Wandel internationaler Angelegenheiten
Im Jahr 2016 schien die Europäische Union vor trostlosen Perspektiven zu stehen. Intern erlebte sie die erste “Scheidung” von einem Mitgliedstaat. Die Vereinigten Staaten, der engste Nachkriegs- und Wirtschaftspartner der EU, standen kurz vor der Wahl von Donald Trump, dem ersten offen euroskeptischen Präsidenten. Im Osten stand die EU einem aggressiveren und energischeren Russland gegenüber, dessen Staatschef den Liberalismus für “obsolet” erklärt hat, und eine revisionistische Haltung gegenüber der europäischen Sicherheitsordnung der Zeit nach dem Kalten Krieg einnahm - wie die illegale Annexion der Krim im März 2014 es gezeigt hatte.
Europa befand sich - um es mit den Worten des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zu sagen - in einer “existenziellen Krise”.
Doch anstatt den von einigen vorhergesagten Dominoeffekt nach dem Brexit zu erleben, haben die letzten drei Jahre der EU geholfen, sich weltweit mehr Gehör zu verschaffen und so die Vorteile einer weiteren Integration betont. Die EU hat ihre “Actorness”, das Ausmaß, in dem sie fähig ist, Gelegenheiten zu nutzen und so als einzigartiger globaler Akteur effektiv zu agieren, in erheblichem Maße gefestigt. Wenn es einen Bereich gibt, in dem dies zutrifft, dann ist es als Vorreiter in der Klimapolitik.
Der Klimawandel und seine Verleugner
Wenige Tage nach dem Brexit-Referendum und in Anbetracht der bescheidenen Erfolge in den Vorjahren, präsentierte die Hohe Vertreterin der EU Federica Mogherini die Globale Strategie der EU. Das Dokument lieferte der EU eine neue umfassende Darstellung mit dem Ziel, eine international glaubwürdigere und reaktionsfähigere Union zu schaffen.
Es bekräftigte nicht nur die Befürwortung der EU für Multilateralismus und eine auf Regeln basierende Ordnung: Angesichts des geopolitischen Kurswechsels der USA forderte die Globale Strategie, dass die übliche Wohlgefälligkeit der Union gegenüber Trump durch eine strategische Autonomie ersetzt werden sollte, um eben diese Werte zu unterstützen. Jüngste Beispiele dieses Umschwungs sind die Wiederaufnahme der Gespräche über eine europäische Armee, das iranische Atomabkommen, aber auch das Pariser Abkommen und die generelle Diskussion über den Klimawandel.
Das Pariser Abkommen war das Ergebnis eines hart erkämpften globalen Konsenses über die Schwere des Klimaproblems. Basierend auf dem Kyoto-Protokoll liegt ihm der Wunsch zugrunde, den globalen Temperaturanstieg auf weniger als 2 Grad Celsius zu begrenzen. Drei Jahre nach der Ratifizierung hat sich dieser scheinbare Konsens jedoch als Illusion erwiesen. Im globalen Kampf gegen den Klimawandel ist ein weiterer Feind aufgetreten: die Verleugnung des Klimawandels, die mit der Wahl von Donald Trump einen mächtigen Verbündeten gefunden hat.
Obwohl die USA einer der größten CO2-Emittenten der Welt sind, gehörte zu Trumps Wunsch, Obamas Erbe zu vernichten, auch die rücksichtslose Abkehr von Vorschriften zur Begrenzung der globalen Erwärmung, ohne dabei das Ausmaß der Folgen zu berücksichtigen.
Die EU als Vorreiter im internationalen Klimaschutz?
Da die USA ihre globale Führungsrolle im Umweltschutz abgeben, ist es höchste Zeit für die EU, ihre “normative Macht” in diesem Bereich geltend zu machen. Die Globale Strategie von 2016 bildete die Grundlage für die Bemühungen der EU im Bereich “Minderung und Anpassung an den Klimawandel”. Im jüngsten offiziellen Bericht über die ersten drei Jahre ihrer Umsetzung wird von den bedrohlichen, sich vervielfachenden Auswirkungen von Klimawandel, Umweltzerstörung und Wasser- und Nahrungsmittelunsicherheit gesprochen.
Im September 2019, inmitten der wachsenden weltweiten Mobilisierung der Bevölkerung gegen den Klimawandel, fanden zwei UN-Gipfel statt - eine Generalversammlung und der Klimagipfel.
Anlässlich des Klimagipfels ergriff der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, das Wort, um die internationale Gemeinschaft aufzufordern, die Klimakrise wirksam zu bekämpfen und dabei die führende Rolle Europas in diesem Bereich zu unterstreichen. Obwohl die EU nur für 9% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sei, stelle sie über 40% der Mittel für die staatliche Klimafinanzierung bereit und strebe an, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent zu werden, ein Ziel, das bereits von der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten (wenn auch nicht von allen) befürwortet wurde.
Laut Tusk werden die zur Umsetzung des Pariser Abkommens getroffenen Maßnahmen eine Zuweisung von mindestens 25% des nächsten Langzeithaushalts der EU für klimabezogene Tätigkeiten beinhalten. Eine größere Umweltverträglichkeit soll durch abgestimmte und sich ergänzende Bemühungen von EU-Institutionen, Mitgliedsländern, dem Privatsektor und europäischen Bürgern erreicht werden. Als weltweit größter Geldgeber für die öffentliche Entwicklungshilfe stellt die EU auch umfangreiche Mittel für Klimaschutzmaßnahmen bereit. “Allein im Jahr 2017 gaben die EU und ihre Mitgliedstaaten 20 Milliarden Euro aus, um Entwicklungsländern bei der Bewältigung und Anpassung an den Klimawandel zu helfen”, sagte Tusk.
Eine weitere interessante Maßnahme ist die Internationale Plattform für nachhaltige Finanzierungen (IPSF), die zum Ziel hat, nachhaltige Finanzierungen zu fördern, die Industrie- und Entwicklungsländer zusammenbringen, und privaten Investoren zu helfen, die Chancen grüner Investitionsmöglichkeiten weltweit zu nutzen. Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprach, dass der “Green-Deal” der EU, den sie Anfang 2020 vorlegen wird, während ihrer Amtszeit im Mittelpunkt der europäischen Politik stehen wird.
Auch wenn nicht alle Mitgliedsländer am Green-Deal beteiligt sind, und trotz der eher bescheidenen Erklärung von Sibiu im Mai dieses Jahres gibt es Anzeichen dafür, dass die EU auf die vollständige Umsetzung des Pariser Abkommens hinarbeitet. Zu diesen Anzeichen gehören die neuen Exekutivbefugnisse des EU-Green-Deal-Kommissars Frans Timmermans und die neue strategische Agenda der Union für 2019-2024.
Was noch vor uns liegt
Es versteht sich von selbst, dass die Führungsrolle der EU im Klimaschutz über die Zahlen und optimistische Rhetorik von Donald Tusk hinausgehen muss. Am wichtigsten ist vielleicht, dass die Rolle der EU in dem Kampf gegen den Klimawandel ebenso symbolisch wie konkret sein muss.
Die EU hat sich bereits in Bereichen wie Datenschutz, die Abschaffung der Todesstrafe oder nukleare Abrüstung als normative Kraft behauptet. Zu den nächsten Prioritäten sollte nun die vollständige Umsetzung des Pariser Abkommens gehören, um den entschiedenen Übergang zu Ökostrom zu meistern und bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt zu werden. Der Plan der EU für eine wettbewerbsfähige kohlenstoffarme Wirtschaft profitiert bereits von der Anerkennung der europäischen Bürger*innen. Eine Eurobarometer-Umfrage zeigte, dass 92% der Bürger*innen die nationalen Emissionsziele als zu niedrig ansehen.
Gemäß Artikel 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist die Bekämpfung des Klimawandels ein ausdrückliches Ziel der EU-Umweltpolitik. Jedoch sollte dieser Artikel weit ausgelegt werden.
Trotz des allmählichen Untergangs der liberalen Weltordnung der Nachkriegszeit haben die letzten Jahre, laut Max Bergmann, gezeigt, dass „wenn [die EU] einheitlich auf der Weltbühne agieren kann, kann dies eine Wirkung haben”. Die EU kann den Klimawandel - eine globale Bedrohung - nur bekämpfen, indem sie sich in diesem Bereich zu einer normativen Macht entwickelt, das Handeln auf internationaler Ebene fördert und den globalen Diskurs von Klimawandel-Verleugnung und politischer Gleichgültigkeit ablenkt.
Die Wichtigkeit durchsetzungsfähigen Handelns wurde auf dem letzten G7-Gipfel betont, auf dem Macron mit seiner Drohung, das Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercorsur-Staaten auszusetzen, Bolsonaro dazu veranlasste, die Amazonaskrise anzuerkennen. Es wird die Aufgabe Josep Borrells, des nächsten Hohen Vertreter der Europäischen Union, sein, sicherzustellen, dass diese Bemühungen auf EU-Ebene unternommen werden. Die Mitgliedstaaten müssen dabei eine einheitliche Haltung einnehmen, die auf internationaler Ebene verteidigt wird.
Wie die jüngsten globalen Entwicklungen gezeigt haben, könnte politischer guter Wille alleine nicht ausreichen. Wenn die EU etwas bewegen will, benötigt sie explizite Befugnisse. Es müssen deutliche Schritte in Richtung einer immer engeren Europäischen Union unternommen werden, beginnend mit der Aufhebung der Einstimmigkeitsregel bei außenpolitischen Entscheidungen.
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