Ungleichheit als Wachstumskiller
Wirtschaftswachstum und eine geringe soziale Ungleichheit schließen sich nicht aus. Im Gegenteil. Wie aktuelle Studien von OECD und Internationalem Währungsfond nahelegen, wirkt gerade eine steigende soziale Ungleichheit wachstumshemmend. In vielen OECD-Mitgliedsländern stieg die Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten rasant an. Während gesamtwirtschaftliche Einkommenszuwächse vor allem den obersten Einkommensgruppen zugutekamen, profitierte die untere Hälfte aller Einkommensgruppen dagegen kaum.
Weniger klar ist dabei, wie Ungleichheit das Wachstum hemmt. Eine Möglichkeit ist, dass ungleich verteiltes Vermögen den Konsum dämpft und auch die Binnennachfrage beeinträchtigt. Reiche Menschen konsumieren einen relativ kleineren Teil ihres Vermögens und neigen stärker dazu, Vermögen spekulativ zu verwenden oder ins Ausland zu transferieren. Die Studie der OECD hingegen geht davon aus, dass steigende Ungleichheit die schulische Entwicklung von Kindern „bildungsferner“ Haushalte beeinträchtigt. Deren mangelnde Qualifikation wiederum lasse das Wirtschaftswachstum mittelfristig schwächer ausfallen, weil Arbeitgeber nicht mehr auf ausreichend qualifiziertes Personal zurückgreifen können.
Konservative Ökonomen, wie der Amerikaner Arthur M. Okun, argumentieren, dass Umverteilung zwingend ineffizient ist. Es entstehen Verwaltungskosten und sowohl Reiche als auch Arme hätten weniger Anreiz zu arbeiten oder zu investieren. Nicht die Ungleichheit selbst, sondern Umverteilung sei folglich der Grund niedrigeren Wachstums. Dieser Engführung von Umverteilung und niedrigem Wachstum erteilen die Studien jedoch eine klare Absage. Nicht notwendigerweise führe die Umverteilung von Einkommen und Vermögen zu niedrigerem Wachstum, so die Autoren. Häufig sei sogar das Gegenteil der Fall.
Europa stagniert seit Jahren
Der jüngste Beschäftigungsbericht der Europäischen Kommission betont zwei beunruhigende Tendenzen. Zum einen tut sich eine Kluft auf zwischen den nördlichen und den südlichen Ländern der Eurozone. Speziell die südlichen Programmländer der Troika haben mit anhaltenden wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen zu kämpfen. Zum anderen stabilisierte sich die Wirtschaft bis zum Sommer 2013 und mit ihr die Beschäftigungsrate – auf niedrigem Niveau. Die selbst auferlegten Ziele der Europa 2020-Strategie sind unter diesen Umständen nicht erreichbar.
Europas Wirtschaft ist bar jeder Dynamik und seit Beginn dieses Jahres hat sie noch mit einem weiteren Problem zu kämpfen. Bereits durch die Finanz- und Staatsschuldenkrise gehörig gebeutelt, brachte die Sanktionsspirale im Ukraine-Konflikt das europäische Wirtschaftswachstum endgültig zum Erliegen. Der Wegfall des russischen Exportmarkts ist bedeutsam. Die deutsche Industrie ist davon genauso betroffen, wie Europas Bauern im Mittelmeerraum, Polen und das Baltikum. Immerhin war Russland 2013 mit einem Gesamthandelsvolumen von 326 Mrd. Euro der drittwichtigste Handelspartner der Europäischen Union. Die frostigen Beziehungen zu Russland sind freilich nicht der einzige Grund der schleppenden wirtschaftlichen Erholung. Aber sie treffen die EU zu einem äußert ungünstigen Zeitpunkt.
Mit Umverteilung Europas Zukunft meistern
Europa steckt in der Rezession. Für 2014 rechnet die Europäische Kommission mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent in der EU und mageren 0,8 Prozent in der Eurozone. Mittelfristig muss die EU die fatale Beschäftigungslage in den Griff bekommen. Langfristig aber geht es darum, den demografischen Wandel in Europa zu meistern. Das kann allerdings nur dann gelingen, wenn wieder stärker in die Produktivität der europäischen Wirtschaft investiert wird.
Großzügige Umverteilungsprogramme, das macht der Beschäftigungsbericht der Kommission deutlich, wirkten während der Krise stabilisierend. Auch gelten jene Mitgliedstaaten mit relativ ausgeprägten Wohlfahrtsstaaten als besonders wettbewerbsfähig. Dies stützt die Thesen des OECD-Berichts.
Auch in Brüssel hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass neue Investitionen unumgänglich sind. Junckers Investitionspaket ist allerdings mit erheblichen Risiken verbunden. Zunächst kann man davon kaum einen anhaltenden Impuls für Europas Wirtschaft erwarten. Außerdem ist die Verlusthaftung der EU-Mitgliedstaaten für private Investitionen im Lichte milliardenschwerer Bankenrettungen durch den Steuerzahler untragbar (wir berichteten).
Um Europa aus der Rezession zu hieven, braucht es entschlossene Schritte. Bereits vor einiger Zeit diskutierte ein Arbeitspapier des IWF die Möglichkeit einer einmaligen Vermögenssteuer auf Privatbesitz von 10 Prozent, um Europas wuchernde Staatsschulden in den Griff zu bekommen. Das war kontrovers und mutig. Ob man so weit gehen muss, sei hier einmal dahingestellt. Wichtiger ist die Einsicht, dass mehr Umverteilung unter den gegebenen Umständen den Konsum ankurbelt und zu durchschnittlich höheren Qualifikationen führt. Gerade deshalb muss dies ein fester Bestandteil einer gesamteuropäischen Investitions- und Wachstumsstrategie sein.
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