Wahlprogramm Check: Migrations- und Asylpolitik

Vom 06.- 09. Juni wird das Europaparlament gewählt, aber wofür stehen eigentlich die Parteifamilien auf europäischer Ebene?

, von  Stina Nölken

Wahlprogramm Check: Migrations- und Asylpolitik
Die EU will ihre Migrationspolitik in Zukunft wirksamer, humanitärer und sicherer gestalten. Das neue Migrations- und Asylpaket ist jedoch umstritten. Wie stellen sich die Parteifamillien die Zukunft der europäischen Migrations- und Asylpolitik vor? Foto: Wikimedia Commons/ NorbertNagel / Lizenz, Flickr / Ilias Bartolini / Lizenz, Wikimedia Commons / Ggia / Lizenz, erstellt mit Canva Pro

Jedes Jahr begeben sich Menschen nach Europa, auf der Suche nach Schutz, wirtschaftlichen Möglichkeiten oder einem besseren Leben. Doch die Reise ist gefährlich und diejenigen, die es schaffen, finden sich oft in langwierigen bürokratischen Verfahren und unsicheren Verhältnissen wieder. Der neue Migrations- und Asylpakt der EU ist ein Versuch, diese Prozesse besser zu regeln, doch seine Methoden sind umstritten. Im Vorfeld der Europawahl 2024 werfen wir einen Blick darauf, wie sich die Parteigruppen die Zukunft von Migration und Asyl in Europa vorstellen und wie sie mit den bestehenden Herausforderungen umgehen wollen.

Kriege, politische Verfolgung, humanitäre und wirtschaftliche Krisen, die Folgen des Klimawandels - all das sind Gründe, aus denen Menschen aus ihrem Heimatland fliehen und die gefährliche Reise in andere Länder und Kontinente auf sich nehmen. Viele von ihnen treibt es nach Europa. Doch ein Mangel an sicheren und legalen Fluchtwegen führt immer wieder zu tragischen Unglücken.

Die Mittelmeerroute ist die tödlichste Fluchtroute der Welt. Im Januar 2024 allein meldeten die Vereinten Nationen 100 Tote - doppelt so viele wie im Vorjahr. Immer wieder erscheinen erschreckende Bilder und Nachrichten von gekenterten Booten oder gewaltsamen und rechtswidrigen Pushbacks an den Außengrenzen der EU. Wir erinnern uns an das Schiffsunglück vor der Küste Griechenlands im Juni 2023, bei dem über 600 Menschen ertranken.

Gleichzeitig ist die Zahl der Asylanträge in Europa im vergangenen Jahr deutlich angestiegen und sollen diesem Trend weiter folgen. Wie die Direktorin der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA), Nina Gregori, erklärte: „Die Welt um uns herum wird immer instabiler. Das Schutzbedürfnis der Flüchtlinge wird daher auch 2024 und darüber hinaus nicht abnehmen, sondern zum Teil sogar zunehmen.“

Um die Zuwanderung in der EU zu begrenzen und gezielter zu kontrollieren, wurde in den Europäischen Institutionen jahrelang über eine Asylreform diskutiert, die nun endlich die notwendige Zustimmung erhalten hat. Doch die Reform ist umstritten. Teil des Pakets sind unter anderem schärfere Asylregeln und Schnellverfahren an den EU-Außengrenzen, schnellere Abschiebungen und Abkommen mit Drittstaaten. Kritik kommt sowohl aus dem Parlament als auch von Menschenrechtsorganisationen. Die Reform stelle Inhaftierungen, diskriminierende Vorsortierung und Rückschiebungen in den Mittelpunkt, und erkläre Menschenrechte und das Recht auf Asyl als zweitrangig.

Diese Themen und Konfliktpunkte sind auch in den Parteiprogrammen der Europäischen Parteifamilien wiederzufinden. Der folgende Artikel präsentiert, welche Positionen im Vorfeld der Europawahl 2024 vertreten werden.


Übersicht der Positionen der europäischen Parteifamilien zu den Themen der Migrations- und Asylpolitik basierend auf den Wahlprogrammen. Ein grüner Haken steht für Zustimmung, ein rotes Kreuz für Ablehnung und ein orangenes Fragezeichen für nicht Thematisierung im Wahlprogramm. Zeichen in Klammern zeigen auf, dass die Position von der Parteifamilie geäußert wurde, aber nicht im Wahlprogramm. Ein grüner Haken mit * steht für eine Zustimmung unter bestimmten Voraussetzungen. Weitere Erklärung und die Quelle findet sich im Text. Foto: eigene Darstellung mit Canva Pro

Schutz der Rechte von Asylsuchenden und Migrant*innen

Nicht nur die Debatte rund um die Asylreform konzentriert sich auf die Bewältigung von Migration, Abschiebungen und Grenzkontrollen. In Deutschland zeigen verstärkte Grenzmaßnahmen undZusagen von Politiker*innen aus dem breiten politischen Spektrum, stärker gegen Migration vorzugehen, wo der Schwerpunkt der derzeitigen Migrationspolitik liegt. Gleichzeitig besteht die Sorge, die Debatte würde Migrant*innen und Geflüchtete vorwiegend als Bedrohung oder Belastung behandeln , und dabei grundlegende Menschenrechte außer Acht lassen. Was sagen die Parteifamilien zu der Achtung und dem Schutz der Menschenrechte von Migrant*innen und Asylsuchenden?

Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE): “Es muss sichergestellt werden, dass Pushbacks, Misshandlungen von Migranten und andere Verstöße gegen die Rechte von Migranten Konsequenzen nach sich ziehen.”

Europäische Konservative und Reformer (ECR): Nicht im Parteiprogramm erwähnt.

Europäische Volkspartei (EPP): “Wir setzen uns für das Grundrecht auf Asyl ein, aber die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen das Recht haben, zu entscheiden, wem und wo es gewährt wird. “

Grüne: “Wir setzen uns für ein gerechtes Asylsystem ein, das die Menschenrechte und die Menschenwürde schützt und auf Solidarität und gemeinsamer Verantwortung beruht.”

Identität und Demokratie (ID): Kein gemeinsames Parteiprogramm. Dennoch zeigen beispielsweise die Anfang des Jahres veröffentlichte Correctiv-Enthüllung bezüglich hochrangiger AfD-Politiker*innen (bis kürzlich ID-Mitglieder) mit Neonazis, in denen Pläne zu einer massenhaften Abschiebung aus Deutschland diskutiert wurden, das sie sich aktiv gegen die Achtung der Rechte von Migrant*innen wenden.

Linke: “Die Migrationspolitik der EU muss das Völkerrecht respektieren. Wir unterstützen die Schaffung sicherer, legaler und regulärer Migrationskanäle sowie einen verbesserten Schutz, Rechte und Unterstützung für Migranten und Asylsuchende.”

Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D): "Die Umsetzung des Asyl- und Migrationspakts muss zu einem fairen, sicheren und vorhersehbaren Ansatz führen, der auf der Achtung der Menschenrechte und Würde der Menschen beruht und an die langjährige Geschichte der EU anknüpft, Menschen in Not Schutz zu bieten.”

Volt: “Indem wir Diskriminierung bekämpfen, die Rechte aller Menschen verteidigen und sicherstellen, dass alle Zugang zu den Dingen haben, die sie brauchen, können wir eine gerechtere Gesellschaft aufbauen, in der jeder Mensch unabhängig von seiner Herkunft und Lebensumständen leben kann.”

Etablierung sicherer und legaler Migrationsrouten

Nicht nur die tödliche Mittelmeerroute ist ein Beispiel dafür, dass fehlende sichere Einwanderungsrouten Menschen dazu nötigen, lebensgefährliche Reisen auf sich zunehmen. Die Parteifamilien vertreten jedoch unterschiedliche Positionen dazu, ob und in welcher Form sichere und legale Migrationswege eingeführt werden sollten.

Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE): “Wir setzen uns für die Einführung von „Fast Lanes“ (EU Blue Card) ein, um hochqualifizierte Fachkräfte von außerhalb Europas in Schlüsselsektoren wie dem Ingenieurwesen, nachhaltigen und digitalen Technologien und dem Gesundheitswesen, aber auch weniger qualifizierte Arbeitskräfte anzuziehen.”

Europäische Konservative und Reformer (ECR): „Wir schlagen eine umfassende Strategie für die Grenzsicherheit vor, die alle möglichen Einreisepunkte, einschließlich der Luft-, Land- und Seegrenzen, abdeckt. [...] Wir wollen auch illegale Ausreisen durch gemeinsame Marineeinsätze verhindern.“

Europäische Volkspartei (EPP): Nicht im Parteiprogramm erwähnt.

Grüne: “Die Schaffung legaler und zugänglicher Kanäle für die Migration ist eine notwendige Voraussetzung für die Beendigung von Menschenhandel und Ausbeutung.”

Identität und Demokratie (ID): Kein gemeinsames Parteiprogramm.

Linke: “Wir setzen uns für ein Europa ohne Käfige und Stacheldraht ein, das nicht als Mauer, sondern als Brücke zu anderen Kontinenten und den Menschen, die dort leben, fungiert.”

Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D): “Europa muss sichere und legale Schutzwege bieten.”

Volt: Es braucht eine “Schaffung humanitärer Korridore, um gefährdeten Menschen eine sichere Überfahrt zu ermöglichen und den massiven Verlust von Menschenleben im Mittelmeer und im Atlantik zu stoppen.”

Such- und Rettungsmissionen im Mittelmeer

Aufgrund von Lücken in staatlichen Such- und Rettungsmissionen sterben immer wieder Flüchtlinge auf ihrer Flucht über das Mittelmeer. EU-koordinierte Missionen gibt es bisher nicht. Gleichzeitig gibt es zivile Seenotretter*innen, deren Einsatz immer wieder erschwert und kriminalisiert wird. Über die Zukunft einer koordinierten Such- und Rettungsmission sowie der unabhängigen Seenotrettung sagen die Parteifamilien folgendes:

Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE): “Wir müssen einen europäischen Aktionsplan für Such- und Rettungseinsätze im Mittelmeer einführen, bei dem die Sicherheit und die Würde der in Not geratenen Menschen im Vordergrund stehen.”

Europäische Konservative und Reformer (ECR): Nicht im Parteiprogramm erwähnt, jedoch hat beispielsweise die Regierung der “Fratelli d’Italia” in Italien, die Mitglied der ECR sind, in den vergangenen Jahren Maßnahmen verabschiedet, die italienische Häfen für Rettungsschiffe humanitärer Organisationen schließt.

Europäische Volkspartei (EPP): Nicht im Parteiprogramm erwähnt.

Grüne: “Wir fordern eine EU-finanzierte und EU-geführte Such- und Rettungsmission im Mittelmeer.”

Identität und Demokratie (ID): Kein gemeinsames Parteiprogramm.

Linke: Es braucht “[e]ine Migrationspolitik, die sich durch die Schaffung sicherer, legaler Einreisemöglichkeiten auszeichnet, um den umfangreichen Menschenhandel zu bekämpfen und Verluste von Menschenleben im Mittelmeer zu stoppen.”

Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D): “Wir werden humanitäre Hilfe niemals unter Strafe stellen und unterstützen eine europäische Such- und Rettungsmission im Mittelmeer.”

Volt: Es braucht “[e]ine Legalisierung der Seenotrettung.”

Verschärfte Grenzkontrollen

Um die Einwanderung stärker zu kontrollieren und einzuschränken, sieht die Asyl- und Migrationsreform vor, die Kontroll- und Abschiebeprozesse an den EU-Außengrenzen zu verschärfen. Was sagen die einzelnen Parteien zu der möglichen Zukunft der EU-Grenzkontrollen?

Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE): Es braucht “ordnungsgemäße” und “effektive Kontrolle der EU-Außengrenzen unter Achtung der Menschenrechte”, um “Migrationsströme auf menschliche Art” zu steuern.

Europäische Konservative und Reformer (ECR): “Wir schlagen eine umfassende Strategie für die Grenzsicherheit vor, die alle möglichen Einreisepunkte, einschließlich der Luft-, Land- und Seegrenzen, abdeckt. Diese Strategie erfordert eine verbesserte Grenzinfrastruktur, die von allen Mitgliedstaaten finanziert wird”.

Europäische Volkspartei (EPP): “Zunächst müssen wir für stärkere Außengrenzen sorgen, mit einer besseren und strengeren Überprüfung von irregulären Einreisenden. Die Einreise an den Außengrenzen der EU muss umfassend elektronisch überwacht werden. Dazu gehört auch ein struktureller und technischer Grenzschutz, wo immer er notwendig ist. Wir brauchen so schnell wie möglich einen wirksamen Schutz der Außengrenzen, sonst können wir Kontrollen an den Binnengrenzen nicht ausschließen.”

Grüne: “Wir müssen Gewalt, Folter und unmenschliche und erniedrigende Behandlung an den europäischen Grenzen beenden. Illegale Rückweisungen an den Grenzen der EU müssen aufhören. Die EU-Gesetze zur Harmonisierung der Standards für Asylverfahren, Aufnahmebedingungen und Schutzmaßnahmen müssen durchgesetzt werden. Wir können nicht akzeptieren, dass Menschen, die in der EU Schutz und ein besseres Leben suchen, inhaftiert, misshandelt und missbraucht werden.”

Identität und Demokratie (ID): Kein gemeinsames Parteiprogramm, jedoch fordert die ID in ihrem Magazin zur Europawahl eine “Festung Europa”, einen “Stopp der Migration” und eine “Rückkehr illegaler Einwanderer in die Herkunftsländer”.

Linke: “Wir fordern einen Bruch mit der „Festung Europa“ – wir stehen für legale und sichere Migrationsrouten und stellen uns gegen die Politik der illegalen Pushbacks.” Es braucht “ein gemeinsames Aufnahmesystem in der Europäischen Union, das auf Kriterien der interterritorialen Solidarität und des Respekts für die Rechte von Migrantinnen und Migranten und Geflüchteten beruht.”

Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D): “Wir werden dafür sorgen, dass die Außengrenzen der EU wirksam verstärkt, verwaltet und kontrolliert werden; dabei müssen die Sicherheit und die Rechte der Menschen geschützt bleiben.”

Volt: Nicht im Parteiprogramm erwähnt.

Abkommen mit Drittstaaten

Die Reform der Migrations- und Asylpolitik sieht vor, eine Liste von “sicheren” Herkunfts- und Transitländern zu erstellen, in die Flüchtlinge abgeschoben werden können um dort Asylprozesse zu durchlaufen. Ähnliche Abkommen hat die EU bereits mit Staaten wie Tunesien oder Ägypten unterzeichnet. Das sagen die Parteien über solche Abkommen:

Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE): “Wir brauchen Vereinbarungen mit Drittländern, um die illegale Einwanderung in die EU zu stoppen und gleichzeitig die Menschenrechte zu wahren und zu schützen.”

Europäische Konservative und Reformer (ECR): "Wir werden mit Drittländern bei der Externalisierung der Migrationssteuerung zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Mehrzahl der Anträge auf internationalen Schutz direkt außerhalb der EU geprüft wird.”

Europäische Volkspartei (EPP): “Wir werden Abkommen mit Drittstaaten schließen, um sicherzustellen, dass auch Asylbewerbern auf zivilisierte und sichere Weise Schutz gewährt werden kann. Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten umsetzen. Wer in der EU einen Asylantrag stellt, könnte auch in einen sicheren Drittstaat überstellt werden und dort das Asylverfahren durchlaufen.”

Grüne: “Keine schmutzigen Geschäfte mit Diktator:innen. Wir lehnen sogenannte „Migrationsabkommen“ wie das mit Tunesien, bei dem die EU Länder dafür bezahlt, dass sie Migrierende fernhalten, entschieden ab. Jede Zusammenarbeit mit Drittländern im Bereich der Migration bedarf einer Menschenrechtsprüfung.”

Identität und Demokratie (ID): Kein gemeinsames Parteiprogramm, jedoch schrieb die ID vergangenes Jahr auf ihrer Website, sie würden Asylantragszentren außerhalb Europas in Drittländern eröffnen wollen, sodass keine Asylanträge innerhalb der EU-Grenzen gestellt werden dürften. Gleichzeitg will die Gruppe die “Bereitstellung von Finanzmitteln für Drittländer von der effektiven Umsetzung von Rückführungs- und Rückübernahmeabkommen” abhängig machen.

Linke: “Wir fordern die Aufhebung aller Abkommen und Erklärungen zu Migration und Geflüchteten, die diese Grundrechte verletzen, einschließlich der Abkommen über die Externalisierung der europäischen Grenzen”.

Progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D): “Wir werden rechenschaftspflichtige und transparente partnerschaftliche Vereinbarungen mit Herkunfts- und Transitländern fördern und wenden uns gegen jede Form der Externalisierung von EU-Grenzen.”

Volt: Nicht im Parteiprogramm erwähnt.

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