Was macht dieser Rat?
Im Rat der Europäischen Union, oftmals auch „Minister*innenrat“ genannt, kommen die nationalen Minister*innen der EU-Mitgliedstaaten zusammen. Geht es beispielsweise um wirtschaftspolitische Fragen, treffen sich die 27 Wirtschaftsminister*innen. Deutschland wird dann von Peter Altmaier (CDU) vertreten. Geht es hingegen um außenpolitische Fragen, treffen sich die 27 Außenminister*innen. Deutschland wird dann von Heiko Maas (SPD) vertreten. Den Minister*innenrat gibt es also in verschiedenen Personenkonstellationen.
Zu den Aufgaben des Rats der EU zählt unter anderem seine Rolle im sogenannten ordentlichen Gesetzgebungsverfahren der EU: Im Rahmen dessen werden Gesetze von der Europäischen Kommission vorgeschlagen, anschließend müssen das Europäische Parlament und der Rat der EU ihnen zustimmen.
Nicht zu verwechseln ist der Rat der EU dabei mit dem Europäischen Rat, in dem sich die Staats- und Regierungschef*innen der Mitgliedstaaten treffen, sowie mit dem Europarat, der nicht zu den EU-Institutionen zählt.
Warum wechselt die Präsidentschaft im Rat der EU?
Über einen Zeitraum von jeweils sechs Monaten übernehmen die EU-Mitgliedsstaaten abwechselnd die Präsidentschaft im Rat der EU. Durch das Rotationsprinzip sollen die Aufgaben ebenso wie der damit verbundene Einfluss zwischen den Mitgliedern gerecht verteilt werden. Deutschland übernahm zuletzt im ersten Halbjahr 2007 die Ratspräsidentschaft und wird dies im zweiten Halbjahr 2020 erneut tun.
Wie auch schon 2007 handelt es sich dabei um eine sogenannte Trio-Präsidentschaft: Deutschland arbeitet in enger Abstimmung mit den beiden in der Reihenfolge der Ratspräsidentschaft auf die Bundesrepublik folgenden Ländern Portugal und Slowenien, um ein kontinuierliches Arbeiten an Themen über den halbjährigen Zeitraum hinaus zu ermöglichen. Auch haben Deutschland und Frankreich, das im ersten Halbjahr 2022 den Vorsitz des Rates übernehmen wird, gemeinsam bekräftigt, während ihrer jeweiligen Präsidentschaften „die europäische Sache voranzubringen […] und die Souveränität Europas zu schützen und zu fördern“. Diese sehr allgemein gehaltene Absprache zeigt: Obwohl die „EU-Präsidentschaft“ ein strategisch wichtiger Moment der europäischen Führung ist, möchten Paris und Berlin ihre Partnerschaft und ihre Rolle in Europa betonen.
Eine*n einzige*n Präsident*in hat der Rat der EU übrigens nicht: Je nachdem welche Minister*innen sich treffen, übernimmt der*die jeweilige Minister*in der nationalen Regierung, die die Präsidentschaft innehat, den Vorsitz. Treffen sich im zweiten Halbjahr 2020 beispielsweise die Wirtschaftsminister*innen der EU-Mitgliedsstaaten, wird das Treffen von Peter Altmaier geleitet. Eine Ausnahme bildet der Rat für Auswärtige Angelegenheiten: Kommen die Außenminister*innen zusammen, hat grundsätzlich der*die Hohe Vertreter*in für Außen- und Sicherheitspolitik, aktuell Josep Borrell, den Vorsitz inne.
Welche Aufgaben übernimmt Deutschland während der Ratspräsidentschaft?
Aufgabe des Landes, das die Ratspräsidentschaft übernimmt, ist unter anderem das Organisieren und Koordinieren der Sitzungen. Das vorsitzende Land soll sichergehen, dass die Debatten der Minister*innen zu Entscheidungen führen, und in Diskussionen zwischen den Ländern vermitteln.
Darüber hinaus repräsentiert die vorsitzende Regierung den Rat der EU gegenüber den weiteren Institutionen der EU: Dem Europäischen Parlament legt die vorsitzende Regierung beispielsweise zu Beginn ihrer Ratspräsidentschaft einen Arbeitsplan vor und erstattet nach dem halben Jahr Bericht. Auch vertritt der Mitgliedstaat, der die Präsidentschaft innehält, die EU international – zum Beispiel gegenüber Organisationen wie den Vereinten Nationen (UN).
Wie viel Einfluss kommt Deutschland während der Ratspräsidentschaft zu?
Die Aufgaben lassen der jeweils vorsitzenden Regierungen durchaus Einfluss zukommen, beispielsweise in ihrer Funktion als Vermittlerin bei strittigen Fragen. Auch kann der jeweilige Mitgliedsstaat über die auf der Agenda stehenden Themenschwerpunkte mitentscheiden: Sowohl im Treffen des Rats zum Jahresanfang als auch bei den ersten Sitzungen der jeweiligen Konstellation, beispielsweise dem Wirtschafts- oder Außenminister*innenrat, können die Länder, die die Ratspräsidentschaft innehalten, ihre Ziele einbringen. Somit hat die jeweils vorsitzende Regierung die Chance, einzelne Themen auf die Agenda zu setzen.
Dabei kommt nicht nur der Regierung selbst Einfluss zu: Viele Stimmen, angefangen von Nichtregierungsorganisationen bis zu für Wirtschaftskonzerne arbeitende Lobbyist*innen, nutzen jetzt die Chance, ihre Perspektiven einzubringen, indem sie die Ratspräsidentschaft beeinflussen. Amnesty International und der World Wide Fund for Nature (WWF) veröffentlichten beispielsweise bereits Forderungen.
Welche Schwerpunkte möchte Deutschland während der Ratspräsidentschaft setzen?
Die Corona-Pandemie hat die Themen der Ratspräsidentschaft ordentlich durcheinander gebracht: „Drei Themen stehen im Zentrum: Krisenmanagement, Exitstrategie, Wiederaufbau!“, sagte der deutsche Botschafter Michael Clauß gegenüber Zeit Online - aber dazu später mehr.
Eines der Schwerpunktthemen ist davon abgesehen die Klimapolitik: Ziel ist das Aushandeln eines schärferen europäischen Klimaschutzziels für 2030. Nachdem CDU und CSU im Bundestag bereits eine Erhöhung der Treibhausgas-Reduktionsziele für Deutschland ablehnten, dürfte die Klimapolitik auch innerhalb der deutschen Regierung zu Diskussionen führen.
Weitere Schwerpunkte sollen die Digitalpolitik und Europas Rolle in der Welt, darunter die Außenbeziehungen unter anderem zu China, Russland und afrikanischen Ländern, darstellen. Auf der Tagesordnung werden vermutlich aber auch der Stand der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten sowie potenziell eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und eine Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein.
Auch die oftmals komplexen Verhandlungen um den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), den EU-Haushalt der kommenden Jahre, fallen in den Zeitraum der deutschen Ratspräsidentschaft. Kritisch könnte dabei der Versuch werden, Zugang zu Finanzmitteln der EU in der Zukunft an das Einhalten von nachhaltigen oder rechtsstaatlichen Prinzipien zu knüpfen. Über den MFR hinaus müssen während der Ratspräsidentschaft auch Dossiers, die nicht weiter aufgeschoben werden können, behandelt werden: Dazu gehören sowohl die Fischereiquoten der EU als auch die Brexit-Verhandlungen. Letztere sind angesichts der zum Jahresende ablaufenden Übergangsphase der Verhandlungen mit den Brit*innen von besonderer Wichtigkeit.
Inwiefern wird die Corona-Pandemie die deutsche Ratspräsidentschaft verändern?
Diese ursprünglich geplanten Schwerpunkte mussten mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie überarbeitet werden: Immer öfter ist jetzt von einer „Krisenpräsidentschaft“ die Rede. Allein aus logistischer Sicht erschwert die Pandemie die Ratspräsidentschaft erheblich: Noch ist nicht absehbar, ob die Verhandlungen vor Ort stattfinden können. Per Videokonferenz hat auch Angela Merkel bereits das Europäische Parlament über die Ziele der deutschen EU-Ratspräsidentschaft informiert.
Weiter hat die Pandemie Themen wie eine gemeinsame Koordinierung der europäischen Gesundheitspolitik, das Überwinden von Versorgungslücken mit Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie den Kampf gegen Desinformation auf die Agenda gesetzt. Dem europäischen Wiederaufbau dürfte außerdem ein besonderer Stellenwert zukommen: Nicht umsonst lautet das offizielle Motto der Präsidentschaft „Gemeinsam. Europa wieder stark machen“. So muss während der deutschen Ratspräsidentschaft unter anderem der sogenannte „Recovery Fund“, der von der Europäischen Kommission vorgestellte Fonds zum Wiederaufbau nach der Corona-Krise, verhandelt werden. Als Teil des Mehrjährigen Finanzrahmens dürfte der Fonds die Verhandlungen über ersteren mit weiterem Konfliktpotenzial ausstatten. Angesichts der Ankündigung der Kommission, 25 Prozent der Mittel in grüne und nachhaltige Förderungen im Sinne des sogenannten Green Deals zu investieren, zeichnen sich besonders intensive Verhandlungen ab. Mit der Herausforderung, die wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Auswirkungen der Krise abzufedern und zugleich die ursprünglich geplanten Themen voranzutreiben, steht die Bundesrepublik also vor einer besonderen Aufgabe.
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