Jo, wos denn jetz?

Letzte Runde im Streit zwischen CDU und CSU

, von  Grischa Alexander Beißner

Jo, wos denn jetz?
. Horst Seehofers Rücktritt „mit Vorbehalt“ traf die eigene Partei sehr unerwartet - und zerstörte seine Glaubwürdigkeit. Bild: Pascal Paukner / Flickr / CC-BY-NC SA 2.0

Horst Seehofer tritt zurück - oder auch nicht. Dann wurde die gemeinsame Fraktionssitzung abgesagt - nun findet sie doch statt. Heute Abend treffen sich die Parteispitzen von CDU und CSU zu einem letzten Versuch, den Zwist zu klären. Zerbricht nun am Asylstreit die Union? Oder gar die Regierungskoalition? Markus Söder sieht jedenfalls keinen Grund zur Panik.

Die deutsche Politik gleicht dieser Tage einem schlechten Theaterstück, genaugenommen einem Trauerspiel - nur kann man als Bürger schlecht aufstehen und den Saal verlassen. Die eine große Partei Deutschlands, die SPD, hat sich bereits auf 20 % heruntergewirtschaftet, nun demontiert sich die Union. Am gestrigen Sonntag kündigte nun Innenminister Horst Seehofer seinen Rücktritt an - zog ihn dann aber vorläufig wieder zurück. Der Schritt kam nicht unerwartet, traf aber vor allem die eigene Partei wie ein Schlag.

Während die internationale Presse bereits das Ende der Regierung orakelt, wollen CDU und CSU es noch immer miteinander versuchen. Seit 14 Uhr wird nun doch eine zuvor bereits abgesagte gemeinsame Fraktionssitzung abgehalten. Man weiß, trotz allen gegenseitigen Dominanzgehabes, dass man sich bei einem Auseinanderbrechen der Union letztlich nur in den eigenen Fuß schießt.

Ein Drama wegen dreier Grenzübergänge

Im Grunde ist der Streitpunkt zwischen CDU und CSU nahezu nichtig. Seehofer will im Alleingang an drei (bayerischen) Grenzübergängen wieder kontrollieren lassen - um die wenigen Flüchtlinge aufzugreifen, die bereits andernorts registriert sind. Es ist reine Symbolpolitik, deren Effektivität anzuzweifeln ist. Aber es geht nicht um faktische, echte Problemlösung - es geht um gefühlte Politik. Um das publikumswirksame “Wir tun was” gegen gefühlte Probleme - egal wie groß oder klein diese tatsächlich sind.

Grundsätzlich geht es um die Machtfrage innerhalb der CDU/CSU-Fraktion. Wie schon 1974 unter Franz-Josef Strauß. Und um die bayerischen Landtagswahlen. Dort will die CSU gerne punkten - aber aus Angst vor der AfD hat sie sich darauf versteift, unbedingt mit der Flüchtlingskrise Wahlkampf machen zu wollen. Dass sie dadurch die AfD nur stärkt und ihr letztlich recht gibt, wurde verkannt.

Aber seit Seehofer seinen Alleingang - gegen den Willen der Kanzlerin - androhte, dreht sich die Eskalationsspirale weiter und weiter. Angela Merkel, die eine europäische Lösung einem nationalen Alleingang vorzieht, wurde ein Ultimatum gestellt. In letzter Minute wurde eine Einigung erreicht, bei der Merkel der CSU und anderen rechtsgerichteten Regierungen in Europa weit entgegen kam. Aber während manche in der bayerischen Partei darin einen “guten Weg” sahen, reichte das Seehofer nicht. Merkels europäische Lösung sei nicht “wirkungsgleich”. Mit dieser Wortneuschöpfung glaubt Seehofer, die EU-Lösung ablehnen zu dürfen - oder zu müssen.

Schrödingers Innenminister - so reagieren die Anderen

Mit dem Beharren auf der Wirkungsgleichheit hat Seehofer zu hoch gepokert. Sein “halber” Rücktritt hat ihn jetzt bereits die volle Glaubwürdigkeit gekostet. Bleibt er ohne deutliche Zugeständnisse der Kanzlerin im Amt, gibt er sich der Lächerlichkeit preis, tritt er zurück, versinkt er in der Bedeutungslosigkeit. Auch in der CSU mehren sich die Stimmen, die ihm widersprechen. Auch hier wollen manche eine europäische Lösung. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder - der Seehofer gerne auch als Parteichef beerben möchte - sprach sich bereits gegen einen Bruch der Unionsfraktion aus. Bis zur Klärung am heutigen Abend ist Seehofer ohnehin Schrödingers Minister: gleichzeitig zurückgetreten und im Amt.

Merkel hat nun wieder Oberwasser. Mit der Einigung auf EU-Ebene und den schnellen Abkommenszusagen aus dem europäischen Ausland hat sie ihre Position enorm gestärkt - auch wenn sie vor den Forderungen der CSU bei dem europäischen Kompromiss einknickte. Es war aber zugleich auch ein Geschenk an den rechten Flügel in der CDU. Diese hat sich auch demonstrativ hinter die Kanzlerin gestellt. Wolfgang Schäuble sieht die Union “am Abgrund”, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier fordert, dass die CDU sich nun “keinen Millimeter mehr bewegen” dürfe.

Ein Kompromissangebot Seehofers hat Merkel nun heute Morgen bereits ausgeschlagen. Er hatte angeboten, nur solche bereits registrierten Flüchtlinge zurückzuweisen, deren Asylverfahren im Gange oder die in Griechenland oder Spanien registriert sind. Doch die geschlossenen Fronten bröckeln bereits. Seehofer nimmt bewusst nur Hardliner mit in die Gespräche und übergeht kritische Parteifreunde wie Parteivize Manfred Weber oder Entwicklungshilfeminister Gerd Müller schlicht. Die CDU zeigt ebenfalls Nerven. Konservative Unionspolitiker und Mitglieder der „Jungen Gruppe“ in der Fraktion fordern in einem Papier nicht nur Kompromisse, sondern unterstützen auch wieder nationale Alleingänge. Es ist ein Zirkus.

Inzwischen traut sich sogar die SPD aus der Deckung und erteilt ihrem Koalitionspartner CSU, und damit auch Seehofer, eine Absage - kritisiert allerdings auch die von Merkel getroffene Lösung, die Sammellager ermöglicht, in denen Flüchtlinge konzentriert festgesetzt werden sollen. Zudem hat der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel Seehofer nun öffentlich zum Rücktritt aufgefordert. Ohnehin rumort es zwischen SPD und Union bereits an anderer Stelle, denn die CDU versucht aktuell, die im Koalitionsvertrag beschlossene starke Einschränkung von Waffenexporten wieder aufzuweichen.

Grüne und Linke haben einhellig gefordert, dass die Kanzlerin den Rücktritt Seehofers annehmen soll. Die FDP liebäugelt schon mit Jamaika-Koalition 2.0.

Was passiert nun?

Die Positionen in der Regierungskoalition scheinen inzwischen weitestgehend unvereinbar. Ein Bruch wird immer wahrscheinlicher, eine Einigung wird hart. Es gibt mehrere Szenarien, wie es mit Deutschland morgen weitergeht.

  • CDU und CSU finden eine gemeinsame Lösung und Seehofer bleibt im Amt. Das Ergebnis wäre eine Schwächung der CSU einerseits, da ihr Frontmann Seehofer durch den Doch-nicht-Rücktritt seine Glaubwürdigkeit verspielt hat. Größerer Verlierer wäre allerdings die Kanzlerin. Bereits auf europäischer Ebene vollzog sie einen Kniefall vor dem Ultimatum Seehofers. Nun einen derart schwachen Minister im Team zu behalten, der auch mit abfälligen Kommentaren nicht geizte und ihr gegenüber jeglichen Respekt vermissen ließ, wäre schon beinahe eine Übergabe der Regierungsgeschäfte an die CSU.
  • Seehofer tritt zurück, aber die CSU bleibt in der Fraktion. Vermutlich die glimpflichste Variante. Die Karriere von Seehofer wäre vorbei (aber das ist sie ohnehin schon) und die CSU würde jemanden nachnominieren. Merkel müsste vielleicht ihr Kabinett umbauen, aber beide Schwesterparteien gingen ramponiert, doch halbwegs erhobenen Hauptes aus der Krise.
  • Seehofer tritt zurück und die CSU steigt aus der Koalition aus. Das wäre das Ende der Regierung. Sofern sich keine weitere Partei findet, die mit CDU und SPD regieren will - die Grünen signalisierten eine mögliche Bereitschaft -, gäbe es entweder eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Dass sich die linken und rechten Parteien der Opposition auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten einigen könnten, der Merkel ersetzt, ist ausgeschlossen.
  • Seehofer tritt zurück und die Regierung zerbricht. Daran hätte keine der Regierungsparteien ein Interesse - allerdings haben alle so sehr eskaliert, dass dieser Ausgang durchaus wahrscheinlich ist. Die Folge wären Neuwahlen binnen 60 Tagen.

In jedem Fall lässt sich sagen, dass die alte Ordnung der Bundesrepublik ein Fall für die Geschichtsbücher ist. Die CDU/CSU kann nicht länger die “rechteste” demokratische Partei sein. Sie kann auch die AfD rechts weder überholen noch einholen, ohne sich selbst zu zerstören. Daran, dass die Union sich neu ordnet und die SPD sich endlich erneuert, führt eigentlich kein Weg vorbei - zumindest nicht, wenn diese Parteien überleben wollen. Auch eine Minderheitsregierung wäre interessant und würde die festgefahrene, stoische deutsche Politik zwingen, tatsächlich demokratisch zu handeln und Kompromisse über Parteien hinweg einzugehen. So oder so lohnt ein Blick in die Nachbarländer. Dort regieren auch Koalitionen aus mehr als zwei Parteien - ohne dass die Welt untergeht.

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