LGBTQ+-feindliche Politik

Ungarn schreibt sich Menschenfeindlichkeit in die Verfassung

, von  Denise Klein

Ungarn schreibt sich Menschenfeindlichkeit in die Verfassung
flickr / Justin van Dyke / CC-BY-2.0 Menschen versammeln sich in den Straßen von Budapest und feiern ihre Freiheit - Budapest Pride 2015

An den Wänden kleben Spiegelscherben, Glitzersteinchen und Sticker. In der Ruinenbar Szimpla Kehrt in Budapest findet sich auch so mancher Regenbogenaufkleber an den Wänden. Als Symbol für die LGBTQ+ -Community, an den Rändern meist ausgefranst. Und so wie an diesem Sticker seit Jahren herumgeknippelt wird, wird auch an Ungarns Verfassung geschraubt. Jedes mal ein Stückchen weniger Regenbogen und immer mehr grau.

„Die Mutter ist eine Frau, der Vater ein Mann.“ - So steht es jetzt in der Verfassung. Dies stieß die ungarische Justizministerin Judith Varga am 10. November im ungarischen Parlament an, nun wurde es am 15. Dezember beschlossen. Das bedeutet, dass es homosexuellen Paaren zukünftig verboten ist Kinder zu adoptieren. In dem Dokument heißt es laut Der Tagesspiegel: „Ungarn schützt das Recht der Kinder auf ihre bei der Geburt erhaltene geschlechtliche Identität und garantiert eine Erziehung entsprechend der Werteordnung, auf der die verfassungsmäßige Identität und christliche Kultur Ungarns beruhen.“

Der Verfassungszusatz ist nur ein weiterer Schritt, queeres Leben in Ungarn unsichtbar zu machen. Orbán und seine Partei sind für ihre trans-, queer-, und homofeindliche Politik bekannt. Genau davor warnen Menschenrechtsaktivist*innen etwa von Amnesty International oder der ungarischen Menschenrechtsorganisation „Magyar LMBT Szövetség" seit Jahren.

Schon 2012 wurde in der Verfassung festgelegt, dass die Ehe eine „Vereinigung aus Mann und Frau“ ist. Das machte Hochzeiten für homosexuelle Paare quasi unmöglich. Mitten in der Coronapandemie im Mai 2020 hatte Staatspräsident Victor Urban ein Gesetz unterzeichnet, das Trans- und Intergeschlechtlichen-Menschen die amtliche Änderung ihres Geschlechts verweigert. Amnesty International kämpft seitdem für die Zurücksetzung des Gesetztes, da sie vermuten, dass die Diskriminierung von Trans- und Intergeschlechtlichen-Menschen so noch mehr zunehmen werde.

Diskriminierung gefährdet Menschenleben

Sie warnen vor Diskriminierungen unter anderem auf dem Berufs- und Wohnungsmarkt. Zu dem enormen gesellschaftlichen Druck, kommt dann auch noch der psychische hinzu. So schreibt Amnesty International aus Ungarn: „Personen, deren offizielle Dokumente nicht ihre Geschlechtsidentität, ihren Namen oder Geschlechtsausdruck widerspiegeln, müssten ihren Status jedes Mal erklären, wenn sie ihre Unterlagen vorzeigen. In vielen Situationen kann dies täglich der Fall sein.“

Cis-Menschen können dieses Problem oftmals nicht nachvollziehen. Autor und Buchhändler Linus Giese beschreibt in seinem Buch „Ich bin Linus“ sogenannte Mikrodysphorien: „Unter Mikrodysphorien verstehe ich alltägliche Erlebnisse, die ich als schmerzhaft und schwierig empfinde und die mich in meiner geschlechtlichen Selbstwahrnehmung beschädigen.“ Zu den besonders schmerzhaften Momenten zählen zum Beispiel Briefe, die an seinen alten Namen adressiert wurden, oder wenn er in offiziellen Dokumenten ‚weiblich‘ ankreuzen musste.

Im alltäglichen Leben geht es also ständig um das Geschlecht und um den Namen. Und immer wieder diesen schmerzhaften Erlebnissen ausgesetzt zu sein, ist auch eine reale Gefahr für die Psyche. So ergab eine Studie aus den USA von 2018, dass 50,8 % Prozent der jungen Transmänner im Alter von 11 bis 19 Jahren, bereits versucht haben sich das Leben zu nehmen.

Erstmalige Strategie der Union zur Gleichstellung von LGBTQ+

Um die Freiheit und auch die Leben der LGBTQ+ Community zu schützen, hatte die Europäische Kommission zwei Tage nach dem Vorschlag von Varga, ein Strategiepapier veröffentlicht. Dieses ist darauf ausgerichtet, die LGBTIQ+ -Menschen der Europäischen Union (in der Ungarn seit 2003 Mitgliedsstaat ist) stärker zu schützen. Denn obwohl es in den vergangenen Jahren Fortschritte gab, fühlten sich 2019 43% der LGBTQ+ Menschen in Europa diskriminiert, das ergab eine Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte. So haben sie immer noch Schwierigkeiten, wenn es um die Anerkennung der Elternschaft geht oder etwa um homefeindliche Hetze.

Das fünf Jahreskonzept sieht nun zum Beispiel vor, Hassreden oder Hassstrafen stärker zu verfolgen. Außerdem möchte die Europäische Kommission gleichgeschlechtlichen Paaren mehr Sicherheit beim Thema Kinderadoption geben. Zur Strategie sagte die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen: „Ich werde nicht ruhen, wenn es darum geht, eine Union der Gleichstellung aufzubauen.“ Allerdings ist kein Punkt der Strategie für die EU-Staaten verbindlich. Trotzdem wird der Plan innerhalb der LGBTQ+-Community begrüßt. Die "International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association-Europe“ (ILGA-Europe) vertritt etwa 600 LGBTQ+-Organisationen. Sie sieht die Strategie als einen Start für einen neuen Ansatz der Europäische Kommission, zur Gleichstellung von LGBTQ+ -Menschen.

Inwieweit die Umsetzung der Strategie voranschreiten wird, wird sich in drei Jahren zeigen, wenn die EU-Kommissarin für Gleichstellung Helena Dalli und ihre Kolleg*innen, eine erste Bilanz ziehen. Dabei dürfte dann wohl nicht nur Ungarn, sondern auch Polen in Zukunft unter Beobachtung stehen. Dort hatte der Präsident Andrzej Duda im Sommer 2020 verkündet, dass es sich bei LGBTQ+ -Menschen nicht um Menschen handle, sondern um eine Ideologie. Passenderweise äußerte sich von der Leyen bei er Vorstellung der EU-Strategie so: „Weil Du-selbst-zu-sein nicht deine Ideologie ist. Es ist deine Identität."

Zusätzlich blockieren nun die Mitgliedstaaten Ungarn und Polen auch einen Beschluss der Europäischen Union für Corona-Hilfen. Ihr Veto richtet sich dabei vor allem gegen eine Klausel, die vorsieht, dass Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit der EU zukünftig geahndet werden könnten. Dass Ungarn und Polen sich keinerlei Einmischung in ihre Innenpolitik wünschen, könnte nun nicht klarer sein. Das zeigte sich noch einmal, als von der Leyen Ungarn und Polen zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof riet. Die Idee wurde mit aller Deutlichkeit abgeschmettert.

Die Verfassungsänderung Ungarns wurde auch prompt im Europaparlament angesprochen. Vizevorsitzende der Grünenfraktion im Europaparlament, Terry Reintke, sprach das Thema in ihrer allerersten Rede an. Sie forderte darin, dass die EU endlich etwas unternehmen muss, denn: „Was muss noch passieren, bevor sie in Aktion treten?“

Unmöglich gegen Diskriminierung zu klagen

Die Situation ist also mehr als angespannt und inwieweit eine freiwillige Strategie der EU Wirksamkeit erreicht, ist wohl fragwürdig. Denn um Hassreden handelt es sich bei dieser Verfassungsänderung in Ungarn nicht mehr. Es ist eine Diskriminierung per Gesetz, da es demnach auch künftig nicht mehr möglich sein wird gegen Diskriminierungen zu klagen. Tatsächlich wäre dann für viele der einzige Ausweg eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. So gelang es in diesem Jahr einem Transmann in Ungarn die Änderung seiner Dokumente zu erwirken. Doch der Weg ist lang und bedarf auch immer der Hilfe von Nichtregierungsorganisationen. Das lesbische Paar Elvira Angyal und Tamara Csillag kämpft immer noch um die Dokumentenänderung von Transfrau Tamara. In einem Interview sagt sie dazu:

“We have fought... for future generations. We will fight on. We have to persevere.”

Während also die ungarische Regierung weitere freiheitseinschränkende Gesetze auf den Weg bringt, kämpfen Menschen um ihre Freiheit. Vor Gericht und bald auch wieder auf der Straße. Es gibt bereits Pläne für den Budapest Pride 2021. Es wird sich zeigen, wie dieser aussehen wird.



Foto: zur Verfügung gestellt von Denise Klein


Der Amnesty International-Programmchef Ungarns, Aron Demeter, fasst die Entwicklungen so zusammen: „Das ist nicht nur eine Bedrohung für Ungarn, sondern für die europäische Gemeinschaft.“ An der Außenwand der Ruinenbar in Budapest hängen übrigens eine Ungarische und eine Europäische-Flagge. Und manchmal, wenn kein Wind weht, legt sich die eine über die andere.

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