Mein erster Gedanke - einfach laufen und genießen
Komm ein bisschen mit nach Italien! Seit vielen Jahren zieht es mich in Sachen Europa in das Land am Stiefel. Dank vieler persönlicher Kontakte verfolge ich seit langem die Veränderungen dieses besonderen Landes zwischen Tradition und Moderne, zwischen Jugend und der Politik. Während eines Besuches in Mailand hatte ich damals Valeria Peruzzi kennengelernt. Die junge Italienerin und Europaaktivistin ist Präsidentin des italienischen Zweiges von Bringing Europeans Together Association, einer paneuropäischen NGO für europäische Bildungsarbeit. Derzeit ist sie auf der Suche nach Arbeit, in einem Land, das auf der Suche nach sich selbst ist.
„Das erste was ich nach dem Lockdown gemacht habe war: laufen! Gemeinsam mit meinem Freund, den ich gut zwei Monate nicht gesehen hatte, bin ich fast 30km gelaufen. Es mag vielleicht etwas merkwürdig klingen, aber auf einmal lernst du die kleinen Freiheiten zu schätzen, wie mit Menschen, die du magst, einfach kilometerweit in die Natur hinein zu gehen.“
Auf Entspannung folgte der Frust
“Am Anfang war die Situation noch sehr entspannt. Alle dachten, es wäre nur eine vorübergehende Sache, nicht so wild”, beschreibt Valeria die Anfänge des Lockdowns. Aber als klar wurde, dass dieser Zustand länger anhalten wird, änderten sich die Einstellungen der Menschen. “Es war wie eine kalte Dusche um 7 Uhr morgens, um es ganz deutlich zu sagen!”. Aber auf einmal wurde die Solidarität und Kreativität der Italiener*innen deutlich sichtbar. Unter verschiedenen Hashtags in den sozialen Medien wurden Flashmobs und Konzerte organisiert, man traf sich zum Kochen über Videochats. Während dieser Zeit war ich als Deutscher oft selbst als Gast bei einem virtuellen Aperitivo bei Valeria in Italien eingeladen. “Rückblickend war der erste Monat voll von Online-Veranstaltungen und Kochrezepten”, wie sich die junge Italienerin erinnert. Dies änderte sich aber als der Zustand länger andauern sollte.
“Das schlimmste war es nicht rausgehen zu können um sich mit meinem Freund, meinen Freunden und meiner Familie persönlich zu treffen. Natürlich habe ich auf Skype oder WhatsApp geschrieben, aber diese Nähe von Mensch zu Mensch kann dir ein Bildschirm nicht geben. Um nicht verrückt zu werden habe ich viel Sport getrieben und meditiert”, schildert die Europaaktivistin ihre Erlebnisse. Noch schwieriger als 24/7 zu Hause eingeschlossen zu sein, waren die Schwierigkeiten eine Arbeitsstelle zu finden. Viele Jugendliche haben sich plötzlich in einer besonderen Situation wiedergefunden. Praktika wurden beendet, andere wurden nicht wie versprochen übernommen, Fabriken und Betriebe wurden geschlossen. “Alles in allem hat dieser Lockdown eine bereits sehr schwache Gruppe besonders hart getroffen, die darum kämpft einen Fuß in dem Arbeitsmarkt zu bekommen”, bedauert Valeria sehr.
Die Pandemie führte in die Politik
Überall war der Slogan “andrà tutto bene" (dt. Es wird gut gehen!) zu lesen, den die Regierung und viele Influencer als Wunsch aber auch als Fakt verwendet. Denn wie Valeria bemerkt, haben sich die Menschen einander aber auch der Politik im Lande wieder mehr genähert, auch dank der Botschaften und Reden von Ministerpräsident Conte. Hierin wurde auch die Pluralität Italiens deutlich. Obwohl viele meinen der Virus sei Teil eines Experiments, Asiaten oder Migranten seien schuld an der Pandemie gibt es genauso viele, die diesen Behauptungen entgegentreten.
“Persönlich denke ich, dass die letzten Monate unsere Gesellschaft tief beeinflusst haben. Der Slogan “andrà tutto bene” hat dazu beigetragen uns als Menschen wieder zu entdecken, wie wir sind, ganz ohne Filter oder Fassade“, beschreibt die junge Aktivistin ihre Eindrücke. Besonders betroffen ist sie selbst, da ein Angehöriger ihrer Familie an Krebs leidet. Daher achtet die ganze Familie besonders auf die Hygienemaßnahmen und vermeidet Besuche.
Eine Krise über die Zukunft
Betrachtet man die aktuellen Zahlen, hat der Lockdown besonders junge Menschen hart getroffen. Die Jugendarbeitslosigkeit im Süden Europas liegt derzeit bei 41,7% in Spanien, 37,5% in Griechenland sowie 31,1% in Italien. Dies ist besonders schwerwiegend für Länder, deren Jugend bereits die Folgen der Wirtschafts- und Währungskrise 2008 zu spüren bekam. Valeria, die derzeit selbst auf Arbeitssuche ist, stellt fest, dass die Spaltung zwischen den Generationen auf dem Arbeitsmarkt noch größer geworden ist, einen passenden Job zu finden. Besonders bedauert sie, dass es in Italien schlicht am politischen Willen fehle, daran etwas zu ändern.
Oft werde die Generationenfrage einfach ignoriert, denn die Wählerschaft selbst wird immer älter und älter. Erst die Rede von Mario Draghi hat diese Debatte wiederbelebt. In seinem ersten TV Auftrifft als ehemaliger Präsident der Zentralbank machte er deutlich, wie dringend dieses Thema ist. Er sagte: "Eine Jugend ihrer Zukunft zu berauben ist die schlimmste Ungerechtigkeit. Es gibt Mittel dagegen etwas zu tun. Nun liegt es an der Politik dies zu tun!“
Die Jugend stellt Fragen an die Politik
Immer wieder treffe ich in Italien junge Menschen, die sich begeistert für europäische Themen und Zukunftsfragen einsetzen. Daher wünscht sich die Präsidentin von BETA Italia, dass junge Menschen stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Sie stellt die Frage: „Am Ende wird die junge Generation die Aufgaben der älteren übernehmen. Warum soll man diese junge Generation und damit auch die ältere ihrer Zukunft berauben? Junge Menschen in die Politik einzubinden hilft gegen den Generationenkonflikt, trägt aber auch dazu bei überlegtere Entscheidungen zu treffen, bessere Gesetze auch für junge Menschen zu beschließen.“
Allerdings betont sie, bedeute dies nicht der Jugend überall den Vorrang zu geben, sondern viel eher diese dort einzubinden wo junge Menschen direkt betroffen sind, etwa in der Schule oder der Universität. Dann werden viele auch verstehen, dass sich junge Leute nicht nur amüsieren möchten, sondern bereit sind ihren Teil dazu beizutragen, etwas in diesem Land zu verändern.
Wenn ich Präsidentin von Italien wäre
Bei jemandem der sich intensiv mit politischen Fragen beschäftigt, stelle ich die Frage: Was würdest du verändern, wenn du Präsidentin von Italien wärst? ”Wenn ich Präsidentin von Italien wäre, oder zumindest die Möglichkeit hätte etwas zu verändern, würde ich damit beginnen andere einzubeziehen: bessere Finanzierung von Forschung, Infrastruktur, digitale Innovationen, sowie Umwelt als Thema an Schulen und Universitäten”, stellt die NGO Präsidentin ihr mögliches Programm vor. Insbesondere Umweltpolitik sieht sie als eine entscheidende Aufgabe für die jetzige und zukünftigen Generationen. Daher würde sie besonders junge Menschen stärker in die Politik einbeziehen, wie Valeria unterstreicht.
„Ich denke, dass die Mehrheit der Menschen nun weniger skeptisch gegenüber Europa sind. Aber hier gibt es noch einiges zu tun, vor allem die Vorurteile zu überwinden, die Union sei ein reiner „Umverteilungsmechanismus“, der einige Länder bevorzuge“ gibt die junge Europäerin mit. Während der Krise hat die Union gezeigt, dass sie handeln und solidarisch sein kann. Dies hat Italien wieder näher an die Europäische Union herangeführt.
Aus der Krise lernen und wünschen
Dieses Jahr 2020 wird besonders in die Geschichte eingehen, als ein Jahr in dem die Welt stillstand und zu Hause bleiben musste. Diese Krise hat besonders die Schwächsten in der Gesellschaft hart getroffen. Im Gespräch berichtet die junge Europäerin Valeria Peruzzi von einer schwierigen Zeit: „Ich hatte einige emotionale Krisen, besonders aufgrund meiner schwierigen Situation endlich einen Arbeitsplatz zu finden. Aber ich bin in diesem schwierigen Jahr auch an mir gewachsen. Ich bin mental stärker, aktiver und kreativer geworden.“
Genau dies wünscht sie sich auch für die Zukunft. „Ich hoffe, dass wir geeinter und stärker aus dieser Krise hervorgehen, aber auch dass wir die Rolle von jungen Menschen in der italienischen und der europäischen Gesellschaft stärker wahrnehmen.“ Dazu gehören, wie sie betont, nicht nur eine politische, sondern auch eine soziale Integration, sowie ein stärkerer technologischer Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit.
Eine gemeinsame Zukunft gestalten
Der Ausbruch der Pandemie hat viele geplante Wege unterbrochen, Lebenspläne verbaut, aber auch neue Perspektiven geschaffen, in einem Land auf dem Weg zu sich selbst. Diese Krise hat vor allem deutlich gemacht, wie wichtig ein Umdenken für die Zukunft ist. Dazu muss auch die Jugend stärker gehört werden, sowohl in Italien auch als in Europa werden.
Daher zitiert Valeria Peruzzi zum Abschluss unseres Gespräches Papst Franziskus in seiner Enzyklopädie “Christus Vivat”. Darin schreibt er: “Die Alten haben einen Traum, die Jungen haben eine Vision von diesem Traum.” Für Valeria heißt dies: “Die Jugend sollte nicht als unerfahren behandelt werden, denn sie haben die Kraft, das Feuer und den Enthusiasmus den Herausforderungen zu begegnen. Zugleich sollten die Alten nicht wie “Ballast” behandelt werden, denn sie sind reich an Wissen und Erfahrung der Jugend zu helfen, gemeinsam eine bessere Zukunft zu gestalten! Für die Zukunft ist es wichtig diese gemeinsam zu gestalten!“ möchte Valeria Peruzzi als junge Italienerin und Europäerin als Ausblick mitgeben.
Questa è politica. Questa è collaborazione intergenerazionale!
(Das ist Politik! Das ist Zusammenarbeit über die Generationen hinweg)
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