Wahlen in Kosovo

Kurswechsel im jüngsten Staat Europas

, von  Laura Schatz

Kurswechsel im jüngsten Staat Europas
Neuwahlen in Kosovo. Foto: Flickr / Marco Fieber / CC BY-NC-ND 2.0

Mitte Februar wurden die Bürger*innen des jüngsten Staates Europas einmal mehr zu den Wahlurnen gebeten. Es waren vor allem die Jungwähler*innen und Frauen, die mit ihren Stimmen ein starkes Zeichen gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit setzten. In den nächsten Wochen gilt es für die Wahlgewinner*innen des Mitte-Links Bündnisses, Albin Kurti und Vjosa Osmani, eine stabile Regierung zu bilden und eine parlamentarische Mehrheit zu sichern. Eine Analyse.

Bei Minusgraden und Neuschnee waren knapp 1,8 Millionen wahlberechtigte Kosovar*innen dazu aufgerufen, am 14. Februar 2021 ein neues Parlament zu wählen. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts bescherte den Wähler*innen nun schon zum dritten Mal seit den Parlamentswahlen 2017 Neuwahlen. Von einer Wahlmüdigkeit war jedoch im Vorfeld der Wahlen nichts zu spüren. Im Gegenteil, der Wahlkampf war getragen von lebhaften Debatten in sozialen Netzwerken und einer beispiellosen Mobilisierung jener Kosovar*innen, die ihren Wohnsitz im Ausland haben. Dennoch hat letztendlich nur jede*r zweite Wahlberechtigte die Chance genützt, über die politische Zukunft des Kosovo mitzubestimmen.

Kurz erklärt: Die Entscheidung des Verfassungsgerichts

Nachdem Albin Kurtis Koalitionsregierung durch ein Misstrauensvotum der Koalitionspartnerin LDK im März 2020 gestürzt wurde, einigte sich ebendiese gemeinsam mit der AAK und drei weiteren Parteien auf eine neue Koalitionsregierung. Diese wurde vom Parlament durch ein knappes Votum mit einer Mehrheit von nur einer Stimme bestätigt. Allerdings entschied das Verfassungsgericht im Dezember 2020, dass dieses Votum als verfassungswidrig einzustufen ist. Ein Abgeordneter, der für die neue Regierung gestimmt hatte, hätte an dieser Abstimmung gar nicht teilnehmen dürfen. Er war zuvor strafrechtlich verurteilt worden und daher nach kosovarischem Recht nicht berechtigt, das Amt eines Abgeordneten auszuüben. Infolgedessen wurden Neuwahlen angesetzt.

Überlegener Wahlsieg mit Selbstbestimmung

Zusätzlich zum winterlichen Wetter und einer traditionell niedrigen Wahlbeteiligung könnte sich auch der sich bereits im Vorhinein abzeichnende Ausgang der Wahl negativ auf die Wahlbeteiligung ausgewirkt haben. Die linke Reformpartei „Bewegung Selbstbestimmung!“ (LVV), unter der Führung des ehemaligen Studentenanführers und Kurzzeit-Premierministers Albin Kurti, lag in Wahlumfragen mit 40 bis 50 Prozent vorne. Ausschlaggebend für den Wahlsieg war die Ankündigung, gemeinsame Sache mit der amtierenden Präsidentin und beliebtesten Politikerin des Kosovo, Vjosa Osmani, zu machen.

Mit historischen 48 Prozent der Stimmen zog die LVV nun überlegen an der LDK und PDK vorbei, mit denen sie bei den letzten, ebenfalls vorgezogenen, Parlamentswahlen 2019 noch Kopf an Kopf gelegen hatte. Die „Demokratische Liga des Kosovo“ (LDK), als deren Spitzenkandidatin Vjosa Osmani bei den letzten Parlamentswahlen 2019 angetreten war, fand sich mit rund 13 Prozent auf dem dritten Platz, noch vor der „Allianz für die Zukunft des Kosovo“ (AAK). Platz zwei nahm die konservative „Demokratische Partei des Kosovo“ (PDK) mit rund 17 Prozent ein. Die Parteien der amtierenden Mitte-Rechts-Regierung, welche von LDK und AAK angeführt wird, hatten sich somit eine eindeutige Niederlage einzugestehen und brachten dies am Wahlabend auch umgehend zum Ausdruck.

Mit dem Wahlsieg seiner LVV Partei bekommt Albin Kurti nun wohl eine zweite Chance als Premierminister, nachdem im März letzten Jahres die Juniorpartnerin LDK die Koalition mit der LVV aufgekündigt hatte. Inmitten der Pandemie brachte die LDK ein Misstrauensvotum gegen die gesamte Regierung ein, um anschließend eine neue Koalition mit der AAK einzugehen.

Ausgangspunkt der Zerwürfnisse war der Streit zwischen dem damaligen Premierminister Albin Kurti und dem Innenminister der LDK über den richtigen Umgang mit der auch im Kosovo schnell voranschreitenden Covid-19-Pandemie. Zudem wurde das innenpolitische Klima durch die Aktivitäten der damaligen Trump-Regierung in der Region zunehmend rauer. Konkret lauteten die Anschuldigungen, die USA wolle in der Rolle als Friedensvermittler zwischen Kosovo und Serbien kurz vor den Präsidentschaftswahlen einen schnellen außenpolitischen Erfolg verbuchen. Da sich die US-amerikanische Regierung aber offenbar im Klaren darüber war, dass Albin Kurti dem Namen seiner Partei Lëvizja Vetëvendosje! – zu Deutsch „Bewegung Selbstbestimmung!“ – alle Ehre machen würde, kam ihr der letzte Regierungswechsel im März 2020 wohl gelegen und fädelte nach seinem Abgang tatsächlich ein Abkommen zwischen Kosovo und Serbien ein. Letzteres ist inhaltlich allerdings über weite Strecken haltlos. Zwar beinhaltet das Abkommen Handelserleichterungen, löst aber das Statusproblem des Kosovo nicht.



Kosovos geographische Lage in Europa. Karte: Flickr / Nathan Hughes Hamilton / CC BY 2.0


Wenn zwei sich streiten...

Kosovo und Serbien sind sich seit den 1990er Jahren, also seit dem Zerfall Jugoslawiens, uneins über den Status des Kosovo. Während der Kosovo die Unabhängigkeit für sich reklamiert und seit dem Ende des Kosovokriegs 1999 eigene staatliche Strukturen aufgebaut hat, beansprucht Serbien das Gebiet nach wie vor für sich. Mit Ausnahme von Griechenland, Rumänien, Slowakei, Spanien und Zypern erkennen die EU-Mitgliedsstaaten Kosovo als souveränen Staat an. Es sind vor allem innenpolitische Überlegungen, wie der innerspanische Konflikt um die Unabhängigkeit der Region Katalonien, die diese fünf Mitgliedsstaaten und infolgedessen auch die EU als Ganzes von einer Anerkennung der Unabhängigkeit abhalten. Auf internationaler Ebene wird dem Kosovo die Anerkennung der USA bereits seit der Unabhängigkeitserklärung im Februar 2008 zuteil. Dahingegen blockieren die Großmächte Russland und China die Aufnahme des Kosovo als vollständiges Mitglied der Vereinten Nationen im Sicherheitsrat.

War der Kosovokrieg durch blutige Kämpfe geprägt, beschränken sich die heutigen Auseinandersetzungen zwischen Kosovo und Serbien auf gegenseitige Blockaden, Wortgefechte und Provokationen. Doch die haben es in sich. Zum Beispiel sorgte 2017 ein serbischer Zug mit der Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ für Aufregung. Er sollte die serbisch-kosovarische Grenze passieren, wurde jedoch kurz davor gestoppt. Ein Jahr später verhängte der Kosovo Importzölle von 100 Prozent auf serbische Güter, da die damalige kosovarische Regierung Serbien dafür verantwortlich machte, dass dem Kosovo die Mitgliedschaft in der internationalen Polizeiorganisation Interpol verwehrt blieb.

...ärgert sich die*der Dritte

Doch nicht nur die USA versuchen zu vermitteln. Auch die EU ist bestrebt, eine Lösung zwischen den zwei Streitparteien herbeizuführen. Seit Jahren bemühen sich die Hohen Vertreter*innen um ein erfolgreiches Ende des Dialogs. Um die Gemüter nicht noch mehr zu erhitzen, benannte die EU den Friedensprozess kurzerhand nach den zwei Hauptstädten, sodass vom Belgrad-Prishtina-Dialog die Rede ist. Die EU legt in ihren Beziehungen zu beiden Staaten das Hauptaugenmerk auf ebendiesen Dialog. Da die Beitrittsverhandlungen mit Serbien seit 2014 laufen und die Hoffnung besteht, dass auch Kosovo in der nahen Zukunft einen Schritt Richtung EU machen wird, möchte die EU das Statusproblem lösen, um einen späteren Import dieses Problems in die EU zu vermeiden.

Wirft man allerdings einen Blick auf die Inhalte des Wahlkampfs der Wahlsiegerin LVV, wird schnell klar, dass derzeit das Statusproblem im politischen Diskurs keine Priorität für einen Großteil der Bevölkerung zu haben scheint. Auch wenn die kosovarische Bevölkerung seit jeher der EU gegenüber äußerst positiv gesinnt ist, war in den letzten Wochen zunehmender Unmut über die Prioritätensetzung Brüssels zu vernehmen. Als einziges Land der Westbalkanregion wartet der Kosovo noch immer auf die Visaliberalisierung. Trotz Erfüllung aller sicherheitsrelevanter Anforderungen müssen kosovarische Staatsangehörige nach wie vor für Reisen in die EU ein Visum beantragen. Der Prozess ist aufwändig und verhältnismäßig teuer. Für ein einfaches Schengen-Visum werden 35 Euro berechnet – bei einem Mindesteinkommen von 170 Euro pro Monat ein nicht ganz unerheblicher Betrag.

Das wissen auch Albin Kurti und Vjosa Osmani, die eine Erhöhung des Mindesteinkommens auf 250 Euro fordern. Abgesehen von der lautstarken Forderung nach einer Visaliberalisierung haben europapolitische Themen in ihrem Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Stattdessen legten sie den Fokus auf Korruptionsbekämpfung, Bildung und die Schaffung von Arbeitsplätzen, was besonders bei jungen und weiblichen Wähler*innen gut ankam. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent verwundert dies wenig. Zudem rückten Albin Kurti und Vjosa Osmani auch ihre eigenen Persönlichkeiten in den Vordergrund und hoben sich von den etablierten Eliten ab. Unter den letztgenannten befinden sich Kriegsveteranen, die bei Wahlen bislang von ihrem Heldenstatus profitieren konnten. Mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren schwindet aber zunehmend der Anteil der Bevölkerung, der sich davon beeindrucken lässt.

Der Belgrad-Prishtina-Dialog hat für Albin Kurti und Vjosa Osmani aktuell keine Priorität. Die Spitzen der EU-Kommission verpassten aber auch am Tag nach der Wahl keine Gelegenheit, um mit der Übermittlung einer Gratulation an die Gewinnerpartei gleichzeitig die Bedeutung des Dialogs mit Kosovos ungeliebtem Nachbarn hervorzuheben.

Herausforderung Mehrheitsbeschaffung

Doch bevor sich die Wahlsieger wieder ihren europäischen Partner*innen und herausfordernden wirtschaftspolitischen Fragestellungen zuwenden können, stehen sie vor der Aufgabe, eine Koalition sowie eine stabile parlamentarische Mehrheit zu bilden. Aufgrund einer Besonderheit des Wahlsystems wäre der LVV nicht einmal mit einer absoluten Mehrheit die Beschlussfähigkeit im Parlament sicher. Die Verfassung sieht nämlich vor, dass zehn der insgesamt 120 Mandate für Repräsentant*innen der größten im Kosovo lebenden Minderheit, die Serb*innen, reserviert werden. Bildet die Bevölkerung albanischer Herkunft mit rund 90 Prozent die Mehrheit, beläuft sich der Anteil der serbischen Bevölkerung auf 5 Prozent. Weitere zehn Mandate entfallen auf jene Parteien, die die Interessen der Volksgruppen der Roma, Ashkali, Ägypter, Bosnier, Türken und Goranen vertreten. Obwohl sich in der Vergangenheit des Öfteren die kleinen Parteien als Königsmacher profilieren konnten, ist deren Rolle als Mehrheitsbeschaffende nicht in Stein gemeißelt.

Außerdem haben einige der größeren Parteien einer Kooperation mit einer Kurti-Regierung bereits eine Absage erteilt. Es bleibt also abzuwarten, ob es der LVV gelingt, erstmals eine stabile Mehrheit über die Legislaturperiode von vier Jahren zu bilden und das Land nachhaltig zu reformieren.

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