Ganz großes Kino

, von  Franziska Pudelko

Ganz großes Kino
In Europa hat sich eine ebenso vielfältige wie lebendige Kinolandschaft entwickelt. Foto: cinema © Ahmed Hashim / Flickr / CC BY-ND 2.0

Heute Nacht ist es wieder soweit. Fans und Filmemacher fiebern der 87. Oscarverleihung gleichermaßen entgegen. Hollywood glänzt und alle Welt blickt auf die USA und deren Entertainmentindustrie. Dabei steckt die Branche in einer Sinnkrise. Das europäische Kino muss sich deshalb aber keine Sorgen um seine Zukunft machen. Denn eines macht die Filme in Europa einzigartig.

„Das europäische Kino muss sich keine Sorgen um seine Zukunft machen“, sagte der Präsident der Europäischen Filmakademie und Regisseur Wim Wenders 2011 dem Deutschlandradio Kultur. Und er hat damit nicht unrecht. Dem europäischen Film wird seit einigen Jahren wieder verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt. Das hat mehrere Gründe.

In Europa hat sich eine ebenso vielfältige wie lebendige Kinolandschaft entwickelt. Das besondere: die europäische Vielfalt, die spezielle Sicht und der ganz eigene Stil. Unterschiedliche Strömungen und Tendenzen aus fast 50 filmproduzierenden Nationen machen die europäische Kinolandschaft spannend. Hier entwickelten sich filmische Traditionen wie die französische Nouvelle Vague, der italienische Neorealismo, das britische Free Cinema, der Neue Deutsche Film oder die spanische Movida. Der Anspruch war überall der gleiche: die überkommenen Formen des herrschenden Genrekinos sollten zerbrochen werden und ein unverstellter, von vorgefertigten Formen befreiter, individueller Blick auf die Wirklichkeit gegeben werden - ganz großes Kino eben.

Gewürdigt werden die nationalen Filme und europäischen Koproduktionen jährlich mit dem europäischen Filmpreis. 1988 wurde der Filmpreis zum ersten Mal in verschiedenen Kategorien verliehen. Die Gründerväter des Preises, u. a. Wim Wenders und Ingmar Bergman, wollten damals ein Gegengewicht zum Oscar schaffen, einen europäischen Oscar sozusagen. Die Verleihung wird in rund 50 Ländern übertragen. So kommen „europäische Filme auch in Länder, wo sie vorher nicht hingekommen wären“, sagt Wenders im Deutschlandradio Kultur.

Die Idee von Europa ist im Kino sehr großzügig. Es ist ein Kino, das sich über Länder und Regionen erstreckt, das auch nicht-europäische Nationen daran teilnehmen lässt. Klassen, Kulturen und Nationen werden versöhnt – im Film. Gleichwohl sind die Filme oft tief verwurzelt in der Geschichte der Länder und Regionen. Es geht meist um ernste Themen, um die Lebenswirklichkeit, während die Amerikaner Weltmeister der Fantasie sind. Damit stellt die „kleine“ Filmkunst europäischer Filme eine gute Alternative zu den technikverliebten Blockbustern mit exorbitanten Budgets dar. Auch das erklärt die zahlreichen Remakes europäischer Filme durch amerikanische Filmemacher.

Hollywoods Filmbranche steckt in einer Sinnkrise. Auch die goldenen Zeiten des europäischen Films mit Bergman, Truffaut, Fassbinder usw. sind vorbei. Doch immerhin scheint der Erfolg nationaler Produktionen anzuhalten. Vor lauter Unabhängigkeitsstreben hätten sich die Filme von den Zuschauern abgekoppelt und die Nachbarn entfremdet, sagt der Regisseur Volker Schlöndorff dem Cicero. Vereinzelt werden nationale Kinofilme auch außerhalb der jeweiligen Landesgrenzen zu großen Erfolgen, wie die französischen Komödien „Die fabelhafte Welt der Amélie„und „Ziemlich beste Freunde“, oder das deutsche DDR-Drama „Das Leben der Anderen" zeigen. Sie tragen dazu bei, dass wir unsere Nachbarn besser kennenlernen. Und gerade die Solidarität in Europas Filmbranche spielt weiterhin eine große Rolle. Nur so können die vielen kleinen Nationalkinos erhalten bleiben.

Das europäische Kino schafft damit laut Wenders eine Utopie, ein Europa der Kulturen, der Menschen und der Regionen, statt ein Europa der Märkte. Statt sich also vorzunehmen die Filme mit den meisten Oscars anzuschauen, könnten wir doch ab und zu ins Kino gehen, um uns das Europa der Träume anzusehen.

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