Die USA nach den Midterms

Halb gewonnen ist trotzdem verloren

, von  Grischa Alexander Beißner

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Halb gewonnen ist trotzdem verloren
Die Midterms bestimmen über die Zusammensetzung des neuen amerikanischen Kongress, der sich Senat und Repräsentantenhaus besteht. (Foto: Victoria Pickering -> ->https://www.flickr.com/photos/vpickering/ | Flickr | Lizenz: CC-BY-NC-ND 2.0 )

Die Midterms in den USA sind entschieden. Zur Wahl standen ein Drittel aller Senator*innen und das US-Repräsentantenhaus, in 36 Staaten zudem die Gouverneur*innen. Die Demokrat*innen konnten das Repräsentantenhaus zurückerobern und feierten viele positive Einzelergebnisse. Dennoch ist das nicht mehr als ein Achtungserfolg, denn im Senat sitzen mehr Republikaner*innen als zuvor. Das deutliche Signal gegen Trump, der mit seinen Lügen weiter die Menschen und die Welt zu spalten versucht, blieb aus.

Eigentlich könnte man wenigstens zur Hälfte jubeln. Die Demokrat*innen sind endlich aus der politischen Bedeutungslosigkeit zurück und können über das Repräsentantenhaus in Zukunft starken Einfluss auf die amerikanische Politik ausüben. Zudem sind nun viele neue Gesichter im Kongress zu sehen. Mindestens 99 Frauen werden in Zukunft im Repräsentantenhaus sitzen - mehr als je zuvor. Unter ihnen mit Deb Haaland und Sharice Davids auch die ersten beiden Frauen, die von amerikanischen Ureinwohner*innen abstammen. Sharice Davis lebt zudem offen homosexuell, wie einige andere Gewinner*innen der Wahl, inklusive des ersten offen schwul lebenden Gouverneurs Jared Polis. Zudem wurden nicht nur die ersten beiden muslimischen Frauen, Ilhan Omar und Rahida Tlaib, ins Repräsentantenhaus gewählt, sondern mit der nur 29 Jahre alten, bekennenden Sozialistin Alexandria Ocasio-Cortez auch das jüngste Mitglied des Repräsentantenhauses. Die gute Nachricht ist also auch, dass die Midterms ein deutlicher Sieg für Frauen, Minderheiten und die LGBT-Community in den USA waren.

Nicht geschafft hat es dafür leider Stacy Abrams, die als erste schwarze Frau Gouverneurin von Georgia werden wollte. Sie unterlag knapp dem republikanischen Amtsinhaber Brian Kemp. Ebenfalls nicht verdrängt werden konnte der rechtsextremistische Republikaner Steve King in Iowa. Mit 63% gewann in Nevada ein - inzwischen verstorbener - Zuhälter und Reality-TV Star.

Welche Mittel haben die Demokrat*innen nun gegen Trump?

Erst mal keine. Erst am 3. Januar beziehen die Gewählten ihre Posten. Bis dahin kann Trump weitermachen, wie er will. Schon jetzt, nur wenige Tage nach der Wahl zeigt sich, dass er wütend um sich beißt. Er wird die Zeit bis Januar nutzen, um noch so viel wie möglich durchzubringen. Vermutlich stehen auch weitere Personalwechsel in seinem Kabinett an.

Danach haben die Demokrat*innen viele Möglichkeiten, Trump auszubremsen. Sie können dann:

  • Gesetze blockieren. Der Bau der Mauer zu Mexiko ist damit vorerst Geschichte. Auch beim Thema Staatshaushalt und der Verschärfung von Einwanderungsregelungen führt kein Weg mehr an den Demokrat*innen vorbei. Auch „Obamacare“, die Gesundheitsreform der USA durch Trumps Vorgänger, wird Trump nun nicht mehr abschaffen können.
  • Ermittlungen starten und öffentliche Anhörungen einleiten, wie beispielsweise die Widerbelebung der vorzeitig beendeten Untersuchungen des Kongresses zur Russlandaffäre.
  • die Herausgabe interner Unterlagen erzwingen und selbst die Steuererklärung Trumps einfordern, die er als einziger Präsident seit Jahrzehnten nicht herausgeben wollte.

Unwahrscheinlich bleibt jedoch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump. Dazu ist nicht nur die Mehrheit im Kongress, sondern auch eine Zweidrittelmehrheit im Senat notwendig. Da dort die Republikaner*innen sogar Sitze dazugewonnen haben, erscheint dies ausgeschlossen.

Das erste Opfer der Midterms: Justizminister Jeff Sessions

Präsident Trump hat die Midterm-Wahlen auch zur Abstimmung über ihn selbst gemacht. Ständig reiste er im Vorfeld durch die USA und hielt eigene Wahlkampfveranstaltungen. Auch die meisten der Republikaner*innen versuchten, sich als Trump-Anhänger*innen zu profilieren und dadurch zu gewinnen. Das ist aber deutlich gescheitert. Die Mehrheit der Amerikaner*innen steht nicht hinter ihm. Aber noch immer genug Millionen Menschen, um zu regieren.

Trump wird sich nun kaum als Brückenbauer und Versöhner geben, auch wenn er nun theoretisch auf Kompromisse mit den Demokrat*innen angewiesen ist. Sein Verhalten nach den Wahlen spricht Bände: Zuerst erklärt er das Ergebnis zum „großen Sieg“ für sich selbst, schiebt den Verlust des Repräsentantenhauses auf Paul Ryan, beschimpft Journalisten bei einer Pressekonferenz und erzwingt den Rücktritt seines Justizministers. Trump scheint noch schlimmer zu werden als zuvor.

Ziel von Sessions’ Entlassung ist ganz klar die Untersuchung der Russlandaffäre durch FBI-Sonderermittler Robert Mueller. Sessions’ Amt wurde komissarisch an Matthew Whitaker übergeben. Wer neuer Justizminister wird, ist noch unklar. Whitaker ist bekannt dafür, treuer Trumpist zu sein, der sich nicht zu schade war, einen Tweet zu teilen, welcher die Ermittlungen Muellers als „Lynch-Mob“ bezeichnete. Einen Nachfolger für Sessions zu ernennen kann Monate dauern. Monate, in denen Whitaker die Untersuchungen einschränken, ihnen Personal und Gelder streichen oder theoretisch sogar komplett einstellen lassen kann.

Was auf die USA, Europa und die Welt zukommt

Trump wird unberechenbarer werden. Der Versuch, ein deutliches Signal gegen ihn zu setzen, ist gescheitert. Seine konfrontative Politik wird er weiter verschärfen, auch gegen seine Verbündeten in Europa. Auch sein Kampf gegen die freie, demokratische Presse wird sich verschlimmern.

Für Trump könnte das Ergebnis sogar ein Glücksfall sein, da er nun auf den Demokrat*innen nach Lust und Laune rumhacken kann. Die Demokrat*innen werden ihr Bestes tun, um Trump zu stoppen. Aber der hat noch immer die Möglichkeit, am Repräsentantenhaus vorbei, per Dekret („Exekutive Order“) zu regieren. Und nun hat er einen sichtbaren Gegner. Während zuvor die Republikaner*innen in beiden Kammern regierten und damit jede Entscheidung auf sie und Trump zurückfiel, kann Trump jetzt die Demokraten im Repräsentantenhaus für jede seiner Niederlagen, vermutlich auch für jedes Problem der USA verantwortlich machen. Es bleibt zu befürchten, dass das Ergebnis am Ende sogar Teil von Trumps Wahlkampfkampagne 2020 sein wird.

Ob denjenigen Amerikaner*innen, die seine Politik trotz der Lügen, der Korruption, der Skandale, des Hasses und der demokratiefeindlichen, fast schon diktatorischen Tendenzen unterstützen, bis dahin ein Licht aufgehen wird, scheint leider fraglich.

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