Anfang Januar deckten Journalist*innen des investigativen Medienhauses ‚correctiv‘ ein geheimes Treffen von Rechtsextremisten, einigen AfD- sowie einzelnen Werteunions-Mitgliedern auf, das Ende des Jahres 2023 stattfand. Bei dem Treffen beratschlagten die Teilnehmer*innen, unter anderem ein enger Vertrauter von AfD-Parteichefin Alice Weidel, über einen ‚Masterplan‘ zur Deportation von Millionen von Menschen. Bürger*innen organisieren daraufhin in Großstädten und kleinen Gemeinden gleichermaßen friedliche Demonstrationen gegen Rechts und für die Demokratie, die von Hunderttausenden besucht wurden.
Mit der Correctiv-Recherche flammt zum wiederholten Male die Debatte um ein Verbot der AfD auf. Gleichzeitig listen aktuelle Umfragen die AfD (Stand Februar 2024) regelmäßig als zweitstärkste Partei in Deutschland. Eine knifflige Situation ergibt sich: Wie kann mit einer Partei umgegangen werden, die als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird und demokratiefeindliche Züge aufweist, die gleichzeitig aber viele Wähler*innen anzieht?
Wie kann eine Demokratie auf Gefahren von Rechts reagieren?
Feinde der Demokratie sollen nicht die Möglichkeit bekommen, die Demokratie abzuschaffen – das ist der Grundsatz, der hinter der wehrhaften Demokratie steht. Damit dieser Grundsatz nicht nur ein Grundsatz bleibt, sondern ihm im Falle einer Demokratieanfeindung auch Taten folgen können, hat der Staat einige Möglichkeiten.
Das Parteienverbot ist die schärfste Waffe des demokratischen Rechtsstaates und hat zurecht hohe Hürden: Um eine Partei zu verbieten, muss zuerst ein Antrag gestellt werden, zum Beispiel vom Bundesrat, Bundestag oder der Bundesregierung. Das Bundesverfassungsgericht prüft daraufhin, ob die Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen will. Auch muss eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber grundlegenden Prinzipien wie der Menschenwürde und der Demokratie erkennbar sein. Außerdem muss die Partei laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht eine realistische Chance haben, ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch umsetzen zu können. Genau das war das Problem beim Verbotsverfahren gegen die NPD, einer Partei, die der NSDAP sprachlich und programmatisch nah ist. Das Verbotsverfahren war erfolglos, da der NPD keine reale Chance auf einen Einzug in einen Landtag oder gar den Bundestag zugeschrieben wurde.
Das Bundesverfassungsgericht muss jedoch nicht gleich die Partei verbieten, sondern kann auf Antrag von Bundestag, Bundestag oder Bundesregierung darüber entscheiden, eine Partei von der Parteienfinanzierung auszuschließen. Damit wird einer Partei die Möglichkeit genommen, sich Wahlkampfkosten zurückerstatten zu lassen. Zudem fallen auch Steuervergünstigungen bei Spenden weg. Auch die staatlichen Mittel, die eine Partei bei Europa-, Bundestags- oder Landtagswahlen für jede erzielte Stimme erhält, fällt bei einem Ausschluss weg. Die AfD könnte durch einen solchen Beschluss finanziell empfindlich getroffen werden.
Erst am 23. Januar 2024 ist diese Praxis bei der Partei ‚Die Heimat‘ (früher NPD, Umbenennung im Sommer 2023) angewandt worden. Das Bundesverfassungsgericht entschied, die Partei für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung auszuschließen.
Statt der ganzen Partei können einzelne Landes- oder Unterverbände verboten werden, beispielsweise jene, die der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft. Bei der AfD ist das bei den Landesverbänden Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt der Fall. Im Gespräch ist auch immer wieder ein Verbot der Jugendorganisation der AfD, der Jungen Alternative (JA). Bei der JA handelt es sich um einen Verein, was ein Verbotsverfahren erleichtern würde, da Vereine vom Bundesinnenministerium verboten werden, sofern sie Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Die Junge Alternative wurde 2023 vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft.
In der Diskussion ist auch die Verwirkung der Grundrechte für einzelne Politiker*innen, die sich demokratiefeindlich verhalten. Dabei würden dem Menschen nicht alle Grundrechte genommen, sondern jene, die die Person im Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbrauchen kann, beispielsweise die Versammlungsfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit oder das Recht, ein politisches Amt zu bekleiden. Mit einer Online-Petition fordern Bürger*innen momentan die Bundesregierung auf, ein solches Verfahren gegen den AfD-Politiker Björn Höcke einzuleiten. Mitte Februar haben bereits knapp 1 700 000 Millionen Menschen die Petition unterschrieben .
Rechte Parteien im Ausland
Auch in vielen anderen Ländern erstarken momentan Rechte oder rechtspopulistische Parteien. Das liegt unter anderem daran, dass rechtspopulistische Akteur*innen in Zeiten hochkomplexer Politik den Wähler*innen vermeintlich einfache Lösungen bieten, ein klares Feindbild, den großen Umbruch mit schnellen Änderungen. Kurzum: Eine stringente, zielführende Linie, die den Wähler*innen in Krisensituationen bei anderen Parteien fehlen. Das italienische Wahlvolk wählte 2022 die Postfaschistin Giorgia Meloni zur Ministerpräsidentin, in Argentinien gewann der ultrarechte Ökonom Javier Milei die Präsidentschaftswahlen, in den Niederlanden ist seit den Parlamentswahlen im November 2023 der rechtspopulistische Geert Wilders mit seiner Partei Partij voor de Vrijheid die stärkste Kraft – um nur einige nennen. In vielen Ländern wird gegen den Rechtspopulismus demonstriert, eine Sanktionierung oder gar ein Parteienverbot werden selten umgesetzt. 2020 wurde etwa in Griechenland die rechtsextremen Partei ‚Goldene Morgenröte‘ verboten – begründet wurde dies jedoch wegen ihrer kriminellen Tätigkeiten in Form von Angriffen auf Politiker*innen und nicht etwa mit den radikalen Inhalten der Partei. Auch die 2015 verbotene rumänische Partei ‚Alles für das Land‘ ist kein klassisches Beispiel. Die Partei wurde ebenfalls nicht wegen ihrer Inhalte verboten, sondern weil sie gegen das rumänische Parteiengesetz verstoßen hatte und sich nicht mit eigenen Kandidat*innen an den Wahlen beteiligte. Häufiger werden hingegen rechtsextreme Gruppierungen aufgelöst oder verboten. Frankreich ging erst kürzlich gegen zwei von ihnen vor: Die französische Génération identitaire und die rechtsextremen Grauen Wölfe, die dem Erdoğan-Regime nahestehen, sind in Frankreich nun verboten.
Im Kampf um die Stimmen der Wähler*innen fährt Dänemark ein scheinbar erfolgreiches Manöver gegen Rechts. Die rechtspopulistische Volkspartei ist von 21,1 Prozent im Jahr 2015 auf 2,6 Prozent im Jahr 2022 gefallen, seitdem die Sozialdemokraten selbst nach rechts gerückt sind und einen schärferen Migrationskurs fahren. Dahinter stecke vor allem Kalkül, meint Politikwissenschaftler Kasper Moller Hansen von der Universität Kopenhagen gegenüber der Tagesschau: „Die Sozialdemokraten haben gesehen, dass man eine Wahl nach der anderen wegen der Ausländer*innenpolitik verloren hat. Sie haben erkannt, dass sie sich dahin bewegen müssen, wo die Wähler*innen sind“. Die Partei fing sich durch die harte Migrationspolitik zwar Stimmen, aber auch reichlich Kritik ein. Linke Parteien, NGOs und die UN-Flüchtlingsorganisation kritisierten die harte Kante gegenüber Asylbewerber*innen und warfen der Partei unter anderem vor, nur zugunsten des Stimmenfangs Prinzipien aufzugeben.
Der Blick ins Ausland zeigt: Auch andere Länder stehen vor der Herausforderung einer erstarkenden Rechten. Demonstrationen finden statt, Verbotsverfahren eher selten. Wie würde wohl ein Verbot der AfD in Deutschland aussehen? Stellen wir uns zuerst mal den bestmöglichen Fall vor: Mit einem Verbot der AfD würde rechtsextremistischen Ideologien und deren Verbreitung Einhalt geboten werden, indem ihnen die politische Bühne genommen wird. Somit kann im Bestfall verhindert werden, dass rechte Strömungen an Macht und Einfluss gewinnen. Demokratiefeindliche Bewegungen würden unter- oder bestenfalls sogar erdrückt und die demokratische Ordnung und die Integrität der Verfassung somit geschützt werden. Das Verbot hätte vielleicht auch eine Signalwirkung à la ‚Bis hierhin und keinen Schritt weiter!‘.
Anhänger*innen rechtsextremistischer Strömungen würden durch das staatliche Eingreifen realisieren, welch immenses Gefahrenpotenzial hinter der Fassade einer rechtsextremen Partei lauert, würden vielleicht ein breiteres Bewusstsein für Demokratiegefährdungen und Extremismus entwickeln und wären auch in der Zukunft alarmiert. Die Parteiensanktionierung könnte aber auch Schattenseiten haben. Denn so ungemütlich die AfD vielen Menschen auch ist, ist sie demokratisch gewählt und spricht aktuell um die 20 Prozent der Wähler*innen an. Würde der Staat nun einem Fünftel seiner Wähler*innen die Wahl ihrer favorisierten Partei aufgrund eines Verbots unmöglich machen, könnten sich der Wähler*innen übergangen, ausgegrenzt oder gar manipuliert fühlen. Die Politiker*innen der Partei könnten das Verbot als Einschränkung der Meinungsfreiheit auffassen, dies als Argument gegen den Staat verwenden und damit wiederum neue Anhänger*innen generieren und die Radikalisierung vorantreiben. Denn wer sagt, dass die ideologische Strömung verschwindet, nur wenn eine Partei in ihrem Tun und Handeln eingeschränkt wird? Aktivitäten der Partei und deren Anhänger*innen würden vielleicht nicht aufhören, sondern ab sofort hinter verschlossener Tür stattfinden, was deren Überwachung erschweren würde.
Leider ist uns allen, ob Demokratiefreund oder -feind, der Blick in die Glaskugel verwehrt. Die Sanktionierung der Partei könnte die Weichen für die Zukunft stellen, könnte sich aber auch als Schuss in den Ofen herausstellen. Daher soll dieser Artikel seinen Abschluss nicht mit spekulativen Prognosen über Erfolg oder Misserfolg eines AfD-Verbots finden, sondern mit einer (natürlich subjektive) Bewertung der Instrumente, die der wehrhaften Demokratie zur Verfügung stehen.
Es ist meines Erachtens richtig, dass einer wehrhaften Demokratie Mittel an die Hand gegeben werden, mit denen sie ihr eigenes Überleben sichern kann. Auch nachfolgende Generationen sollen die Möglichkeit haben, die Vorzüge einer demokratischen, solidarischen und toleranten Gesellschaft erleben dürfen. Der Aufbau unserer heutigen Demokratie ist der Verdienst von früheren Generationen; die Demokratie zu schützen ist nun unsere Aufgabe. Bevor dafür jedoch auf die radikalsten Mittel wie etwa ein Parteienverbot zurückgegriffen wird, muss vorher schon einiges passiert sein. Zum Beispiel müssen sich regierende Akteur*innen fragen, ob ihr Handeln Unmut oder Unzufriedenheit hervorruft, wieso gerade rechtsextreme Parteien den Wünschen der Wähler*innen entsprechen und daraufhin in den direkten Austausch mit den Bürger*innen treten. Zudem braucht es Kampagnen, die die Bürger*innen darüber aufklärt, was Rechtsextremismus ist, für was er steht und welche Gefahren in ihm stecken. Vielleicht wäre es außerdem ein zielführender Ansatz, den AfD-Wähler*innen zu zeigen, wie sich Deutschland unter der AfD-Regierung wohl entwickeln würde, und wie zukunftstauglich die Lösungen sind, die die Partei anbietet. Raus aus dem Euro, raus aus der EU, raus aus der Nato, weniger Agrarsubventionen, weniger ausländische Fachkräfte, Grenzzäune, weniger Umweltschutz, zurück in die Atomkraft? Es wäre wohl schnell allen klar, dass das eben keine Alternative für Deutschland ist.
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