Holland in Not? Die Niederlande Auf Politischem Kurs Nach Rechts

, von  Felix Hohlfeld

Holland in Not? Die Niederlande Auf Politischem Kurs Nach Rechts
Der Binnenhof in Den Haag, das politische Zentrum der Niederlande. Foto: Joshua Kettle / Unsplash / Lizenz: Unsplash

Bei den jüngsten Parlamentswahlen hat sich in den Niederlanden ein regelrechtes politisches Erdbeben vollzogen: Geert Wilders‘ rechtspopulistische and islamfeindliche Partij voor de Vrijheid (PVV) wurde mit ihrem Erdrutschgewinn von 37 Sitzen überraschend stärkste Partei. Doch auch der konservative Newcomer Nieuw Sociaal Contract um den Ex-Christdemokraten Pieter Omtzigt gelang ein beachtlicher Erfolg. Das Ergebnis der Wahl? Ein klarer Rechtsruck – der den europapolitischen Kurs des Landes auf Jahrzehnte prägen dürfte. Ein Resümee des Wahlabends aus föderalistischer Sicht.

Mittwochabend, den 22. November 2023: Die gespannten und bangen Blicke der Niederländer*innen richten sich auf die Fernsehbildschirme des öffentlich-rechtlichen Senders NOS. Nach Wochen harter Wahlkämpfe war es um Punkt 21 Uhr so weit - die erste Hochrechnung. Mit beiläufiger Nüchternheit und noch vor dem Ergebnis selbst, wurde in einem Nebensatz verkündet, was das Land buchstäblich auf den Kopf stellen sollte: Die PVV um den Rechtspopulisten und Europafeind Geert Wilders werde – so die Moderatorin knapp – ‚stärkste Kraft‘.

Jubel und ausgelassene Stimmung auf der einen Seite trafen nun unmittelbar auf Schock, Sprachlosigkeit und ratlose Blicke auf der anderen. Nach der offiziellen Verkündung des Wahlergebnisses, gab es jedoch keine Zweifel mehr: Die Rechtspopulist*innen und Europagegner*innen haben einen historischen und für die Niederlande in dieser Form beispiellosen Erfolg errungen. Die Europa-Befürworter*innen dagegen sehen sich klar geschlagen: So schafften es die vom ehemaligen Kommissionsvizepräsidenten und Europafreund Frans Timmermans angeführten Links-Grünen mit knapp 16 Prozent der Stimmen zwar, zweitstärkste Partei zu werden. Mit einem Gewinn von ganzen 37 der insgesamt 150 Sitze und damit 23,5 Prozent der Stimmen ist ihr die Partei von Wilders aber weit voraus. Auch die regierende Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) musste starke elektorale Einbußen hinnehmen: Mit nunmehr 24 statt 34 Sitzen im Unterhaus schrumpft ihr Anteil – und damit ihre Macht im politischen Den Haag - enorm.

Ein Erdbeben mit Vorankündigung?

Was die Niederlande an diesem historischen Abend wie ein Erdbeben überrollte, war natürlich nicht gänzlich unabsehbar. Sei es der fulminante Erfolg der populistischen und europakritischen Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) bei den Provinzwahlen im März, der Bruch der bisherigen Koalition am Streitpunkt Familiennachzug von Asylsuchenden im vergangenen Sommer oder die darauffolgende Fixierung fast aller Mitte-Rechts-Parteien auf das Thema Migration. Seit Monaten schon befindet sich die Niederlande politisch wie gesellschaftlich auf Kurs nach rechts. Hinzu kommt, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat und die bestehenden demokratischen Institutionen im Land bereits seit Jahren bröckelt. So wurden im Rahmen der sogenannten Kindergeldaffäre über Jahre hinweg unschuldige Familien des Sozialbetrugs bezichtigt und so systematisch an den Rand der Existenz getrieben.

Zudem sitzt der Frust angesichts der andauernden Wohnungskrise, steigender Lebenserhaltungskosten und der wachsenden sozialen Kluft in weiten Teilen der Bevölkerung tief. Ganze 72 Prozent der Bevölkerung sehen das Land laut einer neusten Umfrage demnach auf dem falschen Kurs. Kein Wunder also, dass sich das Misstrauen der Niederländer*innen in die bestehende Politik an diesem Wahlabend zu entladen drohte: Ein Erfolg regierungskritischer Anti-Establishment-Parteien – wie die des konservativen Newcomers Pieter Omtzigt – wurde von Politikwissenschaftler*innen daher bereits vor der Wahl prognostiziert.

Geschichtsträchtiger Abend im politischen Den Haag

Und doch: Was an diesem Wahlabend geschah, war keine typische populistische Revolte, wie wir sie mittlerweile fast gewöhnt sind. Es war ein Zäsur-artiges Ereignis, „die größte politische Verschiebung, die wir in den Niederlanden jemals erlebt haben“. Denn nie zuvor ist einer rechts-populistischen Partei der Sprung über 20 Prozentpunkte gelungen, nie zuvor wurde eine rechts-radikale Kraft stärkste Partei. Da tut es auch gar nichts zur Sache, dass sich Geert Wilders medial zuletzt als gemäßigter geriert und seine islam- und grundgesetzfeindlichen Forderungen zeitweise ‚auf Eis‘ zu legen versprach (ein Umstand, der ihm in den Medien bisweilen den Spitznamen Geert Milders beschert hat).

Unter dem gemäßigten Mantel, den sich Wilders im Wahlkampf taktisch übergezogen hat, sitzt nämlich noch immer der gleiche xenophobische und europafeindliche Wilders. Das zeigte sich auch unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses, als Wilders vor die Fernsehkameras trat und sogleich seine Forderung nach dem unmittelbaren Stopp des vermeintlichen ‚Asyltsunami‘, seine ‚Netherlands first‘ Rhetorik, und anti-migrantische Ressentiments bekräftigte.

Gerade für die vielen Migrant*innen und Asylsuchenden in den Niederlanden war es daher ein erschütternder und zutiefst bitterer Abend. Ein bitterer Abend war es im abstrakteren Sinne aber auch für die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und zwischenmenschlichen Solidarität – die sich im lange als tolerant und weltoffenen geltenden Königreich nun bis dato ungekannten Gefahren ausgesetzt sehen. Ungekannte Gefahren birgt das Wahlergebnis aber selbstverständlich auch für die europapolitische Zukunft des Landes. Hinter Wilders‘ Forderungen – sei es seine Forderung nach Grenzschließungen, einem Austritt der Niederlande aus der Europäischen Union oder nach Arbeitserlaubnissen für EU-Bürger*innen – verbirgt sich eine unverhohlen europafeindliche Agenda und der Wunsch nach einem radikalen Bruch mit der europäischen Idee. Was das konkret für die Europawahlen im nächsten Jahr bedeutet, gilt es zunächst jedoch abzuwarten.

Die Niederlande auf Kurs nach rechts – Ausgang ungewiss

Ausschlaggebend werden hierfür vor allem die laufenden Koalitionsverhandlungen sein – und die gestalten sich für Wilders derzeit mehr als schwierig. Denn nachdem die bisherige Regierungspartei VVD bereits kurz nach der Wahl angekündigt hatte, eine von Wilders geführte Regierung allenfalls tolerieren zu wollen, ist ihm nun vorerst ein weiterer aussichtsreicher Kandidat abgesprungen. Die Galionsfigur des erst vor wenigen Monaten gegründeten Nieuw Sociaal Contract Pieter Omtzigt stört sich nämlich gehörig an den verfassungsfeindlichen Ideen von Wilders. Eine Basis für eine gemeinsame rechte Koalition sähe er nach Abschluss der ersten Sondierungsrunde daher vorerst nicht – im Gespräch bleiben wolle er aber trotzdem

Nicht zuletzt deshalb riet Ronald Plasterk, der von Wahlsieger Wilders mit der Leitung der Sondierungsgespräche beauftragt wurde, den Sondierungsparteien in der nächsten Gesprächsrunde zunächst, über „den Schutz der Verfassung, der Grundrechte und des demokratischen Rechtsstaates“ zu sprechen. Nur so könne eine Grundlage für eine inhaltliche Auseinandersetzung über Themen der Migrations-, Klima- und Sozialpolitik geschaffen werden. Für ein Luftschloss hält Plasterk eine rechte Koalition dennoch nicht – das Land müsse schließlich regiert werden und eine rechte Koalition sei angesichts des Wahlergebnisses die logischste Option. Ob es dazu kommt und welche Form eine solches rechtes Kabinett letztlich annimmt, steht aber weiterhin in den Sternen. Bis Februar gibt Plasterk den Parteien nun Zeit, um entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Erst danach werden die innen- und europapolitischen Konsequenzen des historischen Wahlabends vom 22. November in ihrem vollen Umfang sichtbar werden.

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