Nichts zum Knabbern - USA und EU reagieren auf die Chip-Krise

, von  Johanna Müller

Nichts zum Knabbern - USA und EU reagieren auf die Chip-Krise
Eine Computerplatine bei de Herstellung Foto: Ranjat M / Pixabay

Unvorstellbar klein mit gigantischer Auswirkung: Ein durchschnittlicher Halbleiter misst gerade einmal 0.0000014 cm, und bringt doch die (digitale) Welt zum Stillstand, sofern er mal nicht wie gewohnt in großen Mengen zur Verfügung steht. Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen bringt es auf den Punkt: „There is no digital without chips“.

Den ersten bewussten Kontakt mit dem kleinen Wunder namens Halbleiter (auch Chips genannt) haben viele bereits in der Schule, wo uns deren sonderbaren Eigenschaften und auch ihre Unentbehrlichkeit in vielerlei technischen Geräten vermittelt wurde: Halbleiter, um es einfach zu halten, ermöglichen ein kontrolliertes Einsetzen von elektrischen Strömen und Spannungen. Es handelt sich um kleine Elemente, die normalerweise aus Silizium sind, deren elektrische Leitfähigkeit nach Belieben verändert werden kann. Das wird in einer einfachen Fernbedienung ebenso benötigt wie in einem Smartphone, einem Elektroauto oder hochkomplexer Medizintechnik. Die Chips sind seit einigen Jahren gefragter denn je.

Mit der zunehmenden Digitalisierung steigt der Bedarf an Halbleitern rapide, und nicht zuletzt die Pandemie sorgte aufgrund der hohen Nachfrage nach Kommunikations- und Unterhaltungselektronik für eine Sonderkonjunktur.

Sie wächst und wächst und wächst: Die Halbleiterindustrie

Steigende Nachfrage, hohe Produktionszahlen, milliardenschwerer Wirtschaftszweig: Die weltweite Umsatz-Prognose für das Jahr 2023 liegt bei stolzen 556,57 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2020 wurden 1 000 000 000 000 Mikrochips hergestellt – das sind durchschnittlich 130 Chips pro Mensch. Im Vergleich: 1990 lag der Umsatz bei rund 50 Milliarden US-Dollar.

Europa spielt mit 8%-10% des globalen Gesamtmarktanteils eher eine Nebenrolle. Zwar werden in Europa auch Chips produziert, doch der Import übersteigt den Export deutlich. Auch die USA sind importabhängig. Vor rund drei Jahrzehnten waren die Vereinigten Staaten mit 37% Anteil am damals noch recht überschaubaren und steten Halbleitermarkt gut aufgestellt. In dem Wettlauf zwischen der steigenden Nachfrage und Produktion waren dann aber andere Länder wie Taiwan, China oder Südkorea schneller, und so liegt das Zentrum der Industrie mittlerweile in Südostasien. Der größte und umsatzstärkste Chips-Lieferant ist Samsung Electronics (Südkorea), gefolgt von Intel (USA), auf Platz 3 liegt die Firma TSMC in Taiwan. Die USA stellen heutzutage einen Marktanteil von 12%, während Südostasien auf rund 60% kommt.

Never touch a running system?

Die Halbleiterkrise deutete sich seit 2018 langsam mit einigen Vorboten an, doch bis zum großen Zusammenbruch 2020 hat das globale Geflecht aus Herstellung und Lieferung, aus Import und Export noch einigermaßen reibungslos funktioniert. Dann kamen Lieferschwierigkeiten und ein eklatanter Halbleitermangel.

Eine Besonderheit der Chips ist deren begrenzte Lagermöglichkeit. Die Halbleiter haben eine Art Verfallsdatum, können also nicht einfach so vorbestellt und eingelagert werden, um sich in Krisensituationen aus dem Vorrat bedienen zu können. Stattdessen werden die Teile nach dem on-demand oder auch just-in-time-Prinzip produziert. Als zu Beginn der Pandemie die Nachfrage nach Neuwagen in der Automobilindustrie einbrach, stornierten viele Autohersteller ihre Aufträge mit den Herstellern. Gleichzeitig verhängten die USA im Rahmen ihres Handelskriegs mit China Sanktionen gegen den Tech-Riesen Huawei. Chinesische Hersteller kauften daraufhin die Märkte leer, denn auch China kann trotz hoher Produktionszahlen den Inlandsbedarf nicht decken und ist somit ebenfalls auf Importe angewiesen. Als die Nachfrage sowohl in der Automobilindustrie als auch in der Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik wieder rasch anstieg, gaben blockierte Schifffahrtswege, extreme Wetterbedingungen, welche Produktion und Lagerung erschwerten, sowie verheerende Lieferkettenprobleme dem Halbleitermarkt den Rest.

Vertrauen ist gut, Eigenproduktion ist besser

Wie hoch der Preis der Abhängigkeit von der Exportfähigkeit anderer Länder ist, haben Wirtschaft und Politik deutlich zu spüren bekommen. Die Lieferengpässe verursachten in vielen Volkswirtschaften Verluste in Milliardenhöhe. Um in Zukunft solche Ausfälle zu vermeiden oder zumindest besser kontrollieren zu können, wollen die USA und die EU in Sachen Halbleiterproduktion selbständiger werden und selbst Hand anlegen. Ein Überblick.

USA: CHIPS and Science Act

Schon 2020 kündigte der US-amerikanische Präsident Joe Biden an, ein Gesetzespaket auf den Weg zu bringen, das die heimische Produktion der Halbleiter anregen soll. Am 9. August 2022 war es dann soweit: Joe Biden unterzeichnete den „CHIPS and Science Act“ (CHIPS = Creating Helpful Incentives to Produce Semiconductors).

Ausgesprochenes Ziel ist die Förderung der Forschung sowie der Herstellung von Halbleitern in den USA, um deren Wettbewerbsfähigkeit und nationale Sicherheit weiterhin gewährleisten und sogar steigern zu können. Weiterhin heißt es auf der Website des Weißen Hauses: „Lower Costs, Create Jobs, Strengthen Supply Chains, and Counter China“.



Mit dem stattlichen Budget von 280 Milliarden US-Dollar soll der ganze Sektor kräftig angekurbelt werden. Zu großen Teilen wird das Geld in die Forschung, Entwicklung und Kommerzialisierung der Chips fließen. Außerdem sollen davon teilweise Programmmittel und Gehälter bezahlt werden. Das umfangreiche Vorhaben erfordert dabei nicht nur staatliche Mittel. Die Regierung ruft ausdrücklich auch Bürger*innen auf, zu investieren, zu gründen, zu unterstützen. Kurzum: privates Kapital zu nutzen, um beim Ausbau des Halbleiter-Ökosystems zu helfen. Ein Teil des Budgets soll daher auch als Steuergutschrift (in Höhe von 25%) einen Anreiz für Investitionen in den USA schaffen. Die Vergabe von finanziellen Mitteln wird dabei genau kontrolliert und unterliegt strengen Regeln, wie zum Beispiel dem Verbot, in den nächsten zehn Jahre bedeutende Transaktionen „in China oder anderen besorgniserregenden Ländern durchzuführen“. Das CHIPS-Programm verspricht potenziellen Investoren finanzielle Unterstützung, und durch die strengen Investitionskontrollen gleichzeitig ein „Leitplanken-Schutzsystem“ für die Steuerzahler*innen. Finanzielle Hilfe sollen für Neugründungen genutzt werden, nicht um bereits existierende Unternehmen profitstärker zu machen.

Das europäische Pendant: European Chips-Act

Auch die EU zieht mit (oder nach…?). Im Februar 2022 schlug die Europäische Kommission Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Halbleitermarkts vor, die insbesondere der starken Abhängigkeit von Exportländern entgegenwirken sollen. Knapp 14 Monate später, am 18. April 2023, dann die frohe Botschaft: das Europäische Parlament und der Europäische Rat haben sich geeinigt. Es fehlt nun also lediglich die förmliche Billigung der beiden gesetzgebenden EU-Organe. Die Vision des European Chips Act ist optimistisch: Der europäische Gesamtmarktanteil an der Halbleiterproduktion von 8%- 10% soll bis 2030 auf 20% gesteigert werden. Somit soll Europas technologische Souveränität, Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit gewährleistet werden.



Dazu sieht der European Chips Act neben einer umfassenden Handlungsstrategie auch Empfehlungen an Mitgliedstaaten, einen Verordnungsvorschlag sowie ein Budget von 43 Milliarden Euro vor. Bei dem Budget stellt die EU planmäßig selbst lediglich 3.3 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt. Der Rest soll aus anderen Programmen umgewidmet werden sowie von Mitgliedsstaaten und privaten Investoren kommen.

Die fünf strategischen Hauptziele sind:
-1 Stärkung der Forschungs- und Technologieführerschaft;
-2 Aufbau und Stärkung der Kapazitäten Europas zur Innovation bei der Entwicklung, Herstellung und Verpackung fortschrittlicher Chips;
-3 Schaffung eines angemessenen Rahmens zur Produktionssteigerung bis 2030
-4 Bewältigung des Fachkräftemangels und Gewinnung neuer Talente;
-5 Entwicklung eines tiefgreifenden Verständnisses der globalen Halbleiterlieferketten.

Im Rahmen des European Chips Act werden weitere Initiativen ins Leben gerufen und in den Prozess mit eingebunden, die die kontrollierte Ankurbelung der europäischen Chip-Industrie unterstützen. Mit dabei ist beispielsweise eine europäische Marktbeobachtung und Krisenvorhersage, die die Lage analysiert und rechtzeitig (ein-)greifen soll, um bei diesem umfassenden Vorhaben die nötige Sicherheit zu gewährleisten.

Die USA und Europa verfolgen zukünftig in Sachen Halbleiter also ein ähnliches Ziel: weniger Import und Abhängigkeit, mehr Eigenproduktion, Forschung und Investition in die nationalen Industriezweige rund um die Chips. Die USA nehmen dafür viel Geld in die Hand, binden diese aber auch ausdrücklich an strenge Vorgaben. Beide setzen auf hohe Privatinvestitionen, die EU aufgrund ihrer Beschaffenheit auch verstärkt auf die Mitarbeit von EU-Ländern.

Für den globalen Halbleitermarkt sind das rosige Aussichten, für die Politik eine enorme Kraftanstrengung, die hoffentlich mit einer höheren Krisenresilienz belohnt wird. Zahlreiche Projekte stehen dabei auch schon in den Startlöchern, wie beispielsweise die zwei geplanten hochmodernen Chipfabriken von Intel, die im Rahmen der Europa-Initiative in Magdeburg gebaut werden sollen. Wenn alles nach Plan läuft, könnten bereits 2027 Produkte mit „Chips made in Magdeburg“ zum Verkauf bereitstehen.

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