Bundestagswahl 2021

So haben die Jungwähler*innen abgestimmt

, von  Benedikt Gremminger

So haben die Jungwähler*innen abgestimmt
Vor allem Grüne und FDP schnitten bei der Bundestagswahl bei jungen Wähler*innen gut ab. Foto: Marco Verch / Marco Verch / CC 2.0

Mit der Bundestagswahl am 26. September weht ein Wind der Veränderung durch die deutsche Politik. Das Ende der Ära Merkel hat die politische Landschaft erheblich umgekrempelt. Besonders interessant sind dabei die Ergebnisse der Wahl bei jungen Wähler*innen unter 25 Jahren. Statt wie SPD und Union auf Bundesebene insgesamt sind dort Grüne und Liberale vorn. Doch wie lassen sich diese Ergebnisse erklären? Und welche Lehren lassen sich daraus für die nächste Bundesregierung ziehen? Eine Kurzanalyse in fünf Trends.

Kaum waren am Wahlsonntag alle Stimmen der Bundestagswahl gezählt, überboten sich die Kommentator*innen bereits mit Analysen. Von der ,,Selbstverzwergung“ der CDU über die neuen ,,Scheinriesen“ von FDP und Grüne bis zum Comeback der SPD auf ,,Samtpfötchen“ ließen es die ersten Berichte an bunten Metaphern nicht fehlen. Während die Parteien nun um die Konsequenzen der Wahl ringen, lohnt sich bereits jetzt ein erster Blick auf die Botschaft der Wahlbevölkerung an die Politik. Eine Gruppe, die für besonders viel Überraschung sorgte, waren die Jungwähler*innen unter 25 Jahren.

Auf Bundesebene lag die SPD insgesamt mit 25,7 % knapp vor der CDU/CSU mit 24,1 %, während die Grünen mit 14,8 %, die FDP mit 11,5 %, die AfD mit 10,3 % und die Linke bei knapp unter 5 % abschnitten.

Bei den unter 25-jährigen Wähler*innen lagen hingegen nach Zahlen von Infratest dimap Bündnis 90/Die Grünen mit 23 % der abgegebenen Stimmen vorne, dicht gefolgt von der FDP mit 21 %. Die Parteien der Großen Koalition erhielten dagegen lediglich 15 % (SPD) und 10 % (CDU/CSU). Die AfD schnitt bei den jungen Wähler*innen mit 7 % schwächer ab als auf Bundesebene, während die Linkspartei dort mit 8 % besser als im Bundesschnitt stand.



Das Wahlverhalten bei den 18- bis 24-Jährigen, Datengrundlage: Infratest dimap


Trend 1: Die Zerstörung der Großen Koalition – Abwahl von SPD und Union

Die wohl wichtigste Lektion aus dem Verhalten der Jungwähler*innen ist die deutliche Abstrafung der regierenden Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU. Gerade noch ein Viertel der unter 25-jährigen machten ihr Kreuz bei den Regierungsparteien. Die Union verliert im Vergleich zur Wahl bei 2017 mehr als die Hälfte der Stimmen der jüngeren Wähler*innen und kommt mit 10 % nur noch auf den 4. Platz (2017: 24 %). Auch die SPD, Wahlgewinnerin dieser Bundestagswahl, verliert bei den jüngeren Wähler*innen an Zustimmung und kommt nur noch auf 15 % (2017: 19). Die Regierungsarbeit der Großen Koalition in den letzten acht Jahren hat die jüngeren Wähler*innen wohl nicht überzeugt. Ein ,,Weiter so“ ist von der jüngeren Generation klar abgewählt worden.

Die jungen Bürger*innen scheinen bei Zukunftsthemen für den gewünschten Modernisierungsschub inhaltlich und personell eher auf Grüne und FDP zu setzen. Gestützt auf ihre guten Ergebnisse, dürften FDP und Grüne der nächsten Bundesregierung ihre Stempel aufdrücken. Gesetzt sind sie bei diesem Wahlergebnis, das realistisch nur eine Ampel-Koalition mit der SPD oder eine Jamaika-Koalition mit CDU/CSU zulässt, auf jeden Fall. Mit einer schwachen Kanzler*inpartei, die gerade einmal ein Viertel der Stimmen auf sich vereint, wird die nächste Bundesregierung vor allem Grün-Gelb sein. Für die Zukunft der traditionellen Volksparteien sind diese Zahlen hingegen ein Debakel.

Trend 2: Die FDP punktet bei Erstwähler*innen

Für deutliche Überraschung sorgte das starke Abschneiden der FDP bei den jüngeren Wähler*innen. 21 % von ihnen stimmten für die Freien Demokraten unter Führung von Parteichef Christian Lindner, kaum weniger als die 23 %, die den Grünen ihre Stimme gaben. Bei den Erstwähler*innen lagen FDP und Grüne mit jeweils 23 % sogar gleichauf.

Damit zeigt sich, dass bei weitem nicht alle jüngeren Wähler und Wählerinnen die sozial-ökologischen Positionen teilen, die ihnen zum Teil unterstellt werden. Vielmehr gibt es auch bei Jungwähler*innen Appetit auf marktfreundliche, technologie- und innovationsgetriebene Politik in der Zukunft. Insbesondere mit dem Vorantreiben der Digitalisierung, Reform der Rente und der Erhaltung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft, Leitplanken des Wahlprogramms der FDP, dürften die Liberalen bei den jungen Wähler*innen gepunktet haben. Zudem könnte auch eine Rückbesinnung auf den Wert der Freiheit nach fast 18 Monaten Corona-Einschränkungen ein Wahlgrund für die FDP gewesen sein.

Trend 3: Fridays for Future und die Klimamobilisierung einer Generation sorgen für starke Grüne

Für wenig Überraschung dürfte hingegen die Stärke von Bündnis 90/Die Grüne bei den jungen Wähler*innen gesorgt haben. Der Umweltschutz ist, wie die großen Klimaproteste der letzten zwei Jahre noch einmal eindrücklich gezeigt haben, das große Herzensthema der jungen Generation und auch gleichzeitig Kernkompetenz der Grünen. Gerade auch die Stimmen von eher jüngeren Wähler*innen bescheren der Partei ihr bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl – und auch 16 Direktmandate, vor allem in Großstädten und Universitätsstädten.

Diese Ergebnisse zeigen, dass Klimaschutz an die Spitze der politischen Prioritätenliste gerückt ist. Das gleiche gilt auch für die manchmal belächelten Forderungen der Grünen in der Gesellschaftspolitik: Auch Fragen der geschlechtersensiblen Sprache oder des Schutz und der Anerkennung der LGBTQIA-Community sind im Herzen der politischen Debatte angekommen. Zwar verfehlten die Grünen ihr Ziel, mit Annalena Baerbock die nächste Kanzlerin zu stellen. Sie gehen allerdings trotzdem mit dem Rückhalt der Jungen mit gestärkter Position in die Koalitionsverhandlungen.

Trend 4: Extreme Volatilität im Wahlverhalten der jungen Wähler*innen

Wie das Ergebnis insgesamt war das Wahlergebnis auch bei den jüngeren Wähler*innen im Vergleich zur letzten Wahl (und der damaligen Alterskohorte) von großer Veränderung geprägt. Die Union reduzierte ihren Anteil an Jungwähler*innen um mehr als die Hälfte, von 24 % auf 10 %, während FDP und Grüne ihre Anteile fast verdoppelten. Der Trend der abnehmenden Parteienbindung und der Loslösung von den traditionellen Volksparteien nahm auch bei dieser Wahl weiter zu. Dies zeigte sich auch in den mehr als 15 % der jüngeren Wähler*innen, die kleinere Parteien gewählt haben.

Neben Anti-Establishment-Stimmung kann man bei jüngeren Wähler*innen auch eine wachsende Bereitschaft erkennen, bei passendem Wahlprogramm und Personal die politische Partei zu wechseln. Dies birgt sowohl Herausforderungen als auch Chancen: In der Zukunft werden sich die Parteien noch weniger auf eine Stammwählerschaft verlassen können. Gleichzeitig steigt die potenzielle Wählerschaft an.



Die Stimmverteilung nach Altersgruppen, Datengrundlage: Infratest dimap


Trend 5: Spalt zwischen älteren und jüngeren Wähler*innen

Auffällig ist außerdem auch die wachsende Schere zwischen dem Wahlverhalten jüngerer Wähler*innen und Wähler*innen über 60 Jahre. Während die SPD bei letzteren dank starker Zugewinne die Wahl für sich entscheiden konnte, verlor sie bei den unter 25-jährigen. Linke und FDP haben jeweils mehr als doppelt so hohe Anteile an der Wählerschaft bei den jüngeren Wähler*innen im Vergleich zu den älteren Wähler*innen, wo sie weiterhin nur schwach abschneiden. Die Union wird dagegen von ihre älteren Stammwähler*innen vor einem noch schlimmeren Absturz bewahrt.

Die nächste Bundesregierung wird die schwierige Aufgabe erhalten, diese zum Teil gegensätzlichen Interessen auszugleichen und gleichzeitig eine nachhaltige Zukunftspolitik zu betreiben. Insbesondere in der Klimapolitik gilt es, generationenübergreifend zusammenzuwirken, anstatt die einzelnen Alterskohorten dort gegeneinander auszuspielen. Einfach wird dies in dieser fragmentierten Parteienlandschaft jedenfalls nicht.

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