Von Juncker zu von der Leyen: die größten Herausforderungen der scheidenden und der neuen Kommissionen

, von  Aimee Pearcy, David Fernández, Flavia-Gabriela Sandu, Guillermo Íñiguez, Julia Bernard, Madelaine Pitt, Théo Boucart, Thomas Cassar Ruggier, Translated by Niamh Perry, übersetzt von Julia Bernard

Alle Fassungen dieses Artikels: [Deutsch] [English]

Von Juncker zu von der Leyen: die größten Herausforderungen der scheidenden und der neuen Kommissionen
Die neu gewählte EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen. Fotoquelle: Flickr / Arno Mikkor / CC BY 2.0

Es ist endlich soweit: Die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr neu zusammengesetztes Team von Kommissar*innen nehmen ihre Arbeit auf. Jean-Claude Juncker hat nun zwar seine Amtszeit hinter sich, aber die Herausforderungen, die sein Mandat auszeichneten, werden nun auch die neue Kommission beschäftigen. Von Brexit bis Migration, von Digitalisierung bis zur Klimakrise, von der Außenpolitik bis zur Rechtsstaatlichkeit - von der Leyens Aufgaben sind zweifellos enorm. Gemeinsam mit The New Federalist und Le Taurillon beleuchten wir, wie sich die größten Herausforderungen Junckers für das Team von der Leyen entwickeln könnten. Acht Autoren aus sechs verschiedenen europäischen Ländern legen die zentralen Aufgaben der scheidenden und der neuen Kommission dar.


Klimawandel und Energie - Théo Boucart

Wie unter Jean-Claude Juncker stehen auch für die neue Kommission von Ursula von der Leyen der Klimaschutz und die europäische Energiewende im Vordergrund. Die vollständige Umsetzung des Pariser Klimaabkommens ist notwendig, um die globale Erwärmung auf „deutlich unter 2°C - vorzugsweise 1,5°C“ zu begrenzen. Die EU hatte das Abkommen im Oktober 2016 ratifiziert und soll diese Ziele nun auch erreichen.

Obwohl die Juncker-Kommission schon im Jahr 2015 die Energieunion verabschiedet hat, die einen kohärenten Rahmen für die Umsetzung der Klima- und Energiepolitik auf europäischer Ebene bietet, werden viele Länder, darunter Frankreich und Deutschland, ihre Klimaziele für 2030 wahrscheinlich nicht erreichen. Obwohl die EU-Länder seit langem Vorreiter bei der Entwicklung neuer emissionsarmer Technologien sind, werden sie nun von anderen Ländern wie China und den USA überholt. Eine umfassende Industriepolitik, die für eine grüne technologische Revolution so notwendig ist, fehlt noch. Grüne Investitionen waren im Rahmen des so genannten Juncker-Plans noch recht zaghaft. Auch die heutige Klimaschutzpolitik der EU weist nach wie vor viele Widersprüche auf.

Wie könnte man das ändern? Ursula von der Leyen stellte den Abgeordneten in ihrer Rede kurz nach ihrer Ernennung zur neuen Präsidentin der Kommission einen ehrgeizigen Plan zum Klimaschutz vor. Hauptziel der ehemaligen deutschen Bundesministerin ist es, Europa zum „ersten klimaneutralen Kontinent der Welt“ zu machen. Es ist zu hoffen, dass dieses Ziel erreicht wird, indem einerseits das EU-Emissionsreduktionsziel für 2030 von 40% auf „mindestens 50%“ angehoben wird und andererseits ein „umfassender Plan zur Erhöhung [....] auf 55%“ bis 2021 vorgelegt und eine „Klimabank“ eingerichtet wird.

Der Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans, wird innerhalb der ersten 100 Tage im Amt ein konkretes Klimapaket präsentieren. Der von Ursula von der Leyen vorgeschlagene Green Deal könnte daher eine große Chance für einen Kontinent sein, der derzeit einer wirtschaftlichen Rezession ins Auge sieht. Ein solcher Strukturwandel ist unsere letzte Chance, eine umweltfreundliche, zukunftsorientierte und wettbewerbsfähige europäische Wirtschaft zu fördern.


Soziales Europa - Guillermo Íñiguez

In Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags von Lissabon heißt es, dass die EU „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft schafft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“, um „soziale Ausgrenzung und Diskriminierung zu bekämpfen“.

Was auch immer Juncker in anderen Bereichen erfolgreich erreicht hat, er hat es nicht geschafft, das soziale Europa zu entwickeln. Dafür gibt es natürlich viele Gründe. Insbesondere ist es ein strukturelles Problem, denn die meisten relevanten Kompetenzen liegen noch immer in den Händen der Mitgliedstaaten, dem sozialen Europa fehlt somit für eine ordnungsgemäße Umsetzung kurzum die Rechtskraft. Zudem hat Juncker einerseits mangelnden Willen gezeigt (z.B. in der Frage der Steuerharmonisierung) und zum anderen eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung einer rücksichtslosen Sparpolitik gespielt, die verheerende Auswirkungen auf das soziale Gefüge Südeuropas hatte.

Der weltwirtschaftliche Kontext sieht für von der Leyen nicht sehr vielversprechend aus. Doch das große Vertrauen, das ihr vom Europäischen Parlament entgegengebracht wurde, basierte nicht zuletzt auf starken Erwartungen aus sozialpolitischer Sicht – Forderungen, die es nun zu erfüllen gelten wird.

Die vor der neuen Kommission liegenden Herausforderungen sind nicht einfach. Es bedarf einer Entschuldigung für die Schäden, die durch rigorose Sparmaßnahmen und die (expansive) Finanzpolitik – im Zuge der Vertiefung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) veranlasst – verursacht wurden. Dies erfordert die Einführung eines harmonisierten Mindestlohns, der den sozialen Zusammenhalt verbessern würde. Es bedarf einer ehrgeizigen Strategie, die soziale Ausgrenzung bekämpft - zum Beispiel durch ein universelles Grundeinkommen. Und als Grundlage dafür braucht es dringend einen „Neuen Grünen Deal“, der den Weg für einen ökologischen und wirtschaftlichen Übergang ebnet. Mit anderen Worten: Die von der Leyen-Kommission muss einen neuen Sozialvertrag abschließen – einen, der die Bürger daran erinnert, dass das europäische Projekt keine bloße Wirtschaftsunion ist, sondern, wie in Artikel 3 dargelegt, eine zutiefst soziale Union.

Der EU fehlen in ihrer jetzigen Form viele der dafür erforderlichen Rechtsinstrumente und ihr Haushalt, der einem Prozent des Bruttonationaleinkommens der 28 Mitgliedstaaten entspricht, ist bei weitem nicht ausreichend. Wenn eine Konferenz zur Zukunft Europas vor der Tür steht, darf es keine Ausreden geben. Wie von der Leyen selbst Anfang dieser Woche sagte, war die EUam besten, wenn sie am kühnsten war. Es ist höchste Zeit, dass dies in eine konkrete Sozialpolitik umgesetzt wird.


Große Unternehmen und Steuern - Madelaine Pitt

Dass man bei dem Versuch, die größte Geldstrafe der Welt zu verhängen, einiges Aufsehen erregt und sich Feinde macht, das überrascht kaum. Margrethe Vestager, die unter Juncker seit 2014 für Wettbewerb zuständige EU-Kommissarin, hat nun die Möglichkeit, auch unter der Leitung von der Leyens eine ähnliche Abteilung - oder ein „Portfolio“, um Kommissionssprache zu nutzen - weiterzuführen. Dies ist sowohl eine Bestätigung ihrer vorherigen Arbeit als auch ein Beweis für ihr immenses Engagement, große Unternehmen verpflichten zu wollen, ihren gerechten Anteil an der Körperschaftsteuer zu zahlen.

Die Rechtsfälle, die sie zur wohl berühmtesten der scheidenden Kommissare gemacht haben, laufen noch und die damit im Zusammenhang stehenden Probleme existieren auch noch. Ihr Versuch, Apple dazu zu bringen, 14 Milliarden Euro Steuern an Irland zu zahlen, führte zu der bizarren Situation, dass das kalifornische Unternehmen versuchte, das Geld nicht zu zahlen, und die irische Regierung versuchte, es nicht zu erhalten. Irland wolle nicht, dass die EU sich in etwas, was die Regierung als „innere Angelegenheit“ betrachtet, einmischt. Irland profitiert enorm von der Erhebung einer der niedrigsten Körperschaftsteuersätze in der EU (12,5 Prozent). Hinzu kommt, dass Irlands Rechtsrahmen es Apple sogar ermöglichte, selbst diesen niedrigen Satz zu vermeiden und nur 50 Euro für jede gewonnene Million zu zahlen. Die Urteile europäischer Gerichte stehen noch aus.

Andere Niedrigsteuerländer wie Luxemburg haben sich bemüht, die Transparenz darüber zu erhöhen, wo und wie viel multinationale Unternehmen Steuern zahlen, Juncker selbst war daran beteiligt, als er noch Premierminister von Luxemburg war. Besteuerung gehört nicht zu den Kompetenzen der EU, so dass es den Mitgliedstaaten freisteht, ihre eigenen Steuerregelungen festzulegen. Wenn die Finanzpolitik innerhalb eines Binnenmarkts wie in der EU, in dem Waren und Dienstleistungen frei gehandelt werden können, völlig dereguliert bleibt, ergeben sich jedoch einige schwerwiegende Widersprüche.

Die Grundlage für Vestagers Argument war, dass unbezahlte Steuern staatliche Beihilfen darstellen und Apple daher einen unfairen Vorteil gegenüber anderen Unternehmen verschafft und somit auch in ihren Zuständigkeitsbereich als Wettbewerbskommissarin fällt. Dieser Fall muss in einem größeren Kontext sozialer Gerechtigkeit gesehen werden – dem stimmt Vestager mit Sicherheit zu. Die bevorstehenden Gerichtsurteile werden ein Indikator dafür sein, wie erfolgreich sie bei der Disziplinierung multinationaler Konzerne war. Solche Steuerfragen sind elementar, da große Unternehmen einen Beitrag in den Gesellschaften, in denen sie tätig sind, leisten müssen. Die weiteren Entwicklungen dieses Falls werden auch Vestagers nächste Schritte in ihrem neuen Mandat für Digitales vorschreiben.


Brexit - Aimee Pearcy

Brexit war den europäischen Politikern seit dem 23. Juni 2016 ein Dorn im Auge, der Tag an dem 52 Prozent der britischen Wähler beschlossen, dass sie die EU verlassen wollen.

Juncker machte seine Position zum Brexit während einer Debatte im Europäischen Parlament im Oktober deutlich, als er den Abgeordneten sagte, dass der Umgang mit dem Brexit während seines fünfjährigen Mandats eine „Zeit- und Energieverschwendung“ gewesen sei. Während der Verhandlungsphase zeigte er sich über die sehr schwammige Verhandlungsposition des Vereinigten Königreichs sehr verärgert und war bei den unrealistischen britischen Vorschlägen, die den Binnenmarkt untergraben würden, hoch frustriert.

Von der Leyen hat ihre Enttäuschung über den Brexit ebenfalls deutlich gemacht. Sie hat den Europaabgeordneten mitgeteilt, sie hoffe, dass das Vereinigte Königreich seine Pläne, die EU zu verlassen, aufgibt oder sich zumindest gegen einen harten Brexit ausspricht, der „massive negative Folgen“ für Großbritannien und die EU hätte.

Nachdem der Antrag des Vereinigten Königreichs auf eine „Flextension“ bis zum 31. Januar 2020 angenommen wurde, hat von der Leyen sich schriftlich an den britischen Premierminister Boris Johnson gewandt, um ihn daran zu erinnern, dass es seine Pflicht sei, so bald wie möglich einen britischen Kandidaten als EU-Kommissar des Landes vorzuschlagen. Als Teil ihres Angebots, eine paritätische Kommission zu haben, hat sie den Druck auf Johnson weiter erhöht, indem sie vorschlug, dass das Vereinigte Königreich eine Frau für diese Rolle nominieren solle. Johnson hat die gesamte Aufforderung abgelehnt, was die EU auf Grund eines Verstoßes gegen EU-Verträge veranlasst hat, , rechtliche Schritte einzuleiten.

„Sollte der Brexit passieren, so ist es nicht das Ende, sondern der Anfang unserer zukünftigen Beziehung“, postulierte von der Leyen. Die neue Kommissionspräsidentin erklärte, dass es im Falle eines Brexits im Interesse beider Seiten liegt, eine Einigung zu erzielen. Sie hat jedoch auch darauf bestanden, dass die EU voll und ganz darauf vorbereitet sein muss, die Folgen eines No-Deals zu stemmen.


Maßnahmen für das digitale Zeitalter - Julia Bernard

Kaum etwas beeinflusst unsere Gesellschaft so sehr wie die Entwicklung neuer Technologien. Demzufolge hatte die Juncker-Kommission vor 5 Jahren Digitales in ihren Prioritäten verankert. Junckers anspruchsvolles Ziel: die Schaffung eines digitalen Binnenmarktes, in dem die 28 digitalen nationalen Märkte zusammengeführt werden.

Als ein erster Schritt in Richtung Anpassung an das digitale Zeitalter gilt die kontrovers diskutierte Datenschutz-Grundverordnung, die DSGVO, die 2016 verabschiedet wurde und 2018 in Kraft trat. Ebenfalls zu hitzigen Debatten veranlasste die Urheberrechtsreform im April 2019, die unter anderem Internetplattformen zur fairen Vergütung ihrer Urheber verpflichtet. Das Ende der Roaming-Gebühren zeigte, wie die zurückhaltende Haltung der Mitgliedstaaten diesbezüglich ein weiteres Hindernis darstellen kann. Auch wenn bereits vor Junckers Zeit initiiert, ist an dieser Stelle die Verabschiedung der EU-Verordnung zur Netzneutralität 2016 anzuführen. Die Wahrung des offenen Internets ist wohl eine der größten europäischen Herausforderungen.

Was Juncker an von der Leyen weitergibt? Sicherlich die weitere Ausarbeitung von Strategien im Bereich der künstlichen Intelligenz und die Umsetzung von 5G - auch wenn wichtige Initiativen bereits lanciert wurden, bleiben diese Megathemen weiterhin auf dem Tisch.

Margrethe Vestager, neue Kommissarin für Digitalisierung, versprach, „Europa für das digitale Zeitalter rüsten zu wollen“. Dass dieser Posten eine Vizepräsidentschaft beinhaltet, zeigt die Wichtigkeit des Portfolios.

Vestager will die Union im Bereich der künstlichen Intelligenz auf den Weg zur Souveränität bringen. Hierfür wird sie die amerikanischen Internet-Giganten wohl weiterhin im Visier behalten. Eine große Herausforderung wird die Einführung von Wettbewerbsregeln und einer gerechteren Besteuerung. Auf dem Weg zu einem starken Europa im digitalen Bereich wird eine Politik, die technologische Innovation, gemeinsame Industrieprojekte und höhere Barrieren beim Schutz vor unlauterem Wettbewerb fördert, vorrangig sein.

Nicht zu vergessen ist dabei, dass die letztendliche Handlungsfähigkeit Vestagers auch von den Mitteln, die derzeit im Mehrjährigen Finanzrahmen beschlossen werden, abhängen wird.


EU-USA Beziehungen - David Fernández

Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl zu Beginn des europäischen Projekts war zum Teil den USA zu verdanken, die die europäischen Länder drängten, sich angesichts des sowjetischen Vorhangs zu vereinen. Dementsprechend waren die Beziehungen zwischen den USA und der EU seit jeher ein wichtiger Aspekt der Außenpolitik der EU.

Vor der Juncker-Kommission musste sich keine einer aktiv feindlichen amerikanischen Außenpolitik stellen. Seit Trumps Amtsantritt im Jahr 2017 hat er die Europäische Union öffentlich kritisiert, den Brexit begrüßt, sich über die unlauteren Handelspraktiken der EU beschwert und ihre Verteidigungspolitik offen angeprangert. Im Handelsbereich war die Reaktion der Juncker-Kommission auf die US-Zölle strenger als erwartet. Die EU hat ebenso scharf wie die USA reagiert und insbesondere Güter aus politischen bedeutungsvollen Staaten wie Florida ins Visier genommen.

Zudem haben sich die Beziehung zwischen den USA und der EU in keinem Bereich so radikal verändert wie in der Verteidigungspolitik. Während frühere US-Präsidenten die NATO-Mitglieder der EU aufgefordert haben, die Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent ihres BIP zu erhöhen, hat Trump 4 Prozent gefordert. Daraufhin entwickelte die Juncker-Kommission eine ehrgeizige Überarbeitung der Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Europas sowie ein gemeinsames Beschaffungssystem, denEuropäischen Verteidigungsfonds.

Die Schlüsselfrage für die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und den USA ist, ob die Vereinigten Staaten ein zuverlässiger Verbündeter sein können. Diese Frage bleibt auch dann bestehen, wenn Trump nicht wiedergewählt wird. Ursula von der Leyen dürfte aufgrund ihres eigenen Hintergrunds als Verteidigungsministerin den von ihrem Vorgänger eingeschlagenen Weg fortsetzen, indem sie die Verteidigungsintegration fördert und auf den Protektionismus der USA reagiert. Dies wird stark von den EU-Hauptstädten abhängen. Interesse wurde allerdings bereits bekundet: Warschau und Budapest hatten sich bereits für eine engere Beziehungen zum derzeitigen Weißen Haus ausgesprochen.


Rechtsstaatlichkeit - Flavia Sandu

Ursula von der Leyen hat endlich ein komplettes Team für die Kommission - sofern man die Abwesenheit eines britischen Kommissars außer Acht lässt. Jedoch gab es einige Stolpersteine auf dem Weg zu diesem Team. Drei Kandidaten wurden vom Parlament nach Einzelanhörungen abgelehnt, darunter der ungarische Kandidat László Trócsányi. Ungarn ist in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit auch das berüchtigtste Land. Die große Mehrheit der Regierungspartei Fidesz hatte es Ungarn ermöglicht, umstrittene Verfassungsänderungen vorzunehmen und die Medien einer zunehmenden Regierungskontrolle zu unterwerfen.

Die Rechtsstaatlichkeit ist eines der stark polarisierenden Themen zwischen den Mitgliedstaaten. Während Junckers Amtszeit war Frans Timmermans der für diesen Bereich zuständige Kommissar. Mit den Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei sowie mit Rumänien und Bulgarien stand er in diesem Punkt oft auf dem Kriegsfuß. Timmermans hat den Rückzug der Demokratie in Ungarn und Polen nicht verhindern können und zuletzt wurde er auch noch durch das negative Votum dieser Staaten daran gehindert, selbst Kommissionspräsident zu werden.

Von der Leyen hat die Rechtsstaatlichkeitsprobleme in Mittel- und Osteuropa wie folgt beurteilt: „Niemand ist perfekt“. Nun könnte man könnte sich also fragen, ob ihre gemäßigte Haltung mit der ihr zugetragenen Unterstützung der polnischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ zu tun hat. Denn auf dem Papier hat diese Partei Reformen durchgeführt hat, die die Unabhängigkeit der Justiz stark gefährden.

Was die Aufstellung der Kommission selbst betrifft, so ist das Fehlen einer expliziten Erwähnung der Rechtsstaatlichkeit in den Ressorts der Kommissare beunruhigend; wir gehen davon aus, dass sie in „Werte und Transparenz“ enthalten sein wird. Věra Jourová, die bisherige Kommissarin für Justiz und Verbraucher, wird dieses Ressort in der neuen Kommission übernehmen. Obwohl sie in den Juncker-Jahren für ihre Arbeit gelobt wurde, wird sie unter erheblichem Druck stehen, Lösungen zur Verbesserung der beunruhigenden Situation, insbesondere in Ungarn und Polen, zu finden. Minderheitenrechte, Pressefreiheit, eine funktionierende Justiz und die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union stehen hierbei auf dem Spiel.


Herausforderungen der Migration - Thomas Cassar Ruggier

Als die „Migrationskrise“ begann, hatten sich die Europäer noch immer nicht von dem Schock der Finanzkrise 2008 erholt. Als Reaktion auf die steigende Zahl von Flüchtlingen, die versuchen, nach Europa zu gelangen, bemühte sich die Juncker-Kommission um eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Suche und Rettung und führte außerdem eine ständige europäische Grenz- und Küstenwache ein. Die Kommission unterzeichnete auch ein umstrittenes Abkommen mit der Türkei, um den Zustrom von Migranten aus dem Osten einzudämmen.

Insgesamt entwickelte sich die Juncker-Kommission im Bereich Migration nur schleppend. Die Kommission wurde nicht als die zentrale Institution angesehen, die versucht, die Migrationskrise zu bewältigen. Im Gegenteil, es war der Europäische Rat, der als wichtigste Institution angesehen wurde.

Im Völkerrecht ist der Grundsatz fest verankert: Leben zu retten ist die moralische Pflicht aller Staaten. Jedoch zeigt der Erfolg rechtsextremer Parteien, vor allem wenn sie über einen vermeintlich unkontrollierten Zustrom von Migranten nach Europa sprechen, wie schlecht das Bild der EU im Zusammenhang mit Migration ist. Die EU wirkt bei diesem Thema oft handlungsunfähig.

Der scheidenden Kommission ist es nicht gelungen, schwerwiegenden Bedenken wie etwa die große Skepsis bei der Unterbringung von Flüchtlingen, zu begegnen. Sie hat auch den Ländern, an deren Ufern Flüchtlinge ankamen, nicht genügend Unterstützung angeboten. Viele Mitgliedstaaten haben sich geweigert, Migranten aufzunehmen, und auch heute gibt es Migrantenlager auf griechischen Inseln und in Mittel- und Osteuropa, wo Tausende von Flüchtlingen unter schlechten Bedingungen leben – all dies ohne ein klares Asylverfahren.

Zu Beginn der Amtszeit der Kommission von der Leyens scheint der Migrationsstrom deutlich geringer zu sein; Statistiken zeigen, dass die Zahl der Migranten, die in die Union einreisen, abnimmt. Das Thema Migration und Integration bleibt allerdings weiterhin auf dem Tisch und dafür ist eine große europäische Debatte notwendig.

Ihr Kommentar
Wer sind Sie?

Um Ihren Avatar hier anzeigen zu lassen, registrieren Sie sich erst hier gravatar.com (kostenlos und einfach). Vergessen Sie nicht, hier Ihre E-Mail-Adresse einzutragen.

Hinterlassen Sie Ihren Kommentar hier.

Dieses Feld akzeptiert SPIP-Abkürzungen {{gras}} {italique} -*liste [texte->url] <quote> <code> et le code HTML <q> <del> <ins>. Absätze anlegen mit Leerzeilen.

Kommentare verfolgen: RSS 2.0 | Atom