Der European Green Deal - ein historischer Wendepunkt?

Green is the new black

, von  Olav Soldal, übersetzt von Sarah Diehl

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Green is the new black
Frans Timmermans ist der sogenannte Klimakommissar der Europäischen Kommission und damit für den Green Deal zuständig. Herzstück des Plans ist der klimafreundliche Umbau der Wirtschaft in Europa. Foto: Flickr / PES Communications / CC BY-NC-SA 2.0

Im Jahr 1953 fanden die westeuropäischen Mächte zusammen, um Kohle und Stahl zu einer gemeinschaftlich genutzten Ressource für die europäische Wirtschaft des 20. Jahrhunderts zu machen. 2020 könnte das Jahr sein, in dem die europäischen Länder wieder zusammenkommen, um mit einer Verlagerung weg von Kohle hin zu erneuerbaren Energien und einer umweltfreundlicheren Stahlproduktion eine nachhaltige Wirtschaft für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Gedankengänge zum Green Deal.

Ich habe kürzlich mit dem norwegischen Konsortium für den Abfallbehandlungssektor, Waste Norway, an einer Studienreise nach Brüssel teilgenommen. Die Organisation, die im europäischen Dachverband Waste Europe vertreten ist, sieht sich stark von den Entwicklungen innerhalb der EU betroffen, auch wenn Norwegen formal kein Mitglied der Union ist. Sie und praktisch alle anderen Branchengruppen in Norwegen sind sehr besorgt darüber, welche neuen Richtlinien von der von der Leyen-Kommission beschlossen werden. Die Reise brachte mich dazu, über den European Green Deal als Ganzes nachzudenken.

Der Green Deal ist eine große Sache

Der Green Deal hat bisher die Agenda der neuen Kommission dominiert, und der Maßnahmenplan am 11. Dezember 2019 mit großem Trara vorgestellt. Der Deal ist in zehn verschiedene Politikbereiche unterteilt. Die Spannbreite reicht von der Ökologisierung der Gemeinsamen Agrarpolitik, der (großflächigen) Einführung von Elektrofahrzeugen über die Förderung erneuerbarer Energien und die Steigerung der biologischen Vielfalt in Europa bis hin zur Erreichung einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2050. Im Mittelpunkt des Pakets stehen dabei der sogenannte „Just Transition Fund“, der sicherstellen soll, dass die ärmeren und verletzlicheren Volkswirtschaften in der EU mithalten können sowie das „Do No Harm“-Prinzip.

Die letztgenannten Maßnahmen sind als Anstoß für europäische Unternehmen zu sehen, bei denen eine gründlichere Umweltberichterstattung und eine erweiterte Herstellerverantwortung notwendig ist.

Zu den wegweisendsten Vorschlägen gehört die Schaffung eines „Klimagesetzes, das die Klimabestrebungen der EU im EU-Recht verankert, sowie eines „Klimapakts“, der alle Bürger*innen in den Prozess des Übergangs zu einer emissionsfreien Wirtschaft einbezieht. Das Maßnahmenpaket sieht außerdem vor, die Europäische Investitionsbank zu einer „Klimabank“ zu machen und verspricht 25% der EU-Mittel für Klimaschutzmaßnahmen bereitzustellen. Zu diesen Mitteln zählen die Subventionen für Landwirtschaft und Fischerei, bei denen bis zu 40% bzw. 30% an entsprechende Klimaschutzmaßnahmen gebunden sind.

Ursula von der Leyen erklärte kürzlich, dass ein erweitertes Paket für eine Kreislaufwirtschaft, das auf dem 2015 verabschiedeten Paket aufbaut, ihre oberste Priorität sei. Einige Verantwortliche behaupteten, dass sich bis zu 50% des Deals auf die Kreislaufwirtschaftsinitiativen beziehen. Der neue Aktionsplan soll diesen Monat veröffentlicht werden und die Punkte behandeln, die das bestehende Paket noch nicht enthält, wobei der Schwerpunkt auf nachhaltigem Produktdesign liegt.

Ein großer (Entwicklungs-)Sprung für die europäischen Klimaambitionen

Als Ursula von der Leyen das Paket bei den jüngsten UN-Klimaverhandlungen präsentierte, bezeichnete sie den European Green Deal als die Mondlandung der Europäischen Union. Er ist Bestandteil des Trends von „missionsorientierter“ Politik, mit der das Problem des Klimawandels gelöst werden soll. Und das Maßnahmenpaket wird in den kommenden Jahren nicht nur in den 27 Mitgliedstaaten der EU, sondern in der gesamten Region und bei allen, die den Handel mit der EU anstreben Schockwellen auslösen. Warum also erregt dieser neue Deal so viel Aufmerksamkeit?

Einfach ausgedrückt, weil es ein Meilenstein für die Geschäftswelt und für die europäischen Regierungen insgesamt wäre, wenn der Deal vollständig umgesetzt würde. Frei nach dem Motto „Green is the new black“, und jeder, der im Geschäft bleiben möchte, muss sich an die (neuen) Spielregeln anpassen. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, wies vor kurzem darauf hin, dass die europäischen Gesellschaften auf den bevorstehenden radikalen Wandel nicht vorbereitet seien.

Meine Reise mit Waste Norway nach Brüssel hat gezeigt, wie die Struktur des europäischen Binnenmarkts und die Reihe gemeinsamer europäischer Standards dazu beitragen könnten, Unternehmen in eine umweltfreundlichere Richtung zu lenken.

Umweltschutz durch Harmonisierung der europäischen Umweltstandards

Die meisten modernen Unternehmen sind auf eine fein abgestimmte, hochintegrierte Lieferkette angewiesen. Oft umfasst diese Lieferkette mehrere Schritte an denen verschiedene Akteur*innen in mehreren Ländern beteiligt sind, von der Rohstoffgewinnung bis zur Beschaffung und Montage, bevor das Produkt schließlich die Verbraucher*in erreicht.

Um gegenüber den Produkten von Konkurrenzunternehmen aus China oder den USA wettbewerbsfähig zu bleiben und die Preise niedrig zu halten, setzen europäische Unternehmen auf eine hocheffiziente Lieferkette und billige Energie. Dies bedeutet, dass kleine Verzögerungen an den Grenzen zur Überprüfung, ob Waren den Standards entsprechen, dazu führen würden, dass europäische Waren zu spät geliefert werden. Wenn hingegen sichergestellt wird, dass alle Unternehmen in Europa dieselben Standards einhalten, können alle Waren ohne Unterbrechung durch Grenzkontrollen grenzüberschreitend gehandelt werden.

Dasselbe gilt auch für Treibhausgasemissionen. Der Hauptteil der Emissionen wird bei der Herstellung und Endmontage in Fabriken freigesetzt. Fast alle europäischen Industrien und ihre Fabriken sind Teil des Emissionshandelssystems. Dies bedeutet, dass wir unabhängig davon, wo in Europa ein Produkt verwendet wird, wissen, dass die Emissionen für seine Herstellung auf dem Kohlenstoffmarkt bezahlt wurden. Dies bietet einen Anreiz für die europäischen Hersteller*innen, ihre Emissionen zu reduzieren, solange die Zahlung der Emissionsquoten teurer ist als die Kosten zur Reduzierung ihres CO2-Fußabdrucks.

Allerdings erschwert dies die Lage, wenn es um Konkurrenz durch Drittländer geht. Wenn externe Fabriken die von ihnen freigesetzten Emissionen nicht auf die gleiche Weise wie europäische Hersteller*innen bezahlt haben, sind ihre Produkte möglicherweise billiger als die europäischen Versionen. Aus diesem Grund hat die Europäische Kommission die Einführung eines steuerlichen Grenzausgleichsmechanismus für CO2 befürwortet, bei dem die Kosten für Kohlenstoffzahlungen, die die europäische Industrie tragen muss, dem Preis ausländischer Produkte, die nach Europa gelangen, hinzugefügt werden.

In der Praxis bedeutet dies, dass die EU es schmutzigen und emissionsintensiven Produkten erschwert, zu europäischen Kund*innen zu gelangen. Kritiker*innen des Vorschlags behaupten, dies sei europäischer Protektionismus in grüner Verkleidung. Befürworter*innen weisen jedoch darauf hin, dass dies lediglich die Schaffung von Kohlenstoffmärkten in weiteren Ländern fördern könnte, die mit Europa Handel treiben möchten.

Grüne Standards haben eine entscheidende Funktion bei der Umstellung der Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft. Eine Kohlenstoffsteuer auf die Neuherstellung von Produkten fördert die Wiederverwendung bereits verwendeter Materialien und Ressourcen und bietet gleichzeitig einen Anreiz zur Verwendung nachhaltiger Materialien und Komponenten, die leicht zerlegt und in einem ähnlichen Produkt oder in einer neuen Kombination wieder verwendet werden können. Dies bedeutet auch, dass verbrauchte Materialien von einem Bereich in einen anderen transportiert werden können, wo sie bewertet, recycelt und in neue Produkte eingebracht werden. Dies geschieht heute beispielsweise bereits bei Materialien wie Kunststoffen. Die meisten nordischen Länder exportieren ihre Kunststoffe nach Deutschland, da sich dort die modernsten Recyclinganlagen befinden.

Zeit, einen Schritt weiter zu gehen!

Vor etwas mehr als einem Jahr besuchte eine Gruppe junger Leute der JEF - der Mutterorganisation dieses Online-Magazins – wichtige Kreislaufwirtschaftsunternehmen in den Niederlanden. Im Anschluss daran hat JEF Europe im vergangenen Jahr einen Beschluss verabschiedet, der einen raschen Übergang zu einer europäischen Kreislaufwirtschaft fordert. Er forderte die Europäische Union auf, koordinierte Recyclingpläne aufzustellen und gleichzeitig den Materialhandel zwischen den Mitgliedstaaten für ein optimales Recycling zu vereinfachen. Zweitens werden europaweite Verbote für gefährliche und giftige Materialien vorgeschlagen, die nicht recycelt werden können, wie z. B. Einwegkunststoffe. Es wird auch angeregt, die Schaffung gemeinsamer Standards für umweltfreundliche Produkte durch bestehende Initiativen wie dem EU-Umweltzeichen und den Ökodesign-Codes voranzutreiben. Dadurch werden Unternehmen dazu ermutigt, Produkte zu entwickeln, die auf Langlebigkeit ausgelegt sind.

Durch den ehrgeizigen Fahrplan des European Green Deal ist die EU bereits auf einem guten Weg, diese Forderungen umzusetzen. Wenn diese Maßnahmen zusammen durchgeführt werden, könnten sie die radikale Veränderung bewirken, die notwendig ist, um innerhalb der planetaren Grenzen zu bleiben. Diese Veränderungen würden bedeuten, dass europäische Industrien und Unternehmen nachhaltig sein müssten, um ihre Produkte verkaufen zu können. Noch wichtiger: eine solche Veränderung könnte einen Wendepunkt für Europa bedeuten, und das europäische Projekt auf einen grünen Weg bringen. Der European Green Deal könnte den europäischen Kontinent, der nach der Katastrophe von zwei Weltkriegen zueinanderfand, um Kohle und Stahl gemeinsam zu nutzen, wieder zusammenbringen, um eine zukünftige Klimakatastrophe abzuwenden.

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