrategien vorlegen sollte, wurde zwar vorerst verschoben. Doch Chinas Ankündigung, bis 2060 klimaneutral zu werden, dürfte den Verhandlungsdruck weiter erhöhen. Ob und in welcher Form noch in diesem Jahr eine Einigung gefunden wird, bleibt somit offen.

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