Ohne ein soziales Europa wird der Green Deal nicht langfristig bestehen

, von  Tecla Huth

Ohne ein soziales Europa wird der Green Deal nicht langfristig bestehen
Klimapolitik kann ohne eine neue soziale Agenda nicht funktionieren. Bild: unsplash / Dương Hữu / Lizenz Bildbearbeitung: Anja Meunier

Der öffentliche Druck auf die Gestaltung einer europäischen Politikagenda des effizienten Klimaschutzes hat im letzten Jahr enorm zugenommen. Die Bewegung Fridays For Future hat zu einem Perspektivwechsel geführt, der Politik und Wirtschaft zum Handeln zwingt. Ein Momentum, in dem sich nicht nur eine Kontroverse hinsichtlich der Gestaltung der Politikagenda der neuen EU-Kommission widerspiegelt, sondern auch ganz grundsätzlich die Frage nach dem Ausmaß der ‘Mitbestimmungsmacht’ sozialer Bewegungen stellt.

Durch die Fridays For Future-Proteste hat sich erstmals eine supranationale, den Nationalstaaten überlagernde und nachhaltige europäische Öffentlichkeit etabliert. Es ist genau dieses stark ausgeprägte Bestreben nach einem schnellen Klimaschutz, das die europäischen Studierenden, die Schüler*innen zusammenhält und vereint. Unter den Protestierenden existiert ein ernsthaftes Anliegen. Dieser gemeinsame Protest löst eine starke europaweite Solidarisierung aus, die letztlich zu einer europäischen Identitätsbildung führt. Auch tragen die nationalen Medien durch ihre erstmals europäisch geprägten Diskurse zur Stärkung eines europäischen Bewusstseins bei.

Fridays For Future: eine Europäische Bewegung

Die Fridays For Future-Proteste werden nicht wie bisher durch die ‘nationale Brille’ betrachtet, sondern nehmen einen wahrlich europäischen Blickwinkel ein, ohne dass wir als Bürger*innen „gefangen [bleiben] in nationalen Filterblasen, in denen wir europäische Themen [...] aus nationaler Sicht, mit nationalen Akteuren und Interessen aufarbeiten und konsumieren.“ Der bisherige Forschungsstand, der die europäische Öffentlichkeit lediglich im Sinne einer „Europäisierung der nationalen Öffentlichkeiten“ nachweist, findet also keine Gültigkeit mehr: Durch die Fridays For Future-Bewegung hat sich eine supranationale europäische Öffentlichkeit mit pan-europäischem Problembewusstsein herausgebildet.

Ein Europäischer Greed Deal?

Unter dem Druck dieses supranationalen europäischen Kollektivbewusstseins werden die politischen „Eliten“ gerade auch zu Beginn der neuen EU-Legislaturperiode 2019 bis 2024 zum Handeln gezwungen. Seit einigen Monaten nimmt Fridays For Future mit ihren Forderungen eine zentrale – wenn nicht die zentrale – Rolle in der öffentlichen politischen Debatte ein. Von den politischen EU-Entscheidern wird erwartet, eine Politikagenda des effizienten Klimaschutzes in Europa schnell auszuführen. Ursula von der Leyen sprach sich bereits in ihrer Bewerbungsrede für den Posten der zukünftigen EU-Kommissionspräsidentin für einen European Green Deal aus: „Ich möchte, dass der Green Deal Europas Markenzeichen wird“, Europa soll zum „klimaneutralen Kontinent der Welt werden.“ Erst vor wenigen Wochen, Mitte September, beauftragte die neu ernannte Präsidentin der EU-Kommission ihren EU-Klimaschutz-Kommissar Franz Timmermanns, ein erstes europäisches European Green Deal-Klimagesetz zeitnah umzusetzen.

Der Green Deal sieht vor, die Ziele des Pariser Abkommens einzuhalten und grundsätzlich das Emissionsreduzierungsziel der EU für das Jahr 2030 auf „mindestens 50%“ anzuheben. Aber wie soll der European Green Deal konkret aussehen? Die eigentliche Herausforderung der Gestaltung und Umsetzung einer effizienten Klimaneutralität ist vor allen Dingen die des nachhaltigen Klimaschutzes. „Wir brauchen einen ehrgeizigen Green New Deal für Europa, der die Zukunft unserer Kinder gestaltet und ihre Gesundheit, ihren Wohlstand und ihre Sicherheit auf einem grünen und florierenden Planeten gewährleistet”, so der EU-Klimaschutz-Kommissar Franz Timmermanns. Genau um diese von Timmermanns so erwünschte Gewährleistung des „Wohlstands“ geht es bei der Umsetzung eines nachhaltigen European Green Deals. Doch scheint die soziale Dimension in dem Green Deal der neuen EU-Kommission indes gänzlich zu fehlen.

Eine neue soziale Agenda für Europa

Ohne ein soziales Europa wird die Klimawende auf pan-europäischer Ebene langfristig aber nicht bestehen können. Die Schaffung des europäischen Binnenmarktes ist eine der größten Errungenschaften der EU. Mit mehr als 500 Millionen Bürger*innen ist er der weltweit größte barrierefreie Wirtschaftsraum, der den Zugang zu einer breiten Auswahl an Produkten und Dienstleistungen zu wettbewerbsfähigen Preisen gewährleistet. Der Binnenmarkt hat bereits 2,8 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Aber um langfristig bestehen zu können, muss der europäische Binnenmarkt eben auch sozialverträglich sein. Diese Botschaft müsste – gerade auch in Abgrenzung zu dem Mitte-Rechts Lager, aber auch zu den Grünen – klar und deutlich von der europäischen Sozialdemokratie an die Öffentlichkeit transportiert werden. Den europäischen Bürger*innen – und ganz besonders auch den europäischen Schüler*innen sowie Studierenden – muss vermittelt werden, dass ein nachhaltiges ökologisches Europa nur dann bestehen kann, wenn der Pfad der Klimawende ökonomisch auch machbar bleibt.

Die Einführung der Elektromobilität z.B., die als wesentliches Element einer klimagerechten Energiepolitik gilt, kann nur langfristig Erfolg haben, wenn sich die Bürger*innen die Elektrofahrzeuge auch leisten können. Unter der Klimawende dürfen die Schwächsten der Gesellschaft nicht leiden. Die europäischen Bürger*innen, gerade auch die jüngeren Generationen, brauchen eine wirtschaftliche Perspektive. Gerade in der Phase der Neufindung und des ‚Umbruchs’ sollte die europäische Sozialdemokratie ihr Kernthema soziales Europa auf die europäische Politikagenda bringen und den Bürger*innen de facto zeigen, dass sie für diese nachhaltige, soziale Ökologie kämpft. Die schnelle Vollendung des technischen und digitalen Wandels im EU-Binnenmarkt, die Einführung von europaweiten Mindestlöhnen sowie einer EU-Arbeitslosenversicherung und die Besteuerung von Digital-Konzernen sind konkrete soziale Ziele, um nicht nur ein ökologisches, sondern gerade auch ein ökonomisches Europa zu bewahren.

Hand in Hand: Klima- und Sozialpolitik

Neben dem European Green Deal muss es also auch eine neue sozialpolitische Agenda geben, einen European Green & Social Deal. Ohne die soziale Dimension – und ohne Berücksichtigung der Stimme der europäischen Arbeitnehmer*innen – wird unsere Demokratie in Europa nicht zukunftsfähig sein. Die Demonstrationen der gilets jaunes, der Gelbwesten, in Frankreich bestätigen dies. Denn diese Proteste spiegeln keine anti-ökologische Bewegung wider, vielmehr handelt es sich bei diesen Demonstrationen um den Kampf um soziale Gerechtigkeit. Warum müssen wir, die arbeitende und ärmere Bevölkerung aus der Provinz – die auf das Autofahren angewiesen sind –, höhere Dieselsteuern zahlen, wenn gleichzeitig die Reichensteuer für Vermögende gestrichen wird? Diese empfundene soziale Ungerechtigkeit ist eng verbunden mit dem Gefühl der politischen Ausgrenzung: Warum werden wir nicht zu den politischen Vorhaben befragt und warum dürfen wir die politische Agenda nicht mitgestalten? Auch wenn die Gelbwestenprotestbewegung europapolitisch regional – auf Frankreich – begrenzt ist, so ist sie doch ein Phänomen eines Problems in ganz Europa: der wahrgenommenen fehlenden sozialen Gerechtigkeit verbunden mit einem Gefühl der mangelnden politischen Mitbestimmungsmöglichkeiten auf Seiten der Arbeitnehmer*innen.

Die Fridays For Future-Bewegung zeigt, dass junge Menschen von der Politik ernst genommen werden und im politischen Entscheidungsprozess de facto mitbestimmen können. Auch die Anliegen der Arbeitnehmer*innen müssen die europäische politische Agenda des Klimaschutzes mitprägen. Gerade hierin kann ein erfolgreich transnational etabliertes Konzept der europäischen Sozialdemokratie als eine Chance für die weitere Demokratisierung der EU verstanden werden. Denn mit der Beteiligung der Arbeitnehmer*innen an der Politik würde sich die Kluft zwischen politischer Elite und Volk, zwischen ‚abgehobener’ Regierung und arbeitender Bevölkerung verringern und somit würde die europäische Sozialdemokratie der Gefahr einer weiteren „Entdemokratisierung“ der EU entgegenwirken. Der Brexit wäre damit eher die Ausnahme als die Bestätigung der Regel, mit dem EU-Ausscheiden Großbritanniens würde die Auflösung der EU verbunden mit einer Rückbesinnung zu reiner Nationalstaatlichkeit beginnen.

Ihr Kommentar
Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom