Nach Angaben der Polizei gingen in Leipzig zweihundert Syrer und Afghanen aufeinander los, nachdem ein elfjähriges Mädchen mutmaßlich mit einem Messer bedroht wurde. Im hessischen Calden kam es nach einer Drängelei vor der Essensausgabe zu einer Massenschlägerei zwischen Pakistanis und Albanern. Bei den Ausschreitungen wurde Reizgas versprüht. In Suhl jagte eine Gruppe aufgebrachter Muslime einen afghanischen Mann, der Seiten aus dem Koran riss und in der Toilette hinunterspülte. Die Angreifer bewaffneten sich mit Eisenstangen, zertrümmerten Fenster im Erdgeschoss des Heimes und traten die Tür eines Personalraumes ein, in dem der Mann Schutz suchte. Ein Großaufgebot der Polizei war nötig, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Die Welt berichtet darüber, dass strenggläubige Muslime in einem Flüchtlingsheim in Sachsen einen irakischen Christen mit dem Tod bedroht haben.
Sind die jüngsten Gewaltausbrüche mit den Wohnverhältnissen und mangelnder Privatsphäre zu erklären? Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, spricht davon mit ironischer Pointe: „Wenn wir alle in einer Messehalle untergebracht wären, gemeinsam, auf Feldbetten: Herr Kauder neben Frau Wagenknecht (…). Ich nehme an, es würde alles total friedlich ablaufen und ohne Schreiereien abgehen.“
Wohl wahr, die beengte Unterbringung von Menschen unterschiedlicher Überzeugungen - darauf verweist Göring-Eckardt - birgt Konfliktpotenzial. In der Unterkunft in der Leipziger Messehalle etwa leben 1800 Menschen auf engem Raum. Gleiches gilt für viele andere Asylbewerberheime in Deutschland und ganz Europa, die aufgrund des Flüchtlingszustroms über Kapazität belastet sind. In einer Aufnahmeeinrichtung in Trier mussten Menschen tagelang unter freiem Himmel schlafen, weil im Heim selbst schlicht und einfach kein Bett mehr frei stand. Viele Kommunen traf die Situation sichtbar unvorbereitet, sodass Wochen verstrichen, bevor notgedrungen neue Unterkünfte für die ankommenden Asylbewerber geschaffen werden konnten. Gleichwohl: ein Dach über dem Kopf, Verpflegung und die riesige Menge an Spenden aus der Bevölkerung sichern den Flüchtlingen ein menschenwürdiges Dasein.
Hinter der Fassade des oben genannten Arguments steckt jedoch ein tieferliegender Sinn: Nicht der Asylbewerber ist in letzter Konsequenz für sein Handeln verantwortlich, sondern eigentlich die Gesellschaft, die ihm durch die Umstände vermeintlich keinen anderen Ausweg als den Gewaltausbruch bot.
Um es klar zu sagen: Auch ein womöglich vom Krieg traumatisierter Mensch trägt die Verantwortung für sein Handeln, trägt Rechte und Pflichten in einer Gesellschaft. Auch in einer provisorischen Zeltstadt ist ein ziviler, rücksichtsvoller Umgang unter Menschen möglich. Auch im Falle von Konflikten ist es möglich, zu schlichten oder die Polizei einzuschalten, anstatt zu Gewalt und Selbstjustiz zu greifen. Entscheidend ist nur der Wille, genau dies zu tun.
Gewiss sind es Einzelfälle, die sich in Leipzig, Calden oder Suhl abgespielt haben. Die Öffentlichkeit sollte sie jedoch nicht aus einer fehlgeleiteten Sensibilität ausblenden, denn sie mahnen, welche Herausforderungen in der Integration von Hunderttausenden Flüchtlingen ernst genommen werden müssen. Eine völlig kurzsichtige Lösung wäre es daher, Asylbewerber nach ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund getrennt unterzubringen. Sicherlich wären somit Konfliktpotenziale zunächst eingedämmt, doch welches gesellschaftliche Bild wird damit an die ankommenden Menschen transportiert? So wie in den Heimen Menschen unterschiedlicher Ethnien und Konfessionen aufeinanderprallen, treffen in der freien, pluralen Gesellschaft ebenso Menschen verschiedener Herkünfte, Glaubsgrundsätze und Interessen aufeinander. Ihr friedliches Zusammenleben basiert auf einem Konsens, der in der Bundesrepublik als freiheitlich-demokratische Grundordnung klar umrissen ist. Entscheidend dabei ist das geteilte Bekenntnis zu den Rechten und Pflichten, die für alle Mitglieder der Gesellschaft unentbindlich gelten.
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