Der Europäische Traum

Mehr Vertrauen in die Zukunft Europas

, von  Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen

Mehr Vertrauen in die Zukunft Europas
Foto: © Laurence Chaperon / wolfgang-schaeuble.de

Wolfgang Schäuble schreibt über Grenzkontrollen, gemeinsame Golfteams und die Direktwahl des Kommissionspräsidenten und meint damit, dass wir in Bezug auf Europa weniger kleinmütig sein sollten. Ein Kommentar von Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finanzen.

Europa wird gegenwärtig vor allem im Zusammenhang mit Krisen erwähnt. Man könnte manchmal meinen, auch die Zukunft Europas werde in erster Linie durch Probleme und Krisen bestimmt, insbesondere wenn man dazu neigt, die aktuelle Situation unverändert immer weiter fortzuschreiben. Dies hieße jedoch, den Antrieb und die Fähigkeit der Menschen zu unterschätzen, aus Fehlern zu lernen und Veränderungen zu bewirken. Die Menschen haben schon oft in der Geschichte erfolgreich unter Beweis gestellt, wie sie ihr Schicksal zum eigenen Wohl in die Hand nehmen können. Ich habe keinen Zweifel, dass uns dies auch in Europa gelingen wird.

Unbestritten läuft derzeit vieles in Europa nicht ideal. Die Krise dreht sich um hohe Schuldenstände und schwere wirtschaftliche Probleme in einer Reihe von Ländern der Eurozone. Nicht zuletzt die viel zu hohe Jugendarbeitslosigkeit ist besorgniserregend. Die betroffenen Länder haben viele Jahre lang über ihre Verhältnisse gelebt und in der Folge das Vertrauen der internationalen Geldgeber verloren. Wir sind nun dabei, umzusteuern und das verlorene Vertrauen Stück für Stück zurückzugewinnen. Die wirtschaftlich starken Länder – darunter Deutschland – gewähren den Krisenländern für eine gewisse Übergangszeit finanzielle Hilfe in Form von Darlehen. Diese Zeit nutzen die betroffenen Länder, um sich von Grund auf zu reformieren. Dies ist nicht immer leicht und mit harten Einschnitten für die Menschen verbunden, wie die Proteste in den Ländern zeigen. Aber es ist die einzige Chance für diese Länder, um wieder auf die Beine zu kommen.

Einige Kritiker meinen, Deutschland könne auch ohne den Euro gut leben, und fordern ein Ende unserer Solidarität mit den Krisenländern. Ich glaube, diese Kritiker verkennen die Lage. Denn das Risiko ist nicht zu unterschätzen, dass ein etwaiges Ende der Währungsunion viele andere europäische Gewissheiten in Frage stellen würde – auch und gerade den europäischen Binnenmarkt mit seinen offenen Grenzen und seiner wirtschaftlichen Freiheit. Der Euro ist der wichtigste und sichtbarste Motor der europäischen Integration. Wenn erst einmal ein Prozess der Spaltung in Fahrt käme, würde wohl kein Stein auf dem anderen bleiben. Dann wäre gerade Deutschland der große Verlierer. Denn gerade Deutschland profitiert vom Euro und von Europa besonders stark.

Die Kritiker zeichnen ein Bild von der vermeintlichen Einfachheit früherer Zeiten, das mit meinen Erinnerungen nicht so recht zusammenpassen will. Ob nun Währungsumtausch, Grenzkontrollen oder Zollbürokratie – ich habe das alles nicht als besonders erfreulich empfunden. Vieles kostete Nerven und war beschwerlich. An ein Auslandsstudium in einem anderen europäischen Land, das heute so selbstverständlich ist, war für viele Studenten damals überhaupt nicht zu denken. Ich bin überzeugt, dass das alte Denken innerhalb von Nationalstaaten nicht mehr in unsere Zeit passt. Wir leben im Zeitalter der Globalisierung, der schnellen Informations- und Kommunikationstechnologien, der unbegrenzten Mobilität. Wenn Waren rund um die Welt gehandelt werden – und davon ja auch endlich die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern profitieren – sollten wir in Europa nicht wieder damit anfangen, über Renationalisierungen nachzudenken. Wenn Menschen auf der Welt überall und jederzeit über soziale Netzwerke kommunizieren, wirkt ein Zurück zur alten Welt der Nationalstaaten auf mich wie die Flucht in eine andere Realität.

Wir müssen in Europa auch aus einem weiteren Grund unsere Kräfte bündeln und zusammenstehen: Die Welt wartet nicht auf uns. Viele dynamische Länder mit weiterhin zunehmender Bevölkerung wollen endlich zu Wachstum und Wohlstand kommen. Wenn wir in Europa unseren Lebensstandard und unser Modell der sozialen Sicherheit erhalten wollen, können wir dies nur gemeinsam als Europäer schaffen. Was uns in Europa so wichtig ist – Freiheit, Demokratie, sozialer Zusammenhalt, Nachhaltigkeit, Kultur, Rechtsstaatlichkeit – ist nicht in allen Ländern der Welt selbstverständlich. Wir werden diese Werte nicht als Einzelkämpfer bewahren können. Einzelne Staaten werden auch nicht in der Lage sein, die globalen Probleme unserer Zeit anzugehen: Klimawandel, Rohstoffknappheit, Terrorismus, Finanzkrisen, Pandemien, Verteilungskonflikte. Dafür braucht es neue Formen der Kooperation, die allein nicht zu bewältigen sind. Europa gibt uns die Chance, unsere Interessen in der Welt zu wahren.

Ich bin immer begeistert, wenn die Europäer gemeinsam miteinander agieren, wie etwa im Fußball im Rahmen der Champions League oder in der Musik beim Eurovision Song Contest. Besonders freue ich mich, wenn wir auch gegenüber der Welt gemeinsam als Europäer auftreten. Ein Beispiel ist der Ryder Cup im Golfsport, wo die Europäer eine gemeinsame Mannschaft bilden. Ich verfolge den Golfsport nicht besonders intensiv, aber ich finde diese Idee vorbildhaft für andere Sportarten und Lebensbereiche. Auf diesem Weg können wir auch ein wenig dazu beitragen, über kurz oder lang so etwas wie eine gemeinsame europäische Öffentlichkeit herzustellen. Das bedeutet, Europäer – egal ob in Finnland, Luxemburg oder Rumänien – haben Themen und Debatten, die sie gemeinsam berühren. Das ist wichtig, um Entscheidungen auf europäischer Ebene auch demokratisch breit absichern zu können.

Die europäische Öffentlichkeit ist auch der Grund, warum ich mich schon länger für die Direktwahl des Präsidenten der Europäischen Kommission ausspreche. Er wird bisher von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten ernannt und muss vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Dagegen könnte ein lebendiger Wahlkampf um das Präsidentenamt von Lappland bis nach Sizilien ebenfalls dazu beitragen, eine neue europäische Identität zu vermitteln. Natürlich wird so ein Schritt einzubetten sein in die Frage, wie wir generell in Europa unsere Institutionen stärken und demokratisieren können und was wir Europa an Zuständigkeiten anvertrauen wollen und was nicht. Diese Prozesse werden nur schrittweise vorangehen, wie so oft in Europa. Aber ist es nicht besser, in kleinen, pragmatischen Schritten vorwärts zu gehen, als prinzipientreu fest eingemauert stehen zu bleiben?

Europa – das ist eben nicht nur Krise. Europa ist für uns auch Heimat. Eine Heimat, die zu den lebenswertesten und wohlhabendsten Regionen der Welt gehört. Wenn wir es schaffen, die aktuelle Krise durch kluge Reformschritte zu überwinden, werden wir in ein paar Jahren stolz auf uns sein können. Die Politik wird ihren Beitrag dazu leisten. Genauso wichtig für die Zukunft Europas sind aber auch die unzähligen gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnisse gerade der jungen Menschen in Europa. Austauschprogramme, Auslandssemester, Sprachreisen oder Praktika in anderen europäischen Ländern – die Möglichkeiten, um Europa immer besser kennenzulernen, sind für Jugendliche vielfältig und zahlreich. Den anderen Ländern auf der Welt, die Europa mit großer Spannung verfolgen, können wir zeigen, dass uns an einer gemeinsamen Zukunft gelegen ist. Manchmal brauchen wir nur eben etwas weniger Kleinmut und etwas mehr Vertrauen in unsere eigene Leistungsfähigkeit.

Dieser Artikel erschien zuerst am 05. November 2013 im Move-Magazin.

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