National, Europäisch und Global: Sicherheitspolitik und ihre Vernetzung auf verschiedenen Regierungsebenen

, von  Antonella Giordano, übersetzt von Stephan Raab

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National, Europäisch und Global: Sicherheitspolitik und ihre Vernetzung auf verschiedenen Regierungsebenen
Das Schiff Tender Werra A 514 hat an der EU-Operation Sophia im Mittelmeer mitgewirkt Bildquelle: Wikimedia Commons / Wusel007 / CC BY-SA 3.0

Vernetzung oder präziser auf Englisch Interconnectedness. Dieses Wort fällt stets, wenn über internationale Beziehungen diskutiert wird. Sofort verbinden wir dies mit dem Bild zweier Premierminister, welche sich die Hände schütteln. Aber der Begriff Interconnectedness geht noch über dieses Bild hinaus. Dieser beschreibt die Interaktionen zwischen den verschiedenen Ebenen der Regierungsführung, ob national, regional oder auf globaler Ebene.

Was bedeutet multi-level-interconnectedness, die Vernetzung dieser Ebenen wirklich? Um dies zu verstehen genügt ein Blick auf die Geschehnisse internationaler Beziehungen in einem Multi-Level, sprich Mehrebenensystem.

Man stelle sich vor, Herr X wäre Bäcker. Er backt die besten Kuchen in der Stadt. Nun stelle man sich vor, die Kuchen von Frau Y seien besser, da sie nur frische Früchte zum Backen verwendet. Die Kuchen von Frau Y sind aufgrund der großen Nachfrage stets ausverkauft. Als Reaktion beschließt Herr X nun eine innovative, neue Schokolade zu verwenden, um die Verkaufszahlen zu steigern, neue Kunden zu gewinnen und sich den Titel „Bester Bäcker in der Stadt“ zu sichern. Darauf entwickelt Frau Y ein neues Rezept und so weiter und so fort.

Ersetzt man Herr X und Frau Y durch Staaten, so bleibt das Szenario unverändert. Tatsächlich beeinflusst auf der internationalen Bühne jede nationale Politik die nationale Politik der anderen Staaten, wird aber auch von dieser selbst beeinflusst. Heute, in diesem historischen Moment, am Höhepunkt der Globalisierung, ist dieser Prozess der Einflussnahme so stark, dass Staaten stetig die nationalen Interessen anderer Staaten bestimmen. Aber dies geschieht nicht nur zwischen Staaten, sondern erfolgt auch auf den unterschiedlichen Ebenen der Regierungen. Folglich beeinflussen sich die nationale, die europäische und die globale Ebene gegenseitig.

Ein praktisches Beispiel, um die Vernetzung im Mehrebenensystem zu begreifen ist das kontroverse und oft diskutierte Thema der Migration. Dies hat zu einer neuen Betonung der Sicherheitspolitik (Securitisation) geführt. Zunächst ist es wichtig zu definieren, was unter Securitisation zu verstehen ist. Dies ist die Darstellung eines Themas als existentielle Bedrohung, welche dringend besondere Notmaßnahmen erfordert, auch wenn diese Maßnahmen den Rahmen des normalen politischen Vorgehens weit überschreiten. Es ist unerheblich, ob das Thema per se eine Bedrohung darstellt. Viel entscheidender ist, dass es der entsprechenden Zielgruppe als solche vermittelt und von dieser auch als solche akzeptiert wird.

Von der Nation zur Region: Europäische Staaten, Sicherheit und die EU

Seit einigen Jahren hat eine nicht unbeträchtliche Zahl von europäischen Regierungen entsprechende Sicherheitsmaßnahmen im Bereich der Migration ergriffen. Ausgelöst und erschüttert durch die Anschläge auf die Zwillingstürme in New York 2011, begann die politische Führung in Europa, Migration als eine Bedrohung für die nationale Selbstbestimmung, Identität und Sicherheit auszumachen. Dies kann zu folgender Situation führen: Auf der einen Seite wird die nötige internationale Zusammenarbeit zur Begegnung der Migrationsströme als Bedrohung der eigenen Autonomie wahrgenommen. Auf der anderen Seite wird die eigene nationale Identität als gefährdet gesehen, da das Konzept von Multikulturalismus nicht mit einer ethnischen Identität als Nation vereinbar ist.

Gleichzeitig vermittelt die Assoziation von Migration und Terrorismus den Eindruck, die nationale Sicherheit stünde auf dem Spiel. In diesem Szenario, in welchem die drei Säulen staatlicher Souveränität gefährdet sind, haben viele europäische Staaten damit begonnen, eine Politik gegen Zuwanderung unter besonderer Betonung der Sicherheit zu verfolgen. Diese basiert vor allem auf dem Schlagwort, die Situation vor Ort in den Herkunftsländern zu verbessern. Ein Beispiel hierfür liefern der Wahlkampfslogan zur Europawahl des italienischen Premierminister Matteo Salvini („Stoppt die Bürokraten, Stoppt die Bänker, Stoppt die „Gutmenschen“ und Stoppt die „Boote“) oder die drakonische Politik Ungarns hier zu nennen.

Sollten weitere europäische Staaten dieses Gedankenbild teilen, wird dieses auf die europäische Regierungsebene übertragen, in welcher Rat und Parlament in gemeinsamer Abstimmung die Entscheidungen treffen. Während der Rat die nationalen Regierungen repräsentiert, besteht das Parlament aus einzelnen Abgeordneten, welche von Bürger*innen gewählt wurden, die eine besondere Rolle der Sicherheitspolitik in der Migration akzeptiert haben. Folglich werden Entscheidungen der Europäischen Union nationale Vorstellungen widerspiegeln. Anders ausgedrückt, wenn nationale Positionen gegen Zuwanderung gerichtet sind, wird sich dies konsequenterweise auch auf europäischer Ebene wiederfinden.

Glücklicherweise ist die EU ein heterogenes Gebilde. Dies bedeutet, dass nicht alle Staaten die gleichen Ansichten zu Migration teilen. Nichtsdestotrotz sind diese von der EU mit einer negativen Migrationspolitik beeinflusst worden, welche migrationsskeptische Regierungen unterstützen und vorantreiben.

Von der Region zur Nation: Die EU beeinflusst nationale Einstellungen

Die EU hat sich nahezu dazu entschieden die nationalen Sicherheitspolitiken gegenüber Migration fortzuführen. Dies beginnt bei der Darstellung des großen Migrationszustroms als eine Krise, welche besondere Notfallmaßnahmen bedürfe. Auf diese Weise hat die EU nicht nur das Gefühl der Unsicherheit unter den Bürger*innen verstärkt, sondern sie hat auch eine sicherheitsbetonte Politik gefördert als Umsetzung dieses neuen Sicherheitsbedürfnisses. Die Betonung dieser Politik liegt auf militärischen Fragen, wie etwa Grenzkontrollen, Rückführungen und Wiedereinreisen. Fundamentale Rechte sind bei diesem Prozess in den Hintergrund getreten wie die Europäische Agenda der Migration demonstriert.

Ein besonderes Augenmerk sollte dem „Hotspot-Ansatz“ gewidmet werden, welcher in der Europäischen Agenda der Migration vorgeschlagen wird. Ein Hotspot wird dort definiert als „ein Gebiet an der Außengrenze der Europäischen Union, welches besonderen Migrationsdruck erfährt.“ (Danish Refugee Council) In den lokalen Aufnahmeeinrichtungen erfolgt die Erstaufnahme, die Identifizierung sowie die Registrierung unerlaubter Zuwanderer*innen. Eigentlich sollten diese Einrichtungen den internationalen und europäischen Normen entsprechen, jedoch steht die Behandlung unerlaubter Migration, insbesondere in Italien und Griechenland, diesem entgegen. Überfüllte Einrichtungen mit katastrophalen hygienischen Bedingungen, geringen Zugang zu Duschen sowie fehlender Privatsphäre zeugen davon. Die Hotspot Lösung ist nichts anderes, als das Ziel der EU, Abschreckung zu betreiben, um neue Ankünfte zu verhindern.

Ein anderes markantes Beispiel dieser europäischen Sicherheitspolitik ist die Operation Sophia. Diese repräsentiert die globale Ebene der Regierungsführung, in diesem Fall die Vereinten Nationen, welche die europäische Ebene hier noch weiter beeinflusst hat.

EU-UN: Die regionale und die globale Ebene stützen sich gegenseitig

Die EU wird durch zwei ständige Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten. Das Vereinigte Königreich und Frankreich. Es erscheint daher unwahrscheinlich, dass der Sicherheitsrat je Entscheidungen gegen die Interessen der EU treffen wird. Folglich unterstützte der Sicherheitsrat den Vorschlag der EU, die Operation Sophia 2015 zu starten. Dieser bestätigte das Vorgehen in der Resolution 2240. Diese Resolution machte die EU-Operation zu einer Mission, legitimiert durch Kapitel VII der UN-Charta. Tatsächlich haben Mitgliedsstaaten aufgrund der Resolution das Recht, Schiffe auf hoher See bis hin zur lybischen Küste zu inspizieren, zu beschlagnahmen oder gar zu vernichten. Es ist ihnen dabei gestattet, „alle den speziellen Umständen nach nötigen Maßnahmen“ gegen Schmuggel und Menschenhandel einzusetzen. In anderen Worten, legitimierte der Sicherheitsrat auch den Einsatz von Gewalt.

Die Tatsache, dass die Vereinten Nationen die Resolution verabschiedet haben, bestätigt die unausgesprochene Bedeutung der EU-Staaten in den Vereinten Nationen. Diese sind gleichsam gefürchtet von ihren „Kolleg*innen“, wobei der Sicherheitsrat gleichsam die EU-Sicherheitspolitik gegenüber Migration akzeptiert hat. Die große Problematik dieses Vorgehens ist, dass die Anwendung der Charta hier einen Präzedenzfall für eine humanitäre Krise schafft, welcher in Zukunft nicht mehr ohne weiteres zu umgehen sein wird.

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