Konflikte: 2017 wird nicht ruhiger

Teil 2: Jemen und Boko Haram

, von  Gesine Weber

Konflikte: 2017 wird nicht ruhiger
Die Situation im Jemen und in Nigeria spitzt sich derzeit zu Foto: Moyan Brenn / Flickr / CC-BY 2.0 - Lizenz

In Folge der omnipräsenten Berichterstattung über den Syrienkonflikt wurden einige Konflikte im Jahr 2016 von der nicht direkt betroffenen Öffentlichkeit vergessen. Dennoch sind sie einen zweiten Blick wert – einige von ihnen verfügen über hohes Eskalationspotential.

Jemen

Über den Konflikt im Jemen wurde im vergangenen Jahr zwar am Rande berichtet, nur den wenigsten ist wohl sein wirkliches Ausmaß bewusst. Während der Jemen schon vor dem aktuellen Konflikt bereits das ärmste Land der Arabischen Welt war, dessen Bevölkerung regelmäßig unter Hunger zu leiden hatte, hat der Konflikt die Situation im Land in ein humanitäres Desaster verwandelt. Rund 7.000 Personen sind seit dem Ausbruch des Konflikts im März 2015 ums Leben gekommen, 35.000 wurden verletzt. Derzeit sind vier von fünf Menschen im Jemen auf humanitäre Hilfe angewiesen, am härtesten sind die Kinder betroffen.

Seit Jahren wird der Jemen immer wieder von Bürgerkriegen oder bürgerkriegsartigen Konflikten erschüttert. Insbesondere seit der Ausrufung der Arabischen Republik Jemen im Jahr 1962 kam es immer wieder zu Staatsstreichen, das Land war bis 1990 in die Arabische Republik Jemen im Norden und die Demokratische Volksrepublik Jemen im Süden geteilt. Auch die Wiedervereinigung der beiden Landesteile konnte den Ausbruch erneuter Bürgerkriege nicht verhindern, bis heute leidet das Land an chronischer Instabilität. Auch der aktuelle Bürgerkrieg ist die Konsequenz dieser politischen Instabilität: Nachdem der damals amtierende Präsident Ali Abdullah Saleh im Jahr 2011 nach 34-jähriger Regierungszeit zurücktrat und sein Stellvertreter Mansur Habi das Amt übernahm, gelang es diesem nicht, die sich verschlechternde Sicherheitslage zu kontrollieren. Diese Schwäche des neuen Präsidenten nutzen die schiitischen Huthi-Rebellen, eine politisch-militärische Gruppierung, die seit dem Jahr 2004 versucht hatte, gegen Präsident Ali Abdullah Saleh vorzugehen, um Teile des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Damit gelang es den Huthi-Rebellen im März 2015, auch die Hauptstadt Sanaa unter ihre Kontrolle zu bringen, das Parlament aufzulösen und die Macht im Jemen zu übernehmen.

In Folge dieser Machtübernahme kam es zu einer Regionalisierung des Konflikt, da sich Saudi-Arabien durch den Aufstieg der schiitischen Gruppierung eine Stärkung seines Erzfeinds, der schiitischen Regionalmacht Iran, befürchtete, und dementsprechend begann, in den Konflikt einzugreifen. Seitdem fliegt eine Koalition aus sieben arabischen, sunnitisch geprägten Staaten Angriffe auf die Huthi-Rebellen, wobei sie logistische und technische Unterstützung von Frankreich, Großbritannien und den USA erhält. Iran seinerseits unterstützt die Huthi-Rebellen. Damit ist der Jemen Schauplatz eines Kräftemessens zweier Regionalmächte, das enormes Eskalationspotential birgt. Auch die Präsenz von Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) trägt zur Unübersichtlichkeit dieses Konflikts bei: So bekämpfen die verbliebenen sunnitischen Regierungstruppen zwar einerseits die schiitischen Huthi-Rebellen, aber andererseits auch die Al-Qaida. Al-Qaida selbst als als radikalislamische, meist sunnitische Gruppierung kämpft wie auch die Regierung und die internationale Koalition gegen die Huthi-Rebellen kämpf, aber zielt zugleich auch auf eine Schwächung aller anderer Gegner, die einer Machtübernahme im Weg stehen. Dass nun der neue US-Präsident Donald Trump offensiver gegen Al-Qaida vorgeht, dürfte die Situation im Land noch unübersichtlicher machen.

Eine Strategieänderung Saudi-Arabiens hin zu einer nicht-militärischen Lösung erscheint derzeit ausgeschlossen. Viel eher wird der Staat in seiner Rolle als regionale Vormacht bestärkt, nicht zuletzt durch das umstrittene Einreisegesetz von US-Präsident Trump, das unter anderem iranischen Staatsbürgern die Einreise verweigert und Saudi-Arabien nicht betrifft. Während Iran erneut international isoliert wird, profitiert Saudi-Arabien – und wird wohl weiterhin mit in Europa produzierten Waffen den Konflikt anheizen.

Boko Haram in Nigeria

In Nigeria und der gesamten Region stellt die Terrorsekte Boko Haram eine wachsende Bedrohung dar. Boko Haram wurde im Jahr 2002 in Maiduguri im Norden Nigerias vom islamischen Geistlichen Mohammed Yusuf gegründet und hat sich den Aufbau eines umfassenden islamischen Staats mit der Scharia als Rechtsordnung in Nigeria zum Ziel gesetzt. Die Terrorgruppe begreift sich selbst als einen afrikanischen Ableger der Taliban und hat sich vor allem dem Kampf gegen westliche Bildung aller Art verschrieben. So lehnt sie etwa auch die Beteiligung an Wahlen ab. Die Bereitschaft zur Gewaltanwendung bei Boko Haram ist bisher kontinuierlich angestiegen: Beschränkte sich Boko Haram anfangs ausschließlich auf Angriffe auf das nigerianische Militär oder Polizeistationen, haben sich Brutalität, Intensität und Anzahl der Terroranschläge durch Boko Haram vor allem seit 2011 intensiviert. Im nördlichen Bundesstaat Borno, wo Boko Haram sich gründete, wüten die Terroristen in solch einem Maße, sodass dort nach Angaben der Weltbank inzwischen mehr als 30 Prozent aller Privathäuser zerstört sind. Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk sind innerhalb Nigerias mehr als zwei Millionen Menschen auf der Flucht, in den Nachbarländern befinden sich fast 200.000 nigerianische Flüchtlinge. Zwischen 20.000 und 30.000 Menschen sind dem Konflikt zwischen Boko Haram und der Regierung seit 2010 zum Opfer gefallen.

Obwohl Präsident Buhari den Kampf gegen den Terrorismus zur Priorität seiner Regierungszeit erklärt hat, konnte das Land in diesem Bereich bisher kaum Erfolge erzielen. Nachdem es Boko Haram 2015 gelungen war, weite Teile im Norden des Landes zu kontrollieren, stellten die Nachbarländer Kamerun, Niger und Tschad eine 8.700 Soldaten zählende „Multinational Joint Task Force“, die im Kampf gegen die Terroristen einige Erfolge erzielen und diese zurückdrängen konnten. Dennoch schafft es die nigerianische Regierung nicht, diese Gebiete langfristig zu sichern, sodass die Bekämpfung der Terroristen einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Obwohl Boko Haram den Fokus seiner Aktivität auf Nigeria und die Errichtung des islamischen Staats in Nigeria legt, werden der Terrorgruppe gute Verbindungen in die Nachbarstaaten nachgesagt. So wird Boko Haram von einem Rat von 20 Männern geführt, der Verbindungen nach Tschad und Kamerun unterhält, wo die Terrorgruppe auch bereits Anschläge verübt hat. Auch mit anderen Terrorgruppen wie Al-Shabaab in Somalia, Al-Qaida oder dem sogenannten „Islamischen Staat“ soll Boko Haram vernetzt sein – letzterem steht Boko Haram in Brutalität in nichts nach.

Dass der Konflikt und der Terrorismus auf kurze Sicht in Nigeria überwunden werden, scheint ausgeschlossen. Friedensgespräche mit Boko Haram sind, nicht zuletzt auf Grund fehlender Anführer auf Seiten der Terrorsekte, sehr unwahrscheinlich bis unmöglich. Vor allem die Bedrohung Nigerias durch eine Hungersnot und die zu erwartenden Fluchtbewegungen als zusätzliche Destabilisierungsfaktoren könnten als Katalysator des Terrorismus in Nigeria und der Region wirken, sofern es der „Multinational Joint Task Force“, der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft oder der Afrikanischen Union nicht gelingt, die Situation nachhaltig zu entschärfen. Eine umfassende Regionalisierung bis Internationalisierung des Konflikts, wie sie im Jemen zu beobachten ist, erscheint in Nigeria recht unwahrscheinlich, da keiner der umliegenden oder internationalen Akteure ein Interesse daran haben dürfte, die ohnehin schon von Instabilität und Armut geprägte Region durch Unterstützung der Terrorgruppe Boko Haram noch weiter zu destabilisieren. Dennoch ist aus der Region, auch auf Grund der klimatischen Veränderungen und der daraus immer schwieriger werdenden Ernährungssituation, eine Fluchtbewegung in hohem Maße zu erwarten. Da Europa hier in letzter Zeit verstärkt mit Herkunftsländern von Geflüchteten kooperiert – in anderen Worten: fragwürdige Abkommen mit Regierungen dieser Länder schließt – ist europäisches Engagement im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gut möglich.

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