Warum jede*r in Deutschland Antifaschist*in sein sollte

Rechter Gewalt den Kampf ansagen

, von  John Grosser, Lisa Bednarz

Rechter Gewalt den Kampf ansagen
Demonstrant*innen am 15. Februar 2020 in Erfurt. Foto: Unsplash / Robert Anasch / Unsplash License

Seit etwas mehr als fünf Jahren gibt es in Deutschland mit der AfD eine rechtspopulistische Partei mit nicht unerheblichem politischem Erfolg. Inzwischen sitzen ihre Abgeordnete im Europaparlament, im Bundestag und in jedem Landesparlament. Die Partei und ihre Funktionär*innen verbreiten regelmäßig gefährliche Hetze gegen Migrant*innen und politische Gegner. Gleichzeitig zeugen Anschläge wie zuletzt in Hanau davon, dass rechte Gewalt in Deutschland steigt. Gerade jetzt ist es deshalb wichtig, sich klar gegen rechtes Gedankengut zu positionieren und dem Faschismus die Stirn zu bieten. Ein Kommentar.

„Menschenrechte statt rechte Menschen“, „Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen“ und „Nazis raus in den Parlamenten“ hieß es am Samstag, den 15. Februar, in Erfurt. Tausende Antifaschist*innen und Demokrat*innen hatten sich dort versammelt, um unter dem Motto #wirsindmehr gegen die erstarkende Rechte zu demonstrieren. Anlass war die Wahl Thomas Kemmerichs (FDP) zum Ministerpräsidenten des Thüringer Landtags. Er war zuvor durch Stimmen der AfD und CDU im letzten Wahldurchgang überraschend gewählt worden.

Die sogenannte politische Mitte, die Liberalen und Konservativen, gab sich der extremen Rechten hin: Thomas Kemmerich nahm die Wahl an - und das ausgerechnet in Thüringen. Viele Menschen fühlten eine Art Déjà-vu, denn in Thüringen erzielte auch Hitler 1930 bereits die größten Erfolge. Dass gerade die AfD unter dem Faschisten Björn Höcke die Wahl bestimmte, ließ die Menschen bundesweit hochschrecken. Kemmerich erntete heftige Kritik und trat nur einen Tag später zurück. Der Imageschaden, den er FDP und darüber hinaus auch CDU bescherte, zeigte sich bereits in der Hamburger Bürgerschaftswahl am 23. Februar in Zahlen. Die FDP verfehlte mit knapp unter 5,0% den Einzug in die Bürgerschaft, die CDU galt als größter Verlierer der Wahl in Hamburg.

Die Wahl in Thüringen war Symbolbild und Dammbruch zugleich. Die AfD wird stärker und darf auf keinen Fall weiter unterschätzt werden. Durch ihre ständige Präsenz in den sozialen Medien, wo sie rechtes Gedankengut propagiert, vermehrt sich dieses in der deutschen Gesellschaft. Rechte Äußerungen gibt es fast an jedem Familientisch, rechtsradikale Ansichten sind zunehmend salonfähig geworden. Sieht man sich den Twitter-Account der AfD an, findet man menschenverachtende Hetze gegen Geflüchtete, Migrant*innen und Muslime, die fleißig geteilt wird.

Aus rechtem Gedankengut wird rechter Terror

Nur vier Tage nach den Protesten in Erfurt erschoss der psychisch Kranke Tobias R. zehn Menschen und sich selbst im hessischen Hanau. Angetrieben von rassistischem Gedankengut und Verschwörungstheorien stürmte er zwei Shishabars. Seine Opfer waren Menschen mit Migrationshintergrund, größtenteils kurdischer Abstammung. Der Schmerz war bis in die Türkei zu spüren, das Attentat entzündete ein Feuer aus Angst - und dies war keine Einzeltat.

Erst im Oktober letzten Jahres versuchte der Rechtsextremist und Antisemit Stephan B. an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in Halle an der Saale in eine Synagoge zu stürmen, um ein Blutbad anzurichten. Die Türen der Synagoge hielten ihn vom Betreten ab; er erschoss stattdessen zwei Passant*innen und filmte die Tat, um die Aufnahme im Internet zu verbreiten. Aber verschlossene Türen sind auch nicht die Lösung, damit sich in Deutschland wieder alle sicher fühlen.

Schluss mit der falschen Relativierung rechter Gewalt!

Nach den Attentaten in Hanau und Halle reagierten besonders die AfD, aber auch CDU und FDP mit Zurückweisung der Schuld und Relativierungen. Rechtsextremismus sei schlimm, aber Linksextremismus sei es genauso. Im Allgemeinen steigt die Anzahl politisch motivierter Straftaten in Deutschland weiter: 2003 ließen sich circa 20.500 solche Straftaten verzeichnen, 2016 waren es bereits 41.500. Obwohl es sowohl links- als auch rechtsmotivierte Straftaten gibt, richten sich rechte Straftaten häufiger gegen besonders schutzbedürftige Mitglieder der Gesellschaft; Körperverletzungs- und Tötungsdelikte sind weit häufiger durch rechte als durch linke Ideologie motiviert. Rechtsextremismus ist sowohl gefährlicher als auch tödlicher.

Viel zu lange haben Zivilgesellschaft und Politik die Augen verschlossen. Der Mord an Walter Lübke (CDU) im Juni 2019 in der Nähe von Kassel machte nur noch einmal mehr deutlich, dass wir die Augen nicht mehr schließen können und dürfen. Seit 2013 wird es normalisiert, rechtes Gedankengut auszusprechen – in eben dem Jahr, in dem sich die AfD als politische Partei gegründet hat.

Der Kampf gegen den Faschismus ist unser aller Pflicht

Warum musste es aber erst so weit kommen? Hätten uns die NSU-Morde nicht bereits vor Jahrzehnten wachrütteln müssen? Haben wir nicht schon aufgrund unserer Geschichte als Deutsche die Verantwortung, uns klar gegen den Faschismus zu positionieren? Ja, die haben wir. Wir müssen aufhören, das Wort Antifaschismus mit Linksextremismus gleichzusetzen. Wir müssen zurückkehren zur eigentlichen Bedeutung des Wortes – dem Widerstand gegen den Faschismus, nicht mehr und nicht weniger - und es wieder als das sehen, was es ist: Antifaschismus ist unsere Pflicht gegenüber der Geschichte Deutschlands und unserer Zukunft. Es ist nicht bloß ein Wort, das Fenster mit Steinen einwirft, sich gegen jegliche Autorität stellt und mit Anarchie oder Kommunismus einhergeht. Antifaschismus geht uns alle etwas an, alle Demokrat*innen, die dafür kämpfen, dass sich jede*r in Deutschland und anderswo sicher fühlen kann, egal, welche Religion, sexuelle Orientierung oder Geschlecht eine Person hat. Das ist nicht bloß die Pflicht der Poli-tik, sondern auch die Pflicht aller Bürger*innen.

Wenn es also weiterhin heißt, dass wir auf die Straße müssen, um für eine integrative, offene Gesellschaft zu kämpfen, sollte sich jede*r angesprochen fühlen und für Solidarität und Demokratie kämpfen. Jede*r Wahlberechtigte sollte sein Recht wahrnehmen und dafür sorgen, dass die Rechten nicht noch mehr Macht bekommen. Und egal, ob am Essenstisch oder in der Bahn, wenn man rechte Sprüche hört, sollte jede*r etwas dagegen sagen. Das schulden wir der Vergangenheit und der Zukunft. Der Kampf gegen Faschismus, wie ihn jene Plakate in Erfurt forderten, sollte uns im Alltag begleiten.

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