Sieben Jahre Unglück: Wie die Reform der EU-Agrarpolitik den Green Deal untergraben wird

, von  Candice Doligé , Charlie Brocard, Léna Prouchet , Michelle Stitz , übersetzt von Florian Bauer

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Sieben Jahre Unglück: Wie die Reform der EU-Agrarpolitik den Green Deal untergraben wird

„Eine grünere, gerechtere und robustere EU-Agrarpolitik“: So beschrieb das EU-Parlament (EP) seine Verhandlungsposition zur Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die es am vergangenen Freitag, 23. Oktober, verabschiedet hat. Aber entspricht diese wirklich solchen Ambitionen? Wie wir im Folgenden zeigen, sieht die Realität anders aus. Die Plenarsitzung der vergangenen Woche könnte besser mit den Worten der Europaabgeordneten der Grünen, Ska Keller, beschrieben werden: „Das ist ein ganz schöner Schlamassel“. Wir erklären, weshalb – und warum die GAP so wichtig ist. Ein Kommentar.

Wenn Du heute zu Mittag gegessen hast, solltest Du Dich für die GAP interessieren

Landwirtschaft ist für uns alle von Bedeutung. Sie liefert Nahrung, schafft direkt oder indirekt Arbeitsplätze für Millionen von Europäer*innen und prägt die Landschaften, in denen wir leben. Landwirtschaftliche Praktiken sind auch eng mit der Klimakrise verbunden. In der Tat verursacht die Landwirtschaft rund 17% der Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) in der EU und damit doppelt so viel wie der Industriesektor.

Zudem ist intensive, industrielle Landwirtschaft mit einem massiven Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln verbunden. Dies führt zu einem drastischen Rückgang der Artenvielfalt bei landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, aber auch bei wildlebenden Arten. Die das Feld umgebenden Ökosysteme sind unerlässlich, um die Nahrungsmittelproduktion mittel- und langfristig aufrechtzuerhalten. Ein markantes Beispiel sind die bestäubenden Bienen. Innerhalb nur eines Jahres ging der Bienenbestand um über 15 Prozent zurück. Zugleich gibt es landwirtschaftliche Praktiken, die die Ernährungssicherheit gewährleisten und gleichzeitig eine hohe Produktivität mit deutlich geringeren Auswirkungen auf die Umwelt aufrechterhalten können. Agrarökologische Systeme, die Agroforstwirtschaft, Permakultur und biologische Landwirtschaft umfassen, sollten Teil der Lösung für ein gerechteres und nachhaltigeres Agrarsystem sein.

Die nächste GAP ist nicht nur einer unserer wichtigsten Hebel für Veränderungen für eine nachhaltige Landwirtschaft in Europa, sondern auch einer der wichtigsten Politikbereiche der EU. Er macht ein Drittel des gesamten EU-Haushalts für die nächsten sieben Jahre aus. Ihre finanziellen Auswirkungen sind enorm, ebenso wie die dahinterstehenden Interessen. Der Prozess für diese neue GAP (für die kommende Haushaltsperiode 2021-2027) begann im Juni 2018, noch vor dem Europäischen Green Deal, mit der Vorlage von Gesetzesvorschlägen durch die Europäische Kommission. Im Jahr 2019 wurde die GAP-Akte sowohl vom Landwirtschaftsausschuss (AGRI) als auch vom Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) behandelt, die gegensätzliche Meinungen vertraten. Kurz gesagt unterstützte AGRI eine schwache GAP, während ENVI auf einen ehrgeizigeren Text zu Klima und Biodiversität drängte.

Es stand viel auf dem Spiel - nicht nur für die Umwelt und unsere Gesundheit, sondern auch für unsere Landwirt*innen. Untersuchungen zeigen, dass die GAP soziale Ungerechtigkeiten verstärkt, da die europäischen Kleinbäuer*innen (im Allgemeinen diejenigen, die nachhaltigere Praktiken anwenden und die 65 % aller Bäuer*innen ausmachen) weniger als 20 % des Budgets erhalten. 25% der landwirtschaftlichen Betriebe in der EU gingen zwischen 2003 und 2013 in Konkurs. Was werden wir tun, wenn sie alle verschwinden?

Auf der Plenartagung der vergangenen Woche stimmte das EP über den Vorschlag von 2018 zur GAP-Reform ab. Parallel dazu einigte sich der Rat der Europäischen Union, in dem die nationalen Landwirtschaftsminister*innen miteinander verhandeln, am 21. Oktober auf seine Position. Wie wir im Folgenden zeigen, haben sie ihre Pflichten nicht erfüllt.

Wie sind wir zu dieser überholten und inkonsistenten GAP gekommen?

Der GAP-Vorschlag der EU-Kommission wurde 2018 vorgelegt. Europaabgeordnete begannen mit den Verhandlungen zwischen den verschiedenen Parlamentsausschüssen. Da dieser Prozess nicht erfolgreich war, verwandelte er sich in eine Diskussion zwischen den politischen Lagern. Die drei großen Fraktionen des EP, die konservative Europäische Volkspartei (EVP), die Sozialdemokrat*innen (S&D) und die Liberalen (Renew Europe), einigten sich auf ein „Hinterzimmerabkommen“, das „der relativ ehrgeizigen Farm to Fork-Strategie einen Todeskuss“ gab. Da die drei Fraktionen eine Mehrheit im Parlament haben, wenn sie sich einigen, ließ ihre gemeinsame Unterstützung den Grünen und linken Europaabgeordneten keine Gelegenheit, auf umweltfreundliche Maßnahmen zu drängen.

Die GAP steht im Mittelpunkt der Aufrechterhaltung der Klima-, Umwelt- und Biodiversitätsziele der EU, wie wir im vergangenen Mai beim Europäischen Green Deal gesehen haben. Folglich steht außer Zweifel, wie wichtig es ist, sie an die Farm-to-Fork (F2F) und Biodiversität-Strategien anzugleichen. Mit der Ablehnung der Änderungsanträge 1199-1201, die sichergestellt hätten, dass die Ziele des Green Deal in die GAP integriert werden, haben die Abgeordneten dieses Gebot jedoch ignoriert.

Was als „verbesserte“ Konditionalität verkauft wird, ermöglicht das Pflügen in Natura-2000-Gras- und Torfgebieten, die wichtige Kohlenstoffspeicher in den Böden der EU sind. Es ist machbar, 25% der landwirtschaftlichen Nutzflächen in der EU ökologisch zu bewirtschaften. Es hätte jedoch eine verstärkte Unterstützung der GAP über Öko-Regelungen für Landwirt*innen benötigt, die nachhaltige Praktiken einführen wollen, was die Europaabgeordneten letzte Woche abgelehnt haben. Darüber hinaus sind nur 30% der Gelder für sogenannten „Eco-Schemes“ zweckgebunden. Lächerlich wenig neben mindestens 60%, die für Direktzahlungen ohne Umweltbedingungen zweckgebunden sind. Mitgliedstaaten, die den Anteil von Eco-Schemes in ihrem Land erhöhen wollen, wären also in ihrem Spielraum für Ambitionssteigerungen stark eingeschränkt.

Ein undemokratisches Verfahren unter dem Einfluss der Agrarlobby

Der GAP-Kompromiss wird dafür sorgen, dass rund 35 % des EU-Haushalts für sieben Jahre für intensive Landwirtschaft aufgewendet werden, die zu Treibhausgasemissionen, Artensterben und sozialer Ungerechtigkeit führt. Zudem wurde er unter undemokratischen Umständen ausgehandelt. Am späten Montagabend zog der Präsident des Europäischen Parlaments David Sassoli die Abstimmungen über die umstrittensten Themen ohne Erklärung vor. Infolgedessen hatten die Europaabgeordneten einen Tag vor der Abstimmung am Mittwoch nicht einmal Übersetzungen des Textes, geschweige denn die Zeit, die 1.500 Änderungsanträge sorgfältig zu lesen und zu verstehen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass einige Abgeordnete später feststellten, dass ihnen Fehler unterlaufen waren, wie z.B. bei der Abstimmung über Änderungsantrag 808, bei der auch beschlossen wurde, jede Aufteilung des Textes abzulehnen. Die Abgeordneten mussten über alles als Pakete abstimmen.

Darüber hinaus haben Anwälte von Client Earth die Kommission wegen eines „illegalen“ und bewussten Versäumnisses gewarnt, den GAP-Reformvorschlag mit dem Green Deal in Einklang zu bringen. Mangels verbindlicher Ziele wird die GAP-Reform wahrscheinlich die im Rahmen der F2F und der Biodiversitätsstrategie formulierten Ambitionen neutralisieren. Diese Inkohärenz zwischen den Politiken ist nicht nur unlogisch, sondern kann auch eine Verletzung der rechtlichen Pflichten der Kommission darstellen.

Die GAP ging noch einen Schritt weiter und zeigte auch den starken Einfluss der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. In einem Bericht des Corporate Europe Observatory wurde darauf hingewiesen, dass COPA-COGECA, die größte Lobbygruppe der industriellen Landwirtschaft, Agrarkonzerne umfasst, die massiv vom Verkauf von Pestiziden und Düngemitteln profitieren und gleichzeitig 80% der GAP-Mittel erhalten.

Die großen Agrarlobbies sind die einzigen, die vor wichtigen Treffen Zugang zu den nationalen Reigerungschef*innen haben, und sind zudem in den so genannten „Gruppen des zivilen Dialogs“ überrepräsentiert. Im Parlament hindert kein Gesetz eine*n Abgeordnete*n, der*die GAP-Subventionen erhält, an der Abstimmung, wie das Beispiel konservativer Abgeordneter wie Peter Jahr zeigt. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, zeigte die New York Times, dass GAP-Gelder lange Zeit von nationalen Regierungschef*innen, wie dem tschechischen Premierminister Babis, missbraucht wurden, um ihre Freund*innen und Familie zu bereichern. Wollen wir wirklich, dass öffentliche Gelder dafür verwendet werden?

Der letzte Ausweg

Während die Details der GAP-Reform jetzt noch zwischen Europäischem Parlament und Rat verhandelt werden, hat die Kommission hat immer noch die Befugnis, den GAP-Vorschlag zurückzuziehen und zu ändern. Mehr noch als diese Möglichkeit, ist es eine Frage der rechtlichen und ethischen Verpflichtung für die Kommission von Ursula von der Leyen, zu handeln, solange sie noch handeln kann. Andernfalls werden die Befürworter*innen der industriellen Landwirtschaft diesen Gesetzesentwurf durch die abnehmende öffentliche Kontrolle während der Triloge (Verhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament) und der Umsetzungsphase auf nationaler Ebene weiter lähmen.

Das ist nicht das, wofür wir, junge Menschen und Umweltschutzgruppen, gekämpft haben. Wir lehnen es entschieden ab, ein Agrar- und Ernährungssystem zu subventionieren, das nicht gesund ist für uns, für diejenigen, die unsere Lebensmittel produzieren, für ihre Tiere und für unseren Planeten. Im Interesse der Erhaltung von Arten und Ökosystemen, für uns und alle kommenden Generationen fordern wir ein gerechtes, agrarökologisches und klimaneutrales Agrar- und Ernährungssystem. Deshalb fordern wir die Kommission auf, dringend zu handeln.

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