Umweltschutz und Demokratie: der gleiche Kampf

, von  Théo Boucart, übersetzt von Leonie Charlotte Wagner

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Umweltschutz und Demokratie: der gleiche Kampf
Demonstration anlässlich der COP15 in Melbourne (2009) Fotoquelle: Flickr / Takver / CC BY-SA 2.0

Warum die Verteidigung der Demokratie und die Förderung der Zivilgesellschaft in Zeiten der ökologischen Krise wichtiger sind denn je.

Zivilgesellschaft und Ökologie sind zwei Konzepte, die erst mal wenig miteinander zu tun haben. Während Zivilgesellschaft die menschliche Gesellschaft betrifft, bezieht sich Ökologie auf die Natur. Mensch und Natur sind zwei durch die drastischen ökonomischen und technologischen Entwicklungen der letzten zwei Jahrhunderte immer mehr voneinander getrennte Welten. Es wäre jedoch falsch, sie getrennt voneinander zu betrachten, schließlich ist der Mensch ein Produkt seiner natürlichen Umwelt und nur ein Glied in der Kette, die sich durch die Welt des Lebendigen zieht.

Wir sind seit mehr als einem Jahrzehnt mit einer systematischen Krise konfrontiert. Es wird höchste Zeit, dass wir unsere Denkmuster so anpassen, dass wir Umweltschutz und Demokratie verbinden. Das neoliberale Wirtschaftssystem und die deregulierte Globalisierung vernichten sowohl die Umwelt als auch den sozialen Zusammenhalt. Angesichts der wahnsinnigen Veränderungen und der gnadenlosen Internationalisierung des Handels nimmt das Gefühl der Bürger*innen, auf sich alleine gestellt zu sein, zu, was zu populistischen und extrem rechten Wahlergebnissen führt. Dies stellt eine große Gefahr für die demokratischen Institutionen und die Zivilgesellschaft dar. Analog zum Sprichwort „Gesunder Geist in gesundem Körper“ (mens sana in corpore sano), ist die Demokratie nur dann in guter Verfassung, wenn Umwelt und Gesellschaft es auch sind. In der Tat könnte die Schädigung der Umwelt Verletzungen fundamentaler Bürgerrechte mit sich bringen.

Der Umweltschutz und die Förderung der Zivilgesellschaft sind somit vom gleichen Prinzip geleitet: dem Schutz des Gemeinwohls. Die Umwelt ist der Lebensraum aller, so wie die Demokratie die politische Basis aller ist. In diesen Krisenzeiten, in der Klimakatastrophen uns Menschen regelrecht lähmen, ist es wichtig, dass sich Zivilgesellschaft und Politik gemeinsam daran machen, die Gefährdungen der Umwelt und der Demokratie zu bekämpfen. Als Stützen menschlicher Existenz können Umwelt und Demokratie nur komplementär funktionieren.

Die Gefahr eines „Carbo-Populismus“ in Europa

Gelinde ausgedrückt, ist die Politik nicht bereit, diese Probleme in Angriff zu nehmen. Noch schlimmer: Eine braune, anti-demokratische und anti-ökologische Bewegung verbreitet sich in zahlreichen Ländern. Anfang Oktober erklärte Jean-Baptiste Fressoz in der Libération, wie Donald Trump, Rodrigo Duterte, Scott Morrison oder auch Jair Bolsaro gleichzeitig demokratische Grundprinzipien und den Umweltschutz angreifen, was den Aufstieg eines globalen „Carbo-Faschismus“ befürchten lässt.

In Europa hat man lange gedacht, vor den klimatischen und autoritären Bedrohungen geschützt zu sein. Die Europäische Union soll einen Rahmen für die Garantie der Demokratie und einer intakten Umwelt darstellen. Dies allerdings trifft immer weniger zu. Die politischen Führungskräfte Polens zerstören die polnische Demokratie ebenso wie den Urwald von Bialowieza, in Deutschland ist die AfD größtenteils kohlefreundlich und klimaskeptisch, in Großbritannien geht der Brexit mit der Ausschöpfung von Schiefergas einher. Auch in Europa sind die extrem rechten und populistischen Parteien also ein wahres Desaster für die Umwelt und stellen außerdem eine Katastrophe für Demokratie und Zivilgesellschaft dar.

Die Macht der Mehrheit und eine entschlossene Jugend

Wenn die „politische“ Stütze angesichts der Probleme der Demokratie und Umwelt nicht effektiv handeln kann, muss die „zivile“ Stütze übernehmen. Die Zivilgesellschaft muss sich dringend der Verbindung zwischen der Verteidigung der Demokratie und dem Umweltschutz bewusst werden. Der aktuelle politische Diskurs, der den Klimawandel dramatisiert, um zu verdeutlichen, dass es keine glaubwürdige Alternative zum neoliberalen Kapitalismus gibt, führt zu kollektiver Apathie. Nichtsdestotrotz entstehen vielfältige Initiativen, um Bürger*innen für demokratische Themen und Umweltfragen zu sensibilisieren. Hierbei schaffen sie Brücken zwischen den beiden Thematiken.

Dies ist beispielsweise der Fall beim „Youth Forum COP“, einer Non-Profit-Organisation, die von Studierenden in Brüssel gegründet wurde. Zusammen mit anderen Studierenden brachte Nathan Stranart das Projekt auf den Weg, nachdem er zwei Dinge festgestellt hatte: zum einen, dass die Gefahren des von Menschen verursachten Klimawandels wachsen, zum anderen, dass sich so viele junge Leute wie möglich mit Klimafragen beschäftigen sollten. Das Youth Forum COP hat das Format eines Diskussionsforums, es wird nach den Richtlinien der „richtigen“ COP (Vertragsstaatenkonferenz) wie der COP 21 in Paris im Jahr 2015 debattiert. Am Ende wird ein Abschlussbericht erstellt, der gänzlich von den jungen Teilnehmer*innen redigiert wird. Dieser wird anschließend an entsprechende Behörden weitergeleitet, um den Einfluss des Diskussionsforums zu erhöhen. Das Jugendforum sensibilisiert die Jugend nicht nur bezüglich Klimafragen und Zivilgesellschaft, es dient auch dazu, den Teilnehmer*innen auf möglichst demokratische und inklusive Weise eine Stimme zu geben. So sollen politische Entscheidungen beeinflusst werden können. Die Herausforderung besteht darin, die Initiative finanziell am Leben zu erhalten, auch wenn die Organisation von einem Panel aus Expert*innen, der belgischen Delegation der Vertragsstaatenkonferenz und anderen Organen unterstützt wird, und die Kommunikation effizient zu gestalten (z. B. über die sozialen Medien und mit Hilfe von Botschafter*innen), um die Organisation, die die Förderung der Zivilgesellschaft und den Kampf gegen den Klimawandel verbindet, bekannter zu machen.

Die Diskussionsforen sind allerdings nicht die einzigen Orte, wo Veränderungen erzielt werden können, die Straße und der öffentliche Raum sind nicht weniger wichtig. Hier sollten wir uns daran erinnern, dass „Demokratie“ „Macht des Volkes“ bedeutet und sich „Zivilgesellschaft“ von „civitas“ ableitet, was mit „Bürgerschaft“ übersetzt werden kann. „Agora“, ein Begriff, der in diesem Kontext ebenfalls häufig fällt, bezieht sich auf den Ort gesellschaftlicher und politischer Versammlungen im antiken Griechenland. In Frankreich hat der Rücktritt von Nicolas Hulot, dem „Minister für den ökologischen und solidarischen Übergang“, bei denjenigen für einen Schock gesorgt, die friedliche Demonstrationen (Klimamärsche) organisiert hatten. Laut Quentin Guilmois, den Organisator des Klimamarschs am 8. September 2018 in Toulouse, ist die Stärke der Bewegung, dass bei den Umzügen mehrere Generationen zusammenkommen. Die Teilnahme der Jugendlichen sei hierbei besonders wichtig. Die Herausforderung dieser zivilen und überparteilichen Bewegung, die sich mit Klimafragen beschäftigt und auf der Straße sichtbar ist, besteht darin, dafür zu sorgen, dass ihr nicht die Luft ausgeht. Wie die Libération ebenfalls berichtet, sieht Nicolas Haeringer vom Verband 350.org in dem nationalen Erfolg dieser Klimamärsche eine zivile und demokratische Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Neoliberalismus in seiner derzeitigen Form, der mit Demokratie, Gemeinschaftsleben und Ökologie unvereinbar ist, zu kippen.

Zivilgesellschaft und Umweltschutz: Die Uhr tickt

Die Organisationen, welche die Zivilgesellschaft, den Umweltschutz sowie den Kampf gegen den Klimawandel vorantreiben, scheinen eine vielversprechende Zukunft zu haben, wenn man bedenkt, dass sich ein wachsender Teil der Bevölkerung der Gefahren, die sich aus den autoritären Bewegungen und der ökologischen Krise ergeben, bewusst wird. Die große Frage ist, ob das reichen wird. Ohne in den Katastrophismus zu verfallen, der weiter oben angeprangert wurde, müssen wir feststellen, dass die Uhr tickt: Die Klimakatastrophe steht bevor und die Demokratie befindet sich überall auf der Welt in der Defensive. Zwei gegensätzliche Dynamiken zeigen sich auf: Auf der einen Seite selbst in Europa der Aufstieg des „Carbo-Populismus“ (und das trotz eines Aufstiegs grüner Bewegungen auf lokaler Ebene in Bayern, in Luxemburg und Brüssel), der eine ernstzunehmende Gefahr für die Gesellschaft und die Biodiversität darstellt. Auf der anderen Seite immer mehr zivile pro-demokratische und pro-ökologische Bewegungen. Diese beiden Dynamiken erscheinen wie zwei Seiten derselben Medaille. Am Ende müssen die Menschenmassen und die Jugend die Politik zwingen, dem Rhythmus zweier koordiniert laufender Beine zu folgen. Die Zeit dafür schwindet. Daher ist es absolut notwendig, jetzt zu handeln und die Hoffnung auf das Potenzial kollektiver Handlungen zu bewahren.

Vor allem in Europa findet zurzeit dieses Umdenken statt. Der Klimawandel wütet nicht nur in Afrika oder Asien, die Verletzlichkeit der Demokratie ist überall in Europa sichtbar. Die Europäische Union muss sich bewusst machen, dass eine intakte Umwelt und der Erhalt der Biodiversität unverzichtbar für das Fortbestehen und die Stabilität der Demokratie sind, dass das eine ohne das andere nicht überleben kann.

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