To leave or not to leave - that is the question (Teil 1)

, von  Sophia Christoph

To leave or not to leave - that is the question (Teil 1)
Bild: Die Houses of Parliament
Quelle: Wikimedia Commons / Adrian Pingstone / Public Domain

Großbritanniens Zweifel an der EU sind keine Erscheinung des neuen Jahrtausends. In der Geschichte des Landes gab es 1975 schon mal ein Referendum, damals ging es um die weitere Mitgliedschaft in der EWG (Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft), dem Vorläufer der EU. Anders als 2016 stimmte dabei die Mehrheit der Wählerschaft für einen Verbleib in der Gemeinschaft. Vierzig Jahre später, im Brexit-Referendum, fällt die Entscheidung anders aus. Ein wenig mehr als die Hälfte der Wähler, 51,9%, entscheiden sich für „leave“. Treffpunkteuropa berichtet und analysiert was seitdem geschah. Heute: vom Referendum bis zum Rücktritt von Theresa May.

Sommer 2016: Ein Referendum schafft (keine) Klarheit

Das Referendum war ein Wahlversprechen David Camerons. Weitere Mitgliedschaft in der EU, ja oder nein – das mag ursprünglich wie eine pragmatische Überlegung gewirkt haben. Die sich in den Kampagnen abzeichnende Spaltung der Gesellschaft entsprang jedoch der tiefen Emotionalität, mit welcher das Thema betrachtet wurde. Es hieß, die EU stelle Großbritanniens Souveränität in Frage; ein nostalgisches Bild des früheren British Empire wurde zur Zukunftsvision eines Großbritanniens außerhalb der EU.

Unsicherheit prägte die Zeit vor der Wahl: Das Referendum sollte Klarheit bringen. In der emotionalisierten Debatte hatten viele Angst vor dem Resultat. So gab es zeitweise einen Ansturm auf Anträge für doppelte Staatsbürgerschaften, Prognosen zum Ergebnis schwankten, die Zukunft des Königreichs wurde in Studien dargestellt, die je nach politischer Prägung Vor- oder Nachteile eines Brexits voraussagten. Am 25. Juni 2016 wurde mit dem Referendum den Spekulationen vorerst ein Ende gesetzt: Großbritanniens Wählerschaft stimmte für den Brexit.

Es zeigte sich jedoch, dass dieses Ergebnis nur noch mehr Unklarheit schaffte. Der Austritt eines Mitgliedslandes aus der EU und Euratom (ein eigenständiges, sich aber mit der EU alle Organe teilendes europäisches Bündnis für Kernenergie) war bei ihrer Gründung nicht wirklich vorgesehen. Artikel 50 war eher aus formellen Gründen hinzugefügt worden, das Konzept der Union sollte ein langsames, symbiotisches Zusammenwachsen sein. Wie musste also nun verfahren werden?

Premierminister Cameron kündigte nach der Bekanntgabe des Ergebnisses seinen Rücktritt an. Er hatte es seiner Partei freigestellt, ob sie Wähler*innen für oder gegen den Brexit mobilisieren wollte, sich selbst aber in zahlreichen Gesprächen mit der EU um Reformen für die Union bemüht. In seiner letzten Rede erklärte er, er respektiere diesen großen Akt der Demokratie, könne aber selbst nicht die starke Führung der Regierung bieten, die bei Austrittsverhandlungen mit der EU nötig sei.

Frühjahr 2017 – Sommer 2017: Austrittsantrag und Neuwahlen

Am 29. März 2017 reichte die britische Regierung also in Brüssel den Austrittsantrag ein. Ab diesem Zeitpunkt galt eine Frist von zwei Jahren, in denen Großbritannien unter anderem Strategien einer unabhängigen Sicherheits- und Außenpolitik entwickeln sollte. An die Stelle Camerons war Theresa May getreten. Diese veranlasste im Juni 2017 Neuwahlen, denn zu diesem Zeitpunkt schnitt ihre Partei, die „Conservative and Unionist Party“, in den Umfragen gut ab.

May wollte somit das eigene Lager stärken, ihre konservativen Tories verloren jedoch in den Wahlen ihre absolute Mehrheit. Nur knapp wurden sie zur stärksten Partei, dicht gefolgt von der Labour Party – und damit schwächte May sich selbst. Von nun an sah sie sich einer starken Opposition gegenübergestellt, von der die Entscheidungsfindung in der Brexitfrage schwer beeinflusst und blockiert werden konnte.

Harter oder weicher Brexit?

Doch bis 2018 rückte das Thema „Brexit“ im britischen Parlament erst einmal in den Hintergrund und ohne fruchtbare Verhandlungen mit London begann die EU sich langsam auf einen ungeregelten Brexit vorzubereiten. Innerhalb der britischen Regierung entstand eine Spaltung in die „Hardliner“ und die Verteidiger eines weichen Brexits.

Ein harter Austritt, also ein Austritt ohne Abkommen mit der EU, würde Großbritannien ein Maximum an Souveränität und Autonomie garantieren, aufgrund der verlorenen Anbindung an den europäischen Binnenmarkt aber auch nicht absehbare wirtschaftliche Folgen bedeuten. Gleichzeitig müsste das Land nun als sogenannter Drittstaat zu erschwerten Konditionen mit der Union über neue Handelsabkommen verhandeln. Das sollte ein weicher Brexit, mit vorher ausgehandeltem Deal, verhindern.

Sommer 2018 – Herbst 2018: Theresa Mays Abkommensvorschlag versagt

May unterstützte einen weichen Austritt und fiel somit bei Teilen ihrer Partei in Ungnade. Ihr Vorschlag für den Austritt, der sogenannte Chequer‘s Deal, wurde für ihren Brexitminister David Davis und seinen Kollegen Boris Johnson, dem damaligen Außenminister, zum Anlass ihre Ämter niederzulegen. Statt in einer starken Verhandlungsposition befand sich die britische Regierungspartei somit in einer immer tiefer gehenden Spaltung und sah sich mit einer lauten Opposition konfrontiert.

Außerdem lehnte die EU Mays Vorschlag eines Deals ab: Er würde die Souveränität des europäischen Binnenmarktes untergraben. Vereinfacht forderte Großbritannien, alle Vorteile der EU zu behalten, ohne sich jedoch den grundlegenden vier Freiheiten, freiem Bürger-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr, innerhalb der Union zu verpflichten. Doch das lehnte die Union ab. „In is in, out is out“, sagte dazu Wolfgang Schäuble.

Winter 2018 – Frühjahr 2019: Im Parlament scheitert ein Deal am Backstop

Die EU bereitete sich schon auf einen ungeregelten Austritt vor, als im November 2018 ein Deal->https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/draft_withdrawal_agreement_0.pdf zustande kam. Dieser wurde im Januar 2019 jedoch zu fast zwei Dritteln vom britischen Parlament abgelehnt. Aber was löste diese Aversion der Abgeordneten aus?

Im Deal wurden die Grundlagen für den Ablauf des Austritts skizziert. Nach dem Austritt aus der EU am 29. März 2019 sollte Großbritannien noch für eine Übergangsphase von zwei Jahren in der Union bleiben und die Verhandlungen über die zukünftigen Beziehungen zur EU klären. Weiterhin sollten die Briten noch über zwei Jahre hinweg Mitgliedsbeiträge an die EU zahlen. Das große Problem des Parlaments war jedoch weder die Zweijahresfrist noch die finanzielle Verpflichtung, sondern der sogenannte Backstop.

Mit dem Backstop als Übergangslösung für Nordirland sollte eine harte Grenze mit Zollkontrollen auf der irischen Insel um des irischen Friedens Willen auf jeden Fall verhindert werden. Sollten keine weiteren Abkommen zwischen EU und Großbritannien getroffen werden, würden für Nordirland weiterhin die Regeln und Gesetze der europäischen Union gelten. Diese Regelung sorgte bei der nordirischen Partei DUP für Entrüstung – ihrer Meinung nach stehe Nordirland dieselbe Souveränität wie dem Rest des Königreiches zu. Auch andere Parteien sahen den Backstop problematisch, die Briten würden sich damit in eine Abhängigkeitsbeziehung zur EU begeben.

Frühjahr 2019 – Sommer 2019: Brexit wird verschoben und May tritt zurück

In Nachverhandlungen konnte May zwar noch kleine Änderungen an der Backstop-Regelung erreichen, als sie ihren Deal dem Parlament zum zweiten Mal vorlegte, scheiterte sie jedoch erneut. Das Unterhaus war Mitte März, kurz vor dem Austrittstermin an einen Punkt kompletter Uneinigkeit angelangt. Nicht nur der Deal wurde abgelehnt, ebenso ein harter Brexit, die einzige Mehrheit konnte gewonnen werden für eine Verlängerung der Uneinigkeit – für eine Verschiebung des Brexits. In Testabstimmungen kurz vor dem Austrittstermin wurde die fortgeschrittene Zersplitterung noch deutlicher sichtbar: Für keinen der insgesamt acht vorgelegten Vorschläge könnte überhaupt eine Mehrheit im Parlament gewonnen werden.

Der Austritt wurde um 215 Tage verschoben, auf den 31. Oktober 2019. Doch auch diese Verzögerung war nicht unproblematisch. Ende Mai standen die EU-Parlamentswahlen an und GB wäre als Mitgliedsstaat gezwungen an diesen teilzunehmen. Das versetzte die Hardliner in Entrüstung: Das Land war drauf und dran die EU zu verlassen, wieso sollte es für weitere vier Jahre Abgeordnete nach Brüssel senden, um dort an Entscheidungen teilzuhaben?

Doch eine weitere Nachricht bewegte die Gemüter: Am Tag der Wahlen gab May ihren Rücktritt als Premier Ministerin bekannt. 2016 hatte sie ihr Amt angetreten mit den Worten „I know, because we are Great Britain, that we will rise to the challenge - as we leave the EU we will forge a bold new positive role for ourselves“ , 2019 legte sie es nieder mit der nüchternen Erkenntnis „I have not been able to deliver Brexit.“

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