Als Nachfolger von Herman van Rompuy ist Donald Tusk der zweite Präsident des Europäischen Rates und der erste Osteuropäer, der eine Spitzenpostition der EU bekleidet. Zudem ist er der erste polnische Ministerpräsident seit 1989, der in seinem Amt bestätigt wurde. Für Brüssel gab er dieses wohlüberlegt auf. Angela Merkel und David Cameron haben sich für seine Kandidatur stark gemacht, heißt es.
Ein leidenschaftlicher Europäer
Tusk gilt als leidenschaftlicher Europäer. Aufgewachsen im von Russland gesteuerten Polen engagierte er sich schon früh gegen das Regime als Anhänger der Solidarnosc. Sein Geschichtsdiplom schloss er mit einer Arbeit über Pilsudski ab, einen polnischen Militär, der gegen die russische Besatzung kämpfte. Das ist in seiner Haltung gegenüber Wladimir Putin spürbar. Tusk plädiert für ein geeinigtes, unabhängiges Europa und fordert so auch die Einführung einer europäischen Energieunion, die Russlands Druckpotential durch schrumpfen ließe. Seiner Meinung nach hätte der Ukrainekonflikt entschärft werden können, hätte man den ehemaligen Ostblockstaaten den Eintritt in die EU früher erleichtert. Tusks Offenheit für die Erweiterung Europas ist begrüßenswert, doch birgt sie die Gefahr, Russland zu provozieren.
Enges Verhältnis zu den USA
Zu seiner Studienzeit galten Margeret Thatcher und Ronald Reagon als seine Vorbilder. Der liberal-konservative Politiker hat seinen Blick gen Westen gerichtet, weshalb er auch für eine rasche Umsetzung des transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) wirbt. Es ermöglicht amerikanischen Unternehmen, Klage zu erheben, wenn sie ihre Produkte auf Grund der europäischen Gesetzgebung hier nicht vermarkten können. Das Urteil fällen gesonderte Schiedsgerichte. Inwieweit das für ein unabhängiges Europa spricht, ist fraglich.
Wirtschaftliche Probleme bleiben eines der Hauptaugenmerke der EU. Hier kann Tusk punkten. Kaum ein Land hat sich seit EU-Beitritt so gut entwickelt wie Polen. Es ist gerade seiner Führung zu verdanken, dass das Land trotz Wirtschaftskrise einen Aufschwung erlebte und nun zu den wirtschaftlich stärksten Ländern in Europa zählt. Seine Expertise wird in Zukunft am Verhandlungstisch gefragt sein.
Gute Beziehung zu Cameron
Großbritannien droht nach wie vor mit einem Austritt, sollte es seine Forderungen in der EU nicht durchsetzen können. Immerhin, mit Donald Tusk kann sich Cameron gut eine Zusammenarbeit vorstellen, auch in den nächsten Jahren. Tusk möchte den Briten bei ihren Forderungen entgegenkommen. „Ich kann mir ein Europa ohne Großbitannien nicht vorstellen“, sagt er.
„I will polish my English“
Der Präsident des Europäischen Rates hat die Aufgabe, die Treffen der Regierungschefs der Länder zu moderieren, Kompromisse auszuarbeiten und die Union nach außen zu vertreten. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die sich ohne englische Sprachkenntnisse kaum bewältigen lässt. Tusk, der fließend Deutsch und Russisch beherrscht, sprach bei Amtsernennung nur brüchig Englisch. „I will polish my English“, versprach er Ende August. Er hielt sein Versprechen. Bei Amtsantritt gab er sein erstes Interview in englischer Sprache - flüssig.
Das politische Schwergewicht
Tusks Werdegang spiegelt seine eigentliche Stärke wieder. Er ist ein Pragmatiker und lässt sich nicht klein kriegen. Als das kommunistische Regime ihm ein Berufsverbot als Journalist auferlegte, verdiente er sein Geld als einfacher Arbeiter bei riskanten Höhenarbeiten. Trotz Scheitern in den polnischen Parlamentswahlen 2005 trat er zwei Jahre später erneut gegen die Kaczynski-Brüder an und konnte die Ministerpräsidentschaft für sich beanspruchen. Zusammengefasst: Donald Tusk ist eine gute Wahl. Seine Erfahrung und sein Engagement gewähren ihm hohes Ansehen unter den europäischen Regierungschefs. Er gilt als politisches Schwergewicht. Weniger sprachgewandt als sein Vorgänger, doch scheinbar mit mehr Durchsetzungskraft wird er die Verhandlungen in Brüssel führen. Auch mehr Präsenz in der Öffentlichkeit ist zu erwarten, da er sich vermutlich nicht wie van Rompuy in den Hintergrund verdrängen lassen wird. Sollten sich diese Annahmen bestätigen, ist mit seiner Wiederwahl in zweieinhalb Jahren zu rechnen.
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