Lassen Sie sich Zeit, Herr Garcia-Bercero

Brief an Europa: Ignacio Garcia-Bercero

, von  Julius Leichsenring

Lassen Sie sich Zeit, Herr Garcia-Bercero
Der Spanier Ignacio Garcia-Bercero ist Direktor der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission. © European Union , 2016 / Source: EC - Audiovisual Service / Photo: Lieven Creemers

Ignacio Garcia-Bercero ist der EU-Verhandlungsführer der Europäischen Union für TTIP. Daher widmet Julius Leichsenring ihm heute den Brief an Europa.

Sehr geehrter Herr Ignacio Garcia-Bercero,

als EU-Verhandlungsführer des transatlantischen Handelsabkommens (TTIP) haben Sie jüngst verkündet, dass die Gespräche darüber möglichst noch in diesem Jahr beendet werden sollen. Damit schlagen Sie den gleichen Ton wie Barack Obama und Kanzlerin Angela Merkel an. Beide Staatenlenker drängten beim Besuch des US-Präsidenten in Deutschland auf einen schnellen Abschluss der Verhandlungen. Hintergrund mag sein, dass die Amtsperiode Obamas sich dem Ende nähert. So stehen am 8. November die US-Präsidentschaftswahlen an. Je weiter die Verhandlungen bis zu diesem Zeitpunkt gediehen sind, desto geringer ist die Gefahr, dass der neu gewählte US-Präsident oder Präsidentin einzelne Punkte nachverhandeln möchte und damit ein Abschluss in weite Ferne rückt.

Doch den Schwerpunkt, den Sie und die Staatenlenker dies und jenseits des Atlantiks legen, ist falsch. Ihre Hauptsorge rund um TTIP sollte nicht sein, dass dessen Abschluss sich eventuell um einige Monate verzögert. Vielmehr geht es darum, die Akzeptanz für das Handelsabkommen innerhalb der Bevölkerung zu erhöhen. Laut einer repräsentativen Umfrage von YouGov im Auftrag der Bertelsmann Stiftung lehnt jeder Dritte Deutsche das Abkommen ab. Nicht anders sieht es in anderen europäischen Staaten aus: in Frankreich positioniert sich der Front National gegen TTIP und auch in Großbritannien werden die kritischen Stimmen lauter.

Derzeit wird die öffentliche Debatte um TTIP in der EU nur zwischen den Polen vollständige Ablehnung oder euphorische Zustimmung geführt. Gegner befürchten private Ausschüsse, die internationales Recht und damit Staaten unter Druck setzen können. Zudem wähnen sie ein Absenken europäischer Umwelt-, Verbraucher- und Sozialstandards. Letztendlich sei TTIP ein Auswuchs ultraliberaler Wirtschaftslenker. Befürworter werfen den Gegnern Realitätsverlust und Anti-Amerikanismus vor. Die öffentliche Daseinsvorsorge sei aus den Verhandlungen ausgenommen, weswegen kein Absenken von Standards drohe. Vielmehr biete TTIP mit der Schaffung des größten Wirtschaftsraums der Welt riesige Chancen, um Wohlstand und Wachstum zu sichern. Vorwürfe und ideologische Grabenkämpfe prägen die Debatte, Grautöne gibt es kaum.

Das ist auch nicht wirklich möglich, weil es an verlässlichen und verständlichen Fakten mangelt. Daran ändern auch die acht PCs nichts, die seit Januar im Bundeswirtschaftsministerium stehen. Bundestagsabgeordnete – und nur diese – können dort die Verhandlungsunterlagen einsehen, die in schwierigen Handels-Englisch verfasst sind. Transparenz sieht anders aus. Deswegen sollten Sie sich verstärkt für den öffentlichen Zugang zu den Unterlagen einsetzen, Herr Garcia-Bercero. Die Zivilgesellschaft, Politiker und privatwirtschaftliche Organisationen müssen die Möglichkeit erhalten, anhand der Dokumente ihre Meinung medienwirksam zu begründen. Demokratie lebt davon, dass jeder Bürger unabhängig seines Bildungshintergrundes sich eine eigene Meinung bilden kann und nicht nur zwischen zwei Extrempolen entscheiden darf. Dafür muss genügend Zeit sein.

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