Auf den ersten Blick scheint diese Erklärung keine direkte Verbindung zu Polen zu besitzen, abgesehen davon, dass sie von einem Polen im Namen der Europäischen Union geäußert wurde. Dabei geht es um ein seit fast zwei Jahrzehnten (beginnend im Jahr 2000) ausgehandelten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den vier Mitgliedsstaaten des Mercosur, des Gemeinsamen Marktes des Südens: Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay. Die Mitgliedschaft Venezuelas - des Landes in dieser Region, über das momentan am meisten gesprochen wird – wurde 2017 dauerhaft ausgesetzt.
Es lohnt, sich vor Augen zu führen, dass der eben erwähnte Vertrag einen bedeutenden Teil des Welthandels betrifft, darunter Brasilien als Mitglied der BRICS-Staaten - einer Gruppe von Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), denen ihr verhältnismäßig rapides Wirtschaftswachstum erlaubt, in den kommenden Jahrzehnten den Status einer Wirtschaftsmacht zu erreichen. Währenddessen haben sich die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem informellen Staatenverbund zuletzt deutlich verkompliziert
Grüne Lunge der Erde wichtiger als wirtschaftliche Ambitionen Europas
Die Hintergründe der abgekühlten Beziehungen zu Moskau - im Kontext des Krieges im Donbass - und zu China - in Hinblick auf die Kontroverse um die Entwicklung des 5G-Netzes – erscheinen offensichtlich. Doch auch auf der Achse Europa-Brasilien erreichte die Anspannung zuletzt ein derartig hohes Level, dass der französische Präsident Emanuel Macron bereits seine Hoffnung auf einen künftigen Nachfolger Jair Bolsonaros ausdrückte, der im Gegensatz zum jetzigen Oberhaupt des südamerikanischen Staates "der Aufgabe gewachsen sein möge". Macron nutzt an dieser Stelle scharfe Worte für jemanden, der zuletzt noch als enger Handelspartner galt. Schließlich handelt es sich bei Bolsonaro um eine kontroverse Figur, die unter anderem rechtextremer Tendenzen, der Nichteinhaltung der Rechte der indigenen Bevölkerung Brasiliens und vor allem der unzureichenden Reaktion auf die katastrophalen Brände beschuldigt wird, die den größten Urwald der Erde verschlingen, welcher - im Übrigen – gerade im Rekordtempo abgeholzt wird.
In Zeiten, in denen die Sommertemperaturen der gemäßigten Klimazone 40°C überschreiten und Dürren zunehmend dramatischer ausfallen, erhöht sich das ökologische Bewusstsein der Bevölkerung proportional zu den Klimaveränderungen. Auf diese Art verhält es sich zumindest im Westen, wo die Parteien der europäischen Fraktion der Grünen Rekordzuwächse einholen (in den Europawahlen im vergangenen Frühjahr erreichten sie beispielsweise in Deutschland den zweiten Platz und in Frankreich den dritten) und die Jugend Woche für Woche öffentliche Proteste im Rahmen der Fridays for Future organisiert. Die europäischen Staaten und Gesellschaften werden sich zusehends ihrer Rolle als globale Leader des Umweltschutzes bewusst, als Garant des Pariser Abkommens von vor vier Jahren, dessen Umsetzung derzeit in der Luft hängt.
Trotz beinahe 20-jähriger Verhandlungen stellt sich nun heraus, dass die EU nicht in der Lage ist, diese Führungsrolle mit dem Mercosur-Handelsabkommen zu verbinden, das beispielsweise zu Massenimporten von Fleisch aus über 11.000 km entfernten Gebieten führen würde (während Europa einen erheblichen Produktionsüberschuss verzeichnet). Dies würde erheblich zur globalen Emission von Treibhausgasen beitragen. Des Weiteren wird bemängelt, dass importiertes Fleisch über 200 giftige Substanzen (darunter auch Pestizide) beinhalten könnte, deren Nutzung in der EU aufgrund gesundheitsschädlicher Auswirkungen verboten ist. Der unzureichende Schutz des Amazonasregenwaldes dient daher wohl lediglich als passender Aufhänger für die europäischen Staats- und Regierungschef*innen, sich von diesem mehrjährigen Projekt zurückzuziehen.
Während die Sorge um die Umwelt oder unmittelbar um die Gesundheit der Bevölkerung ein bedeutender Grund für die plötzliche Wende in Bezug auf das EU-Mercosur-Handelsabkommen gewesen sein dürfte, sollte man sich nicht vormachen, dass dahinter keine weltlichen Interessen mehr lägen. Interessanterweise haben die Länder der „alten“ und „neuen“ Union an dieser Stelle beweisen können, dass sie immer noch mit einer gemeinsamen Stimme sprechen können.
Schutz der Landwirtschaft. Oder: Was Warschau noch mit der „alten Union“ verbindet
Premierminister Mateusz Morawieckis Haltung ist einfach: „Es geht um den Schutz der polnischen Landwirte“. Daher forderte auch Polen gemeinsam mit Frankreich, Belgien und Irland bei der Europäischen Kommission, den wirksamen Schutz des europäischen Agrarmarkts vor billigeren, unter niedrigeren Standards hergestellten Produkten südamerikanischer Herkunft zu garantieren, sollte das umstrittene Handelsabkommen endgültig abgeschlossen werden. Dies bleibt im Übrigen nicht das einzige Beispiel dafür, dass die polnische Regierung trotz gravierender Unstimmigkeiten, an erster Stelle in Bezug auf die Garantie der Rechtsstaatlichkeit, die Zusammenarbeit mit dem Westen vertieft und eigene Initiativen ergreift. Eben diese Initiativen belegen, wie viele gemeinsame Ziele die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in unterschiedlichen Bereichen teilen. Zuletzt hatte Polen einen Vorstoß im Ausbau der Elektromobilität gewagt, was sich unter anderem an einer polnisch-britischen Initiative zeigt, die noch vor dem letztjährigen COP24-Gipfel in Katowice begonnen wurde. Ein aktiver Beitrag zur Debatte über das EU-Mercosur-Handelsabkommen fügt sich daher als weiterer positiver Aspekt der polnischen EU-Mitgliedschaft ein, insbesondere da Polen aller Voraussicht nach den nächsten EU-Kommissar für Landwirtschaft wird.
In Richtung einer transparenteren Außenpolitik der EU?
Der umstrittene Vertrag mit dem Gemeinsamen Marktes des Südens erinnert an die weiteren Freihandelsabkommen, die in den letzten Jahren von der Europäischen Union ausgehandelt wurden. In den Verhandlungen mit Kanada und Japan offenbarten sich ebenfalls problematische Fragen der ungenügenden Transparenz sowie Sorgen um den Import von Produkten, die den europäischen Normen nicht gerecht und zur unbequemen Konkurrenz für europäische Produzent*innen würden. Umso lauter wurden im Falle des jetzigen Abkommens jene Stimmen, die den Einfluss des freien Handels auf die Umwelt kritisieren. Da das Abkommen aber auch den zerstrittenen Staaten die Gelegenheit zur vorübergehenden Einigung bot, könnte es womöglich auch eine Debatte darüber anregen, wie die Europäische Union künftig eine Außenpolitik betreiben sollte, die den europäischen Bürger*innen und Regierungen genauer zuhört.
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