Schulschwatz aus Polen

Eine deutsche Austauschschülerin berichtet über den Schulalltag in Polen

, von  Marie Möller

Schulschwatz aus Polen
Schüler*innen in Schule. Foto: Unsplash / Taylor Wilcox / Copyright

Schon der erste Schultag läuft nicht so ganz rund. Es ist Mittwoch, der 1. September, in ganz Polen startet nach zwei Monaten Ferien wieder die Schule. Ganz Polen trägt weiß-schwarz – die Mädchen Röcke, die Jungs Hosen. Ich habe Jeans und eine bunte Bluse an. Naja. Außerdem hat meine Klassenlehrerin allen erzählt, ich spräche schon fließend Polnisch. Mein Wortschatz beschränkt sich zu der Zeit auf „dzień dobry“, „do widzenia“, „dziękuję“, „proszę“ und „ku*wa“.

Gerade letzteres Wort stellt sich auch tatsächlich als sehr hilfreich heraus, es ist das erste Wort, das ich in Unterhaltungen verstehe, und dadurch, dass es in fast jedem Satz benutzt wird, kann ich schon recht schnell sagen, dass ich viel verstehe. Nur ausgerechnet in der Schule wird es (zumindest von den meisten Lehrer*innen) nicht viel gebraucht, ich verstehe also dementsprechend wenig – um nicht zu sagen: nichts.

Es fällt aber gar nicht auf. Anders als in Deutschland besteht in Polen der Schulalltag nämlich einzig und allein aus Frontalunterricht. Die Lehrer*innen halten einen Monolog, die Schüler*innen schreiben mit und so bemerkten manche Lehrer*innen nicht früher als bei den ersten Klassenarbeiten, dass ich irgendwie nicht so ganz weiß, worum es geht.

Ein Jahr in Katowice

Jetzt aber nochmal ganz von vorne: Vor ziemlich genau neun Monaten bin ich für dieses Schuljahr nach Polen gefahren, als Austauschschülerin. Ich lebe in einer Gastfamilie in Katowice, der Hauptstadt der Woiwodschaft Schlesien und besuche die 2. Klasse eines Liceums, das entspricht der 10. oder 11. Klasse eines deutschen Gymnasiums. Die Grundschule geht hier nämlich acht Jahre lang, danach gibt es entweder vier Jahre Liceum, fünf Jahre Technikum oder drei Jahre eine Art Berufsschule.

„Wieso zur Hölle nach Polen?“ ist wohl die Frage, die ich im vergangen Jahr am häufigsten gehört habe – sowohl in Deutschland, als auch hier in Polen. Eigentlich hat sich das nur durch einen Zufall und eine Bekannte aus Polen ergeben. Und so bin ich also hier und mag es wirklich gerne!


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Zurück zur Schule: In einigen Aspekten ist die Schule hier moderner als bei uns, in anderen ist Deutschland Polen ein paar Jährchen voraus… Zum Beispiel gibt es hier überall die Online-Plattform „Librus“, in der Noten, die An- oder Abwesenheit, Hausaufgaben, Vertretungsstunden und andere Mitteilungen hochgeladen werden. Es gibt sowohl ein Eltern- als auch ein Schüler*innenkonto. Die Eltern bekommen dort die Noten von Arbeiten ihrer Kinder mitgeteilt, bevor die Lehrer*innen sie überhaupt in der Schule zurückgeben. Außerdem können Eltern dort ihre Kinder entschuldigen, wenn sie nicht in der Schule waren – oder sie machen das selbst, weil so gut wie alle auch die Login-Daten ihrer Eltern haben…

Der polnische Weg zur Matura

Mit der Anwesenheit ist es aber insgesamt etwas anders. Dadurch, dass es keine Mitarbeitsnoten gibt, sondern allein die Tests zählen, ist es im Prinzip egal, wie oft jemand nicht in der Schule ist. Es muss nur pro Fach eine Frequenz von mindestens 50% im Jahr erreicht werden. Dadurch kommt es fast nie vor, dass eine ganze Klasse in der Schule ist, gerade bei den „weniger wichtigen“ Fächern. Die Schüler*innen in Polen müssen sich nämlich in der 8. Klasse entscheiden, welche ihre stärkeren und schwächeren Fächer sind, was dann schon entscheidend für das Studium ist. Die Vorbereitung für die Matura, das polnische Abitur, findet nämlich in Profil-Klassen statt. Ich bin in der humanistischen Klasse, mit Erweiterung in polnischer Literatur und Geschichte. Meine Mitschüler*innen werden in diesen beiden Fächern dann in zwei Jahren Matura schreiben und können sich dann für Studiengänge wie zum Beispiel Jura oder Geschichte bewerben. Fächer wie Chemie, Biologie, Physik oder Informatik gibt es zwar auch, sind aber dementsprechend weniger bedeutungsvoll. Dass jemand sowohl in einem geisteswissenschaftlichem als auch einem wissenschaftlichen Fach wie Mathe gut sein kann, ist an polnischen Schulen nicht vorgesehen, was ich als einen großen Vorteil in Deutschland sehe.

Kritisches Hinterfragen und praktische Arbeit eher unerwünscht

Auch sonst habe ich die deutsche Schule in diesem Jahr schätzen gelernt. Das Verhältnis von Schüler*innen und Lehrer*innen bei uns ist deutlich besser: In Polen wird aufgestanden, wenn Lehrer*innen hereinkommen und man spricht sie mit Frau oder Herr Professor an; Nach- oder Hinterfragen von etwas, was Lehrer*innen hier sagen, ist schier unmöglich, Diskussionen werden als Ungehorsamkeit gewertet und falsche Antworten bedeuten Kritik.

Der Unterricht ist außerdem ziemlich langweilig (und zwar nicht nur für mich, die ich einfach weiterhin nicht alles verstehe, sondern für alle). Fächer wie zum Beispiel Chemie verbinde ich in Deutschland eher mit praktischen Experimenten, hier besteht der Unterricht einzig und allein aus Theorie. Geschichte oder Politik mit wirklich spannenden Themen bedeuten hier lediglich viel Auswendiglernen, ob man etwas davon versteht ist zweitrangig. In Geografie mussten wir alle Länder der Welt mitsamt Hauptstädten auswendig lernen – etwas über die wirklichen Orte haben wir dabei weniger gelernt. Durch diese trockene Art zu unterrichten habe ich sehr schnell die Motivation verloren, überhaupt für Arbeiten zu lernen. Das Gute ist, dass die Noten hier verkehrt herum sind. 6 ist die beste Note, 1 die schlechteste, wodurch mein Zeugnis in Deutschland gar nicht mal so übel aussehen würde! Eine 6 zu bekommen ist aber so gut wie unmöglich, auch dadurch, dass viele ihre Arbeiten wiederholen, um sich zu verbessern (was für mich am Anfang auch komisch war), wobei die beste Note dann aber eine 5 sein kann.

Was ich an der Schule in Polen vermisse, sind die Hofpausen wie in Deutschland. Hier gibt es nur zehn- oder zwanzigminütige Pausen und keinen Hof, wobei der Schultag dabei deutlich länger dauert als in Deutschland und man so von ungefähr 8 – 16 Uhr drinnen sitzt. Bis wir zuhause sind, ist es dann 17 Uhr, weil alle besseren Schulen in der Stadtmitte sind, dort aber niemand wirklich wohnt. Für Hobbys bleibt den meisten dadurch nicht wirklich viel Zeit, weil danach auch noch Hausaufgaben und Lernen anstehen.

Eine politisierte Debatte um Bildung in Polen

Es tut mir wirklich leid, dass meine Meinung über polnische Schulen - sagen wir - eher bescheiden ausfällt. Ich denke, dass die schlechte Organisation der Schulen hier auf die polnische Regierungspartei PiS zurückzuführen ist. 2017 haben sie eine Schulreform veranlasst, die das Schulsystem wieder auf den Stand vor der Reform 1998 setzte. Das vorherige Bildungssystem unter der Vorgängerregierung galt der PiS zu liberal und pluralistisch – allen meinen Bekannten hier gefiel es deutlich besser. Ein bisschen mehr zu den Hintergründen und Auswirkungen dieser Reform ist hier zu finden.

Trotzdem, zum Schluss ein paar positive Dinge über Schulen in Polen: Es gibt in allen Klassenräumen Teekocher, weil Pol*innen Tee lieben und wir können in der Pause Tee kochen. Auch sind die Sommerferien zwei Wochen länger! Dafür gibt es sonst viel weniger Ferien… Anders als deutsche Schüler*innen mussten wir hier im Winter nicht bei offenen Fenstern erfrieren, keine Corona-Tests machen und keine Masken tragen. Dafür hatten wir dieses Jahr fast 2 Monate Online-Unterricht; die Coronabestimmungen änderten sich insgesamt trotzdem recht oft, schnell und verwirrend, auch zum Beispiel durch den Rücktritt 13 von 17 Mitgliedern des Medizinischen Rates aus Protest gegen den zunehmenden Einfluss von Impfgegner*innen in der Regierung im Januar diesen Jahres.

Eine letzte, wirklich tolle Sache ist, dass es in der Schule hier nicht das ewige „Ob du auf die Toilette kannst, weiß ich nicht, aber du darfst.“ von Lehrer*innen gibt, weil das Wort „móć“ sowohl können als auch dürfen bedeutet. Alles in allem habe ich das deutsche Schulsystem schätzen gelernt, doch auch da ist noch längst nicht alles perfekt!

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