Seit den Wahlen befindet sich die deutsche Politik irgendwo im Nirgendwo. Zunächst scheiterten die Jamaika-Sondierungen spektakulär an der FDP. Jetzt bleibt nur die ungeliebte große Koalition – oder eine Minderheitsregierung, für welche die Union scheinbar keinen Plan B hat. Vor Neuwahlen schrecken die meisten Parteien zurück. Auch, weil sich vermutlich nicht genug am Ergebnis ändern würde.
SPD Parteichef Schulz steht nun unter großem Druck. Bei vielen Wählern und Mitgliedern hat er das Vertrauen verloren und mehr als nur einer seiner Parteigenossen schielt schon auf den Führungsposten. Deutschlands älteste Partei hat jedoch schon seit fast zwanzig Jahren ein Problem mit ihrem Profil, nach innen wie nach außen.
Versprochen, gebrochen
Für viele war er Anfang 2017 der große Hoffnungsträger der Partei, nachdem Sigmar Gabriel überraschend die Spitzenkandidatur abgab. Aber dann fuhr er im Wahlkampf gegen Merkel ein katastrophales Ergebnis für die SPD ein. Danach hieß es laut, dass die SPD für eine erneute große Koalition nicht mehr zur Verfügung stünde. Stattdessen wollte die Partei sich komplett erneuern. Mehrere Spitzenpolitiker der SPD legten Reformprogramme vor, auch Martin Schulz selbst.
Als die Jamaika-Koalition an FDP-Chef Christian Lindner scheiterte, drängte Bundespräsident Steinmeier seine Partei dazu, erneut Gespräche über eine große Koalition mit der Union einzugehen. „Staatspolitische Verantwortung“ hieß es. Deutschland brauche eine Regierung. Schulz gab nach - was von vielen SPD-Anhängern als „umfallen“ interpretiert wurde. Den Vorwurf des Wortbruchs muss er sich hier gefallen lassen.
„Weiter so“ in den politischen Einheitsbrei?
In der Politikwissenschaft ist es völlig eindeutig: Eine große Koalition stärkt immer die extremen Parteien an den Rändern. Der politische Diskurs zwischen den Lagern der Mitte wird geschwächt. In diesem Fall profitiert vor allem die rechtspopulistische AfD. Diese verdankt ihren kometenhaften Aufstieg der führungsschwachen Koalition der letzten Jahre – allerdings auch der Tatsache, dass keine Partei es schaffte, eine alternative Gesamtvision zu Merkels Kurs zu erschaffen. Hier liegt das größte Problem für die SPD. Sie muss sich dringend erneuern.
Innenpolitisch muss sie endlich die Erbschuld Gerhard Schröders ablegen und wieder eine eigene politische Vision aufstellen. Der Sozialabbau durch die Hartz-Reformen belastet noch heute das Vertrauen in die SPD, da diese Maßnahmen vor allem der eigentlichen Wählergruppe der Partei geschadet haben. Dass die Sozialdemokraten seitdem stets der Juniorpartner von Merkels CDU waren hat das politische Profil der SPD weiter verwaschen. Nun erneut der Union zur Macht zu verhelfen, speziell nachdem man dies zuvor kategorisch ablehnte, könnte das Vertrauen der Wähler in die SPD endgültig zerstören.
Dabei gäbe es eigentlich genug soziale Missstände in Deutschland bei denen sich die SPD einsetzen sollte. Aber die Partei kann nicht mehr überzeugend darstellen, dass sie diese beseitigen kann – oder will.
Kein Sieg für niemand – das Sondierungspapier
In der letzten Regierung hat die SPD es trotz Mindestlohn nicht geschafft, die Wähler von ihrer Arbeit zu überzeugen. Daher müsste es eigentlich das Ziel sein, sich im Falle einer großen Koalition möglichst stark aufzustellen und sich so teuer wie möglich zu verkaufen. Gelungen ist das nicht, im Gegenteil: Absage an den Klimaschutz, keine Bürgerversicherung, kein Ende der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen – kaum eine Forderung hat es ins Sondierungspapier geschafft. Stattdessen findet sich die Handschrift der SPD in vielen kleinen Verbesserungen. Das ist zwar insgesamt ein positiver Impuls, aber auch nicht mehr. Den Notstand in der Pflege werden 8000 neue Stellen nicht beseitigen können. Zudem fehlt vielen Unterstützungsprogrammen das Budget, was die Rentenkassen weiter belastet.
Es ist nicht genug, um dafür den Erneuerungsprozess in der SPD aufzugeben. Denn wenn man sich vor allem von der Union abgrenzen und einen Gegenentwurf zu ihr liefern muss, dann geht das erdenklich schlecht, wenn gleichzeitig zusammen regiert wird. Schon in den letzten Jahren hat die SPD vieles mitgetragen, was ihrer Identität widerspricht.
Fast, so mag es erscheinen, verkauft die Parteizentrale, die ausgerechnet nach Willy-Brandt benannt ist, die Seele der SPD für ein paar Regierungsposten.
Auch die Union hat sich in die Ecke manövriert
Die Union hingegen leidet unter dem „läuft doch, weiter so“-Prinzip ihrer Kanzlerin. Verglichen mit den Zeiten von Kohl und Strauß erscheint Merkels-CDU nach Ansicht mancher als „zu viel nach links abgedriftet“. Was allerdings auch schlicht am gesellschaftlichen und kulturellen Wandel liegt. Manche wollen auch hier gerne die Uhr zurückdrehen. Man sehnt sich nach den „alten Zeiten“. Auch wenn die Welt sich weiter gedreht hat.
Die CSU betreibt bereits Landtagswahlkampf und will mit allen Mitteln Wählerwanderungen zur AfD vermeiden – indem sie Forderungen der AfD kopiert. Diese Landtagspositionen muss die SPD in einer Koalition nun mittragen. Aber auch die CDU scheint sich nicht recht gegen ihre Schwesterpartei behaupten zu können. Stattdessen stellt die CSU immer wieder die Linie der Union in Frage – mit offensichtlichem Erfolg.
GroKo oder #NoGroKo?
Deutschlands Sozialdemokratie ist tief gespalten. Neben den Flügelkämpfen zwischen den ans neoliberale grenzenden „Seeheimern“ und der Parlamentarischen Linken, treten aber immer mehr Trennlinien hervor: Parteispitze gegen Basis und nun auch „alt“ gegen „jung“? Die Fronten sind verhärtet. Umso mehr seit einige des SPD-„Establishments“ Vorschläge einbrachten, Neumitglieder, die aktuell vor allem auf Seiten der Koalitionsgegner in die Partei strömen, nicht an der Abstimmung teilnehmen zu lassen.
Vor allem unter den Jusos, angeführt von Kevin Kühnert, regt sich massiver Widerstand. Viele befürchten, dass die SPD in einer erneuten GroKo weiter Schaden nehmen wird und die AfD weiteren Aufwind erhalten könnte. Die Sorge ist berechtigt. Allerdings müssen sich die Jusos um Kühnert herum vorwerfen lassen, dass sie selbst ebenfalls noch keine alternativen Konzepte jenseits des „Nein zur GroKo“ bieten können.
Die SPD-Rebellen wünschen sich meist eine Minderheitsregierung aus Grünen und CDU/CSU, die dann im Gegenzug von der SPD toleriert wird. Ob das überhaupt realistisch wäre, ist schwer einzuschätzen.
Was ist wichtiger: Die Partei oder das Land?
Befürworter der Koalition argumentieren klassisch: Man könne nur in einer Regierung Dinge verändern. Deutschland brauche eiligst eine neue Regierung. Macron braucht Unterstützung in Europa. Man wolle Verantwortung übernehmen. All das ist natürlich richtig - aber bis jetzt konnte sich die SPD nur mit kleinen Verbesserungen in den Verhandlungen durchsetzen. Europa ist der einzige wirkliche Gewinner im Sondierungspapier. Dort soll und muss sich viel bewegen, wenn man die Chance zur Reform, die Macron erschuf, nicht vergeuden will. Daher muss die SPD-Basis sich auch fragen: Sind die Schwierigkeiten in vier Jahren wirklich Grund genug, die Chance auf ein besseres Europa zu verschwenden? Die Koalitionsgespräche sind für die SPD bisher ein Desaster. Selbst Einigungen werden direkt wieder von der Union in Frage gestellt. Es lassen sich allenfalls Mini-Nachbesserungen erkennen. Niemand in der SPD kann ernsthaft behaupten, die GroKo sei ein großer Wurf.
Die SPD hat bereits verloren
Sich für die erneute Koalition zu entscheiden, ist für die SPD keine leichte Entscheidung. Sie riskiert ihre Identität und den letzten Funken Glaubwürdigkeit. Aber dadurch, dass die SPD überhaupt Koalitionsbereitschaft zeigt, ist das Kind bereits in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen. In der öffentlichen Darstellung bestimmen nun die SPD-Mitglieder darüber, ob Deutschland wieder eine Regierung hat, oder ob das Regierungskoma andauert.
Lehnt die SPD-Basis nun die Koalition ab, macht sie sich zur Zielscheibe. Stimmt sie zu, kann sie ebenfalls nur verlieren.
Man könnte natürlich auch die Argumentation umdrehen und sagen: Wenn die Basis zustimmt, dann hat Europa gewonnen, wenn sie ablehnt, hat die SPD gewonnen. Aber gewinnen fällt der SPD schwer. Mutiges, selbstsicheres Auftreten scheint sie verlernt zu haben. Während die CSU jede Einigung als großen Erfolg verkauft, tut sich die SPD schwer. Sie hat nicht viel vorzuweisen. Und wann immer sie etwas vorweisen kann, sind andere im einheimsen des Erfolges schneller.
Egal ob nun GroKo oder nicht: Die SPD muss sich radikal erneuern. Neue Gesichter, neue Ideen, neue Konzepte. Die SPD muss die Antworten und Alternativen liefern, derer sowohl Jusos als auch Parteipräsidium nun schon seit Jahren schuldig sind. Wenn die Sozialdemokraten einen Neuanfang schaffen, dann gehen sie auch aus einer Koalition gestärkt hervor. Wenn nicht, haben sie nach den nächsten Bundestagswahlen auf jeden Fall Zeit, sich Gedanken zu machen – denn dann werden sie am unteren Ende des Wahlergebnisses zu finden sein.
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