Im Jahr 2002 sprach sich der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi für ein Wider Europe Konzept aus. Ziel war es, einen ring of friends um die EU zu bilden, der von Marokko über das Schwarze Meer bis nach Russland reichen sollte. Diese Überlegung legte den Grundstein für die 2004 initialisierte Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP), die die Grundlage für ein einheitliches Politikkonzept gegenüber den östlichen und südlichen Nachbarn der EU bilden sollte. Die ENP bildet bis heute den übergeordneten Rahmen der europäischen Beziehungen zu den sechzehn Nachbarstaaten und soll offiziell durch politische Assoziierung, ökonomische Entwicklung und Integration - jedoch ohne Beitrittsversprechen - zu Stabilität und Sicherheit in der Region beitragen.
Übersicht der Positionen der europäischen Parteifamilien zu den Themen der europäischen Nachbarschaftspolitik basierend auf den Wahlprogrammen. Ein grüner Haken steht für Zustimmung, ein rotes Kreuz für Ablehnung und ein orangenes Fragezeichen für nicht Thematisierung im Wahlprogramm. Zeichen in Klammern zeigen auf, dass die Position von der Parteifamilie geäußert wurde, aber nicht im Wahlprogramm. Weitere Erklärung und die Quelle findet sich im Text. Foto: eigene Darstellung mit Canva Pro
EU und NATO Mitgliedschaft für die Ukraine
Bereits im Jahr 2019 verankerte das ukrainische Parlament eine “strategische Orientierung der Ukraine zum vollständigen Beitritt zur EU und der NATO” in der Verfassung des Landes. Mit Beginn des russischen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine wurde der Ruf nach einem baldigen Beitritt der Ukraine in die EU lauter, vor allem auch vor dem Hintergrund, dass ein NATO-Beitritt aufgrund des Drucks aus Russland im Rahmen des Angriffskriegs unwahrscheinlicher wird. Daher stellte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 28. November 2022 ein offizielles EU Beitrittsgesuch an den Europäischen Rat.
Übersicht der Positionen der europäischen Parteifamilien zu EU und NATO Mitgliedschaft der Ukraine.
Ein grüner Haken steht für Zustimmung, ein rotes Kreuz für Ablehnung und ein orangenes Fragezeichen für nicht Thematisierung im Wahlprogramm. Zeichen in Klammern zeigen auf, dass die Position von der Parteifamilie geäußert wurde, aber nicht im Wahlprogramm.
Foto: eigene Darstellung mit Canva Pro
Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE): „Wir unterstützen die Vollmitgliedschaft der Ukraine in der NATO und der EU, um die Sicherheit sowohl der Ukraine als auch Europas zu erhöhen, mit allen Sicherheitsgarantien, die dies mit sich bringt.“
Europäische Konservative und Reformer (ECR): nicht im Parteiprogramm erwähnt, aber die Partei betonte 2024 in einer Pressemitteilung die Wichtigkeit des Kandidatenstatus für die Ukraine
Europäische Volkspartei (EPP): „Die Ukraine sollte Mitglied der EU und der NATO werden, sobald sie alle Kriterien erfüllt.“
Grüne: „Die Zukunft der Ukraine liegt in der EU."
Identität und Demokratie (ID): nicht im Parteiprogramm erwähnt, aber Spitzenkandidat der AfD Maximilian Krah sagte 2023 „Ein EU-Beitritt der Ukraine wäre völlig verrückt. […] Die Ukraine erfüllt weder die Aufnahmekriterien noch wird nach dem absehbaren Friedensvertrag ein solcher Beitritt erfolgen.“
Linke: „wir sprechen uns weiterhin gegen die Erweiterung der NATO aus", eine EU-Mitgliedschaft wird nicht im Parteiprogramm erwähnt, aber Co-Vorsitzender der Fraktion im Europäischen Parlament Martin Schirdewan betonte 2022, dass die Linke die Ukraine als EU-Beitrittskandidat unterstützt.
Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D): Die NATO-Mitgliedschaft wird im Parteiprogramm nicht erwähnt, aber „Wir begrüßen die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine“.
Volt: wird im Parteiprogramm nicht explizit genannt, aber die Partei positionierte sich bereits 2022 für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine
Waffenlieferungen an die Ukraine
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben insgesamt 32 Mrd. Euro an Militärhilfe für die Ukraine mobilisiert und die Kapazitäten für die Munitionsproduktion der europäischen Verteidigungspolitik um 40% erhöht. Doch während die Mehrheit der europäischen Bevölkerung Waffenlieferungen unterstützt, zeigt sich über mehrere EU-Länder hinweg die Tendenz, dass Anhänger*innen der extrem rechten und linken sich stärker gegen Waffenlieferungen aussprechen als Unterstützer*innen anderer Parteien.
Übersicht der Positionen der europäischen Parteifamilien zu Waffenlieferungen an die Ukraine.
Ein grüner Haken steht für Zustimmung, ein rotes Kreuz für Ablehnung und ein orangenes Fragezeichen für nicht Thematisierung im Wahlprogramm. Zeichen in Klammern zeigen auf, dass die Position von der Parteifamilie geäußert wurde, aber nicht im Wahlprogramm.
Foto: eigene Darstellung mit Canva Pro
ALDE: „Wir stehen geschlossen an der Seite der Ukraine und versprechen verstärkte militärische Hilfe bis zum Sieg der Ukraine sowie Unterstützung beim Wiederaufbau nach dem Krieg, einschließlich der Identifizierung eines legalen Mechanismus zur Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte und zur Gewährleistung der Rechenschaftspflicht.“
ECR: „Wir stehen fest an der Seite der Ukraine gegen die russische Aggression und werden uns für eine Aufstockung der Hilfe einsetzen und sicherstellen, dass die Sanktionen wirksam sind, um Nationen, die unterdrückt werden, durch aktive Unterstützung zu stärken.“
EPP: „Europa muss in Zusammenarbeit mit seinen Verbündeten Wege finden, um seine Unterstützung für die Ukraine zu verstärken. Dies schließt politische, wirtschaftliche, humanitäre und militärische Hilfe ein, so lange wie nötig.”
Grüne: „Als Grüne stehen wir fest zu unserer ungeteilten Solidarität mit und Unterstützung für die Ukraine und zur weiteren finanziellen und militärischen Unterstützung.“
ID: nicht im Parteiprogramm erwähnt, aber die Mitgliedspartei AfD sagt, dass „mit diplomatischen Mitteln auf eine Beendigung des Krieges hinzuwirken [ist]“.
Linke: nicht im Parteiprogramm erwähnt, aber „Die unmittelbaren Schritte zur Beendigung des Krieges müssen eine Rückkehr an den Verhandlungstisch, ein Waffenstillstand und ein Rückzug aller russischen Truppen aus der Ukraine sein. Wir sind für Friedensverhandlungen.”
S&D: „Wir halten an unserer uneingeschränkten Unterstützung für die Ukraine fest und stellen politische, humanitäre, finanzielle und militärische Hilfe bereit, solange diese benötigt wird.“
Volt: „Unterstützen die Ukraine mit Waffen und Geld, bis sie ihre territoriale Integrität wiedererlangt“
Vor einer Erweiterung sind Reformen der EU notwendig
In einer durch immer mehr Konflikte geprägten Welt ist die EU schon heute- mit 27 Mitgliedsstaaten- häufig nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen und wird von einzelnen Mitgliedsstaaten blockiert. Mit bis zu zehn weiteren Mitgliedsstaaten ist eine Verschärfung der Situation sehr wahrscheinlich. Eine von Frankreich und Deutschland im Jahr 2023 beauftragte Gruppe an Expert*innen hat daher bereits einen Bericht mit Optionen zur Reform und Erweiterung vorgelegt. Darin werden verschiedene Reformen vorgeschlagen, wie unteranderem die Einführung eines schrittweisen EU-Beitritts, eine Anpassung der Abstimmungsregeln durch die die Einstimmigkeitsregel nur noch zur Ausnahme wird und in bestimmten Politikbereichen mit qualifizierter Mehrheit abgestimmt werden kann.
Übersicht der Positionen der europäischen Parteifamilien zur Notwendigkeit von Reformen vor einer erneuten EU-Erweiterung.
Ein grüner Haken steht für Zustimmung, ein rotes Kreuz für Ablehnung und ein orangenes Fragezeichen für nicht Thematisierung im Wahlprogramm. Zeichen in Klammern zeigen auf, dass die Position von der Parteifamilie geäußert wurde, aber nicht im Wahlprogramm.
Foto: eigene Darstellung mit Canva Pro
ALDE: „Reform des EU-Entscheidungsverfahrens, um Effizienz zu gewährleisten, auch bei einer größeren Anzahl von Mitgliedstaaten und abweichenden Ansichten zu gewährleisten. Reformierung des EU-Haushalts, damit er die finanziellen Folgen der Erweiterung auffangen kann.“
ECR: im Parteiprogramm nicht erwähnt, die Partei positioniert sich aber in einer Pressemitteilung 2024 „gegen den Initiativbericht zur weiteren Vertiefung der EU im Vorfeld des Beitritts neuer Mitgliedsstaaten wie der Ukraine und Moldawien ausgesprochen [...]die Abschaffung der Einstimmigkeit wäre ein Rückschlag, der das gesamte institutionelle Gefüge der EU ins Wanken bringen würde.“
EPP: im Parteiprogramm nicht erwähnt
Grüne: „Wir werden auf die Überwindung der Einstimmigkeit im Rat hinarbeiten, die derzeit den Beitritt behindert. (...) Die Aufnahme neuer Mitglieder muss ein entscheidender Anstoß für interne Reformen sein, die es der EU erleichtern, Entscheidungen effizient und effektiv zu treffen.“
ID: im Parteiprogramm nicht erwähnt, aber die AfD setzt sich in ihrem Wahlprogramm für „eine konsequente Rückkehr zum Einstimmigkeitsprinzip zwischen den Mitgliedstaaten“ ein
Linke: im Parteiprogramm nicht erwähnt, aber generelle Offenheit für die Änderung der europäischen Verträge
S&D: „Die Erweiterung muss mit einer ernsthaften Bewertung der notwendigen Reformen der EU-Architektur einhergehen, (...) wir werden die nächste Legislaturperiode nutzen, um die Handlungsfähigkeit der EU in einer erweiterten Union zu stärken, mit gezielten Vertragsänderungen. Wir müssen das Europäische Parlament und die Europäische Kommission mit Instrumenten ausstatten, um unsere Demokratie zu sichern, unsere Wirtschaft zu stärken, unsere Umwelt und unser Sozialmodell zu schützen.“
Volt: Die EU muss „einen neuen und schrittweisen Weg für die Beitrittskandidaten zur EU einführen, der fairer, transparenter und effizienter ist.“
Kommentare verfolgen: |