Euroskeptizismus – ein britisches Phänomen?
Im Gegensatz zu den Bürgern der anderen EU-Mitgliedsstaaten ist die britische Bevölkerung von jeher der Europäischen Union gegenüber kritisch eingestellt. Ein Grund dafür könnte sein, dass Großbritannien der EU im Jahr 1973 eher zögerlich beitrat, so als sei sich das Land selbst nicht sicher, ob es wirklich Mitglied werden wolle. Der einzig wirksame Anreiz ist – damals wie heute – der Zugang zum Europäischen Binnenmarkt. Eine ernsthafte Vertiefung der Zusammenarbeit wollen viele Briten jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: der Unmut der Bevölkerung wächst mit jedem weiteren Regulierungsversuch aus Brüssel. Die Idee, ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU abzuhalten, ist daher nichts Neues. Bereits 1975 wurde ein solches durchgeführt. Damals sprachen sich 67 Prozent für einen Verbleib aus.
Durch die anstehende Europawahl und den damit verbundenen Aufschwung der euroskeptischen Parteien gewinnt das Szenario eines möglichen Austritts wieder an Fahrt. Laut aktuellen Umfragen könnte die Conservative Party von Premierminister David Cameron bei der Wahl nur drittstärkste Kraft werden. Als Wahlsieger würde dagegen die euroskeptische UKIP hervorgehen, deren Parteichef Nigel Farage regelmäßig mit polemischen Parolen auffällt. Die großen Parteien stehen daher zunehmend unter Druck.
Camerons Bedingungen für einen Verbleib in der EU
In einem Gastbeitrag für die britische Zeitung „The Telegraph“ stellte Cameron vor kurzem sieben Punkte auf, deren Erfüllung er als Voraussetzung für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ansieht. Die Abgabe weiterer Kompetenzen an Brüssel lehnt er darin ebenso ab, wie die uneingeschränkte Freizügigkeit der EU-Bürger. Stattdessen fordert er eine stärkere Ermächtigung der nationalen Parlamente und strengere Zuwanderungsbestimmungen. Besonders die Idee der „Vereinigten Staaten von Europa“ weist er entschieden zurück.
Der Premierminister kämpft an allen Fronten
In seinem Beitrag bemüht sich Cameron offensichtlich um einen europakritischen Ton. Damit versucht er zum einen, die euroskeptischen Stimmen innerhalb seiner Partei zu beschwichtigen. Diese fordern den Premierminister regelmäßig dazu auf, der EU gegenüber mehr Druck auszuüben. Erst Anfang des Jahres prophezeite Finanzminister George Osborne einen Austritt seines Landes, sofern die von Großbritannien geforderten Reformen nicht umgesetzt werden.
Andererseits bemüht sich Cameron, die UKIP in Schach zu halten. Diese hat sich zu einem Sammelbecken für die enttäuschten, zurückgelassenen Wähler entwickelt. Der Premier verspricht deswegen bis spätestens 2017 ein Referendum über den Verbleib seines Landes in der EU, dessen Ausgang er akzeptieren werde. Einzige Voraussetzung: Er und seine Torie-Partei wird im nächsten Jahr tatsächlich wiedergewählt. Das erscheint zurzeit äußerst fraglich. Denn laut aktuellen Prognosen zur Unterhauswahl 2015 sieht es für die Conservative Party nicht gut aus. Obwohl der Abstand in den letzten Wochen geschrumpft ist, liegen die Tories mit 34 Prozent immer noch hinter der Labour Party. Erschwerend hinzu kommt, dass eine Neuauflage der aktuellen Koalition mit den pro-europäischen Liberal Democrats als sehr unwahrscheinlich gilt. Im Verlauf der Euro-Krise ist die Conservative Party zunehmend nach rechts gerückt, wodurch sich immer mehr Streitpunkte zwischen den Koalitionspartnern ergeben haben. Während Cameron den euroskeptischen Flügel seiner Partei mit einem Referendum besänftigt, steht für die Liberal Democrats ein EU-Austritt Großbritanniens nicht zur Debatte. Die Partei von Nick Clegg will höchstens über zukünftige Kompetenztransfers in Richtung Brüssel abstimmen lassen.
Labour taktiert, anstatt die Schwäche der Tories zu nutzen
Vom Knirschen im Getriebe der konservativ-liberalen Regierung könnte Ed Miliband profitieren. Der Labour-Chef stand zuletzt unter Beschuss, weil seine Partei lange keine klare Position gegenüber einem EU-Referendum eingenommen hat. In einer Rede vor der London Business School äußerte er sich im März schließlich dazu, sorgte mit seinen ambivalenten Aussagen jedoch auch für reichlich Verwirrung in den britischen Medien. So versicherte Miliband zwar, dass die Labour Party ein Referendum unterstützen werde, wenn weitere Kompetenzen an Brüssel abgegeben werden sollen. Ein solches Szenario bezeichnete er allerdings als unwahrscheinlich. Damit schloss er eine Abstimmung über einen EU-Austritt Großbritanniens indirekt aus.
Miliband plant voraus
Mit seiner vagen Antwort versucht Miliband die unterschiedlichen Meinungen innerhalb der Labour Party zu einen. Während die Mehrheit der Mitglieder einen Verbleib Großbritanniens in der EU prinzipiell befürwortet, verlangt der euroskeptische Flügel der Partei ein klares „In/Out Referendum“. Milibands Äußerungen bezeichnen sie daher als „schäbigen Kompromiss“. Dieser kontert, dass einige Forderungen der Euroskeptiker, beispielsweise die nach strengeren Einwanderungsregelungen, auch ohne eine Änderung der EU-Verträge und damit ohne Referendum durchsetzbar sind.
Letztlich setzt der Labour-Chef vor allem darauf, sich im Hinblick auf die Unterhauswahl möglichst alle Optionen offen zu halten. Da er keine Notwendigkeit für ein EU-Referendum sieht, bewahrt er so die Möglichkeit einer Koalition mit den Liberal Democrats, auf deren Unterstützung er nach der Wahl angewiesen sein könnte.
Angespanntes Abwarten
Es bleibt unklar, welche langfristigen Auswirkungen die Diskussion um einen EU-Austritt Großbritanniens auf die europamüden Briten haben wird. Euroskeptizismus hat sich zu einem Phänomen entwickelt, das bei vielen Wählern auf große Zustimmung trifft. Mit ihrer Forderung nach einem EU-Austritt erscheint die Bevölkerung allerdings in vielerlei Hinsicht blauäugig. Nur wenigen Briten sind die durchaus ernstzunehmenden Konsequenzen wie Exporteinbrüche, geringeres Wirtschaftswachstum und erhöhte Arbeitslosigkeit offenbar bewusst. Angesichts dessen sollten kritische Stimmen daher auch einen möglichen Verbleib Großbritanniens in der EU bedenken, anstatt munter auf der Klaviatur des Populismus zu spielen.
Fest steht, dass die anstehende Europawahl für alle Parteien einen wichtigen Stimmungstest darstellt. Es sieht so aus, als ob die UKIP als Gewinner aus der Abstimmung hervorgehen und damit ihre Ansprüche für die Unterhauswahl unterstreichen wird. Darüber hinaus wird interessant sein, wie Labour und Tories das Wahlergebnis verkraften und inwieweit sie ihre politische Ausrichtung dementsprechend verändern werden.
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