Forschungsgipfel 2024
Am 22. April fand der Deutsche Forschungsgipfel statt, eine Veranstaltung zu denen etliche Expert*innen, Gründer*innen und Vorstandsvertreter*innen von Spitzenkonzernen vertreten waren. Das Thema: „Katalysatoren, Kompetenzen und Kooperationen am Beispiel KI“ , oder auch einfach: Was können wir als EU gut? Und was können wir besser machen? Der Gipfel wurde von Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer Rede eröffnet, die die Lage passend zusammenfasst: Deutschland investiere zur Zeit etwa 3% seines Bruttoinlandsproduktes in Forschung und Innovation. Das habe schließlich 2023 auch erstmals wieder zu einem Anstieg der Patentanmeldungen geführt. Kein Geheimnis ist laut dem Kanzler, dass Deutschland gut in der Grundlagenforschung sei und auch in der Frühphasen-Finanzierung von Start-Ups gut aufgestellt sei. Das zeige der Erfolg in den Branchen Biotech, Kreislaufwirtschaft, New Space und ziviler Raumfahrt. Jedoch müsse Deutschland in der Wachstumsphase besser werden. Als Kernproblem wird der limitierte Kapitalmarkt in Europa genannt: Dadurch fallen Privatinvestitionen, und vor allem Wagniskapital, in der EU deutlich geringer aus als in USA (siehe Grafik).
In Deutschland soll diese vermeintliche Schwäche im freien Markt zuerst mit staatlichen Subventionen angegangen werden: mithilfe des Zukunftsfonds von 10 Mrd. € bis 2030 sowie dem Deeptech Climate Fond. Langfristiges Ziel soll sein, über die Grundlagenforschung hinauszugehen und die Start-Ups langfristig im Land zu behalten. Olaf Scholz verwies außerdem darauf, dass mehr als die Hälfte der US-amerikanischen Starts-Ups von Einwander*innen gegründet werden. Das soll auch in Deutschland möglich werden, durch neue Gesetze, neue Anreize und eine einwanderungsfreundliche Umgebung, wie etwa einer verstärkten englischsprachigen Lehre an deutschen Universitäten. Finanzierung, Regulierung und der Fachkräftemangel seien somit die Prioritäten.
Die Probleme der Finanzierung
Forschung und Innovation können auf der einen Seite durch private Investor*innen über die Kapitalmärkte gefördert werden; diese sind in Europa aber weiterhin national gestaltet und eine einheitliche europäische Kapitalmarktunion gibt es bisher nicht. Marktorientierte Investitionen und generell Wagniskapital, welches gerade in den Wachstumsphasen von Start-Ups wichtig ist, bleiben somit in Europa oft aus. Stattdessen übernehmen in Europa oft Banken die Finanzierung, vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen.
Subventionen, sollen Unternehmen gezielt in der Anfangsphase fördern. Diese Art der Finanzierung ist besonders beliebt, wenn sich für eine Regierung direkte Zusammenhänge zwischen politischer Arbeit und wirtschaftlichem Erfolg herstellen lassen. Über den Kapitalmarkt erhalten Start-Ups, die auf absehbare Zeit keine wirtschaftlichen Gewinne versprechen, automatisch weniger Unterstützung. Denn es wird vor allem dort investiert, wo Profite für die Investor*innen erwartet werden. Im Gegensatz dazu beruht staatliche Finanzierung auf Steuergeldern. Ziel der Investitionen sollten deshalb Projekte sein, von der die gesamte Gesellschaft profitiert, etwa Investitionen in klimaneutrale Mobilität. Staatliche Finanzierung ist dabei aber viel weniger flexibel, da Haushaltspläne über mehrere Jahre laufen und Finanzierung selten zurückgezogen werden kann - sollten Projekte keinen Erfolg mehr versprechen. Das System ist also rein wirtschaftlich gesehen nicht so effizient wie die Finanzierung über den freien Markt.
Für einige Länder kann das System von staatlicher Direktfinanzierung aber trotzdem Wettbewerbsvorteile mit sich bringen: So ist Deutschland in der Grundlagenforschung unter anderem deshalb so stark, weil diese Art der Forschung über längere Zeit nicht profitabel ist. Öffentliche Subventionen von nicht gewinnorientierten Institutionen folgen aber einem anderen Ziel: Sie finanzieren Grundlagenforschung, da diese ein Nährboden für profitable Ideen in der Zukunft sein können. Laut Pascal Lamie, ehemaliger Präsident der Weltbank, sei Deutschland herausragend in der Forschung und Weltspitze in der Grundlagenforschung, doch habe ein riesiges Problem mit der Inwertsetzung.
Die Frage der Regulierung
Laut Uğur Şahin, dem CEO des Biotechnologieunternehmens Biontech, seien viele Regularien der EU zu streng, um Unternehmen auf dem europäischen Markt eine gute Perspektive zu bieten. Speziell im Bereich der KI-Regulierung hat die EU kürzlich den „AI Act“ verabschiedet. Dazu finden sich in den einzelnen Wahlprogrammen der europäischen Parteien explizite Positionierungen, was zeigt, wie umstritten Regulierung generell ist. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte diese erste umfassende Regelung der KI-Entwicklung. Unternehmen könnten durch die Regulierung aber auch mit Hindernissen in Forschung und Innovation konfrontiert werden, und als Konsequenz in weniger regulierte Gegenden abwandern. Dass KI gefährlich werden kann und schon jetzt ein Gefahrenpotenzial hat, sollte spätestens nach den ersten Deep Fake Videos von Olaf Scholz auch allgemein bekannt sein.
Auf dem Forschungsgipfel kommt aber die Frage auf, ob „AI Made in Europe“ nicht auch ein Wettbewerbsvorteil sein könnte. Kann man die strengen Regularien in dieser Branche in ein Qualitätsmerkmal verwandeln? Auch dazu gibt es eine Abstimmung: 70% stimmen dafür, 30% sehen die Regulierung des „AI Regulation Act“ als zu streng. Prof. Gerald Haug, Präsident der Akademie der Wissenschaften (bestehend aus den 37 noch lebenden Nobelpreisträger*innen) sagt dazu: „Die Amerikaner würden dazu jetzt sagen, das sei naiv.“ Die Frage nach der Regulierung ist also durchaus umstritten, weil sie auf der einen Seite die Forschung einschränkt und bremst, auf der anderen Seite als Verkaufsargument profitabel sein könnte. Daher gibt es hier kein eindeutiges Richtig oder Falsch, im Bezug auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der EU.
Der Fachkräftemangel
Der Fachkräftemangel im Bereich der Spitzenforschung lässt sich mit einer Zahl verdeutlichen: Aktuell verlassen 37,5% der promovierten KI Expert*innen Deutschland. Das liegt unter anderem daran, dass es in den USA deutlich mehr Gründungen gibt, und damit spannende Möglichkeiten für junge Forscher*innen. Zum anderen sind die Universitäten dort besser mit Unternehmen vernetzt. Nur 2% der Deutschen Hochschulen geben an, mit Unternehmen aus dem Ausland zusammenzuarbeiten. Auf dem Gipfel herrscht dementsprechend die Forderung nach mehr Orten für kollaborative Forschung: 61,5% der Teilnehmenden stimmten dafür; 38,5% wollen die bestehende Aufgabenteilung beibehalten und mehr Entrepreneurship in der Forschung. Es wird gefordert, die Forschungsverbände zu „internationalen Leuchttürmen auszubauen“, die durch mehr Möglichkeiten Fachkräfte in der EU halten und aus dem Ausland anziehen sollen.
Die Herausforderungen zusammengefasst
Die Diskussion zeigt unterschiedliche Strategien, wie die Wettbewerbsfähigkeit von Forschungs und Innovation in Europa gesteigert werden könnte. Klar ist auch, dass man sich an vielen Stellen nicht ganz einig ist, was die besten Lösungen sind. Fasst man die Ergebnisse des Forschungsgipfels aber nach den Abstimmungen und Redebeiträgen zusammen, zeigt sich folgendes Bild:
- Eine bessere Finanzierung könnte durch eine flächendeckende Veränderung der Marktstrukturen in der EU erzielt werden. Durch den Aufbau eines einheitlichen Europäischen Kapitalmarkts könnten private Investitionen gefördert werden, die Unternehmen in ihrer Wachstumsphase in der EU halten.
- Regulierung ist wichtig und kann auch als Chance gesehen werden. Sie wird nicht nur als Wachstumsbremse gesehen, sondern als potentielles Qualitätsmerkmal. Wichtig ist aber, dass sie planbar kommt und dass der Kontakt zwischen Regierung und Unternehmen/Start-Ups, verbessert wird.
- Um Fachkräfte in der EU zu halten oder neu zu gewinnen braucht es mehr Kollaboration zwischen den Hochschulen und Unternehmen. Außerdem werden Direktinvestitionen für den Ausbau der Forschungsverbände gebraucht.
Was die Parteien im Europawahlkampf wollen
Da nun die Herausforderungen für die Zukunft der Forschungs- und Innovationspolitik der EU bekannt sind, können wir uns nun anschauen, für welche politischen und wirtschaftlichen Strategien sich die Parteifamilien auf europäischer Ebene aussprechen. Die Analyse der Wahlprogramme folgt einer Klassifizierung folgender drei Punkte:
- Unterstützung kapitalmarktfreundlicher Politik (Wirtschaftsliberalität),
- Unterstützung öffentlicher Subventionen in der Forschung
- KI-Regulierung stärken oder abbauen
Europäische Volkspartei (CDU/CSU)
Übersetzt aus dem Europawahlprogramm der EPP
„…fordern die Mitgliedstaaten und die EU auf, gemeinsame Investitionen von 4 % des BIP mit einem Schwerpunkt auf wissenschaftlicher Exzellenz zu erreichen, die einen europäischen Mehrwert schaffen. Öffentliche Mittel sind nicht ausreichend, um den Investitionsbedarf in der EU zu decken. Wir müssen es schaffen, mehr Privatvermögen zu mobilisieren.
„Zweitens muss die EU eine führende Kraft im Bereich der KI sein. Wir wollen KI ermöglichen, entwickeln und nutzen und nicht durch Überregulierung einschränken oder behindern. Wir wollen Forschung und die Entwicklung von Anwendungen unterstützen und Freiheit gewähren. Wir müssen unseren Datenschutz an die Anforderungen der digitalen Welt anpassen.“
Sozialdemokratische Partei Europas (SPD)
Übersetzt aus dem Europawahlprogramm der PES
„…durch wirksame Steuern auf Unternehmen, unerwartete Gewinne, Kapital, Finanztransaktionen und die wohlhabendsten Individuen.“
„Wir wollen eine „Made in Europe“-Strategie und eine gemeinsame Finanzierung von Projekten von gemeinsamem Interesse in Europa. SSG, Selbständige, Start-ups, Genossenschaften und Unternehmen der sozialen Wirtschaft sind wesentlich und müssen unterstützt werden, insbesondere Unternehmerinnen und junge Unternehmer.“
„Wir werden sicherstellen, dass Europa die Macht der KI nutzt, um Arbeiter und Bürger nach dem Prinzip „Mensch in Kontrolle“ zu schützen.“
Allianz der Liberalen und Demokraten (FDP)
Übersetzt aus dem Europawahlprogramm der ALDE
„Die vielen Haushaltsprogramme, Fonds und Einrichtungen der EU konsolidieren, um die Ausgaben zu vereinfachen und Investitionen sowie Innovationen in die nachhaltige und digitale Transformation klar zu priorisieren.“
„Die Vertiefung sowohl der Europäischen Kapitalmarktunion als auch der Europäischen Bankenunion.“
„Das bedeutet, Hindernisse und Bürokratie für Entrepreneurs, sowie kleine und große Unternehmen in ganz Europa zu abzubauen.“
Europäische Grüne (Bündnis 90/Die Grünen)
Übersetzt aus dem Europawahlprogramm der European Greens
„Wir werden Finanzdienstleistungen regulieren, um langfristige Investitionen in eine grüne und soziale Zukunft zu fördern anstatt kurzfristige Spekulation. Wir fordern eine EU-weite Vermögenssteuer, um Ungleichheit zu bekämpfen und die grüne Wende zu finanzieren. Darüber Hinaus werden wir uns für eine europäische Finanztransaktionssteuer einsetzen, um Einnahmen zu generieren und gleichzeitig die Spekulation einzudämmen.“
„Strenge Grenzen sollten daher durchgesetzt werden. Unethische und undemokratische Praktiken wie biometrische Massenüberwachung, KI-Systeme, die Emotionen, Geschlecht oder sexuelle Orientierung erkennen, sowie KI-basierte vorausschauende Polizeiarbeit sollten in der EU nicht erlaubt sein. Antidiskriminierungsgesetze und Datenschutzgesetze müssen gestärkt und durchgesetzt werden, um sicherzustellen, dass KI-Systeme keine rassifizierten Gruppen diskriminieren.“
Eine Subventionierung der Forschung im Bereich KI wird nicht erwähnt, jedoch heißt es im Europawahlprogramm Der Grünen in Deutschland: „Digitale Souveränität bedeutet die Entwicklung und Anwendung von Schlüsseltechnologien wie KI, Quantencomputing und -kommunikation in Europa. Auch hier können wir auf starke europäische Unternehmen in verschiedenen Sektoren setzen und stärken diese Entwicklung mit einer Bündelung von Maßnahmen – zum Beispiel zielgerichteten Investitionen im Rahmen des Investitionsprogramms für Innovation, Souveränität und Resilienz.“
Europäische Linke (DIE LINKE)
Übersetzt aus dem Europawahlprogramm der European Left
„…reservieren 7% des EU-BIP für Bildung, Forschung und Innovation.“
„…hohe Zinssätze, sogar Strafzinsen, für Kredite, die Arbeitsplätze abbauen, verlagern, die Verschmutzung (CO2 usw.) erhöhen oder der Spekulation dienen“
„Eine effektive Regulierung von KI, mit dem Menschen-in-Kontrolle Prinzip, muss in das EU-Recht aufgenommen werden“
Identität und Demokratie Partei (AfD)
Die ID hat kein Wahlprogramm. Jedoch steht im Europawahlprogramm der AFD dazu: „Eine Finanztransaktionssteuer lehnen wir ab.“ „Wir betrachten Subventionen grundsätzlich kritisch.“
Europäische Konservative und Reformer
Übersetzt aus dem Europawahlprogramm der ECR
„Wir versprechen, das Wirtschaftswachstum in der EU anzukurbeln, indem wir Bürokratie abbauen und sicherstellen, dass Vorschriften greifbare Vorteile bringen, gleiche Wettbewerbsbedingungen bei staatlichen Beihilfen fördern und den Dienstleistungsmarkt vereinfachen. Wir sind entschlossen, kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu stärken, indem wir unnötige Bürokratie abbauen, einen vorübergehenden Stopp neuer EU-Vorschriften für kleine Unternehmen fordern und stattdessen Ressourcen für die Umsetzung und Durchsetzung bestehender Gesetze bereitstellen. Zudem wollen wir die digitale Landschaft der EU modernisieren, um Innovation und Investitionen in Spitzentechnologien wie KI, 5G/6G und Quantencomputing zu fördern. Wir werden uns um einen regulatorischen Rahmen bemühen, der gesunden Wettbewerb und Unternehmertum fördert, die Freiheit des Unternehmertums für jeden Bürger unterstützt und gleichzeitig die finanzielle Autonomie der Mitgliedstaaten sowie die Nichteinmischung in Steuerfragen wahrt.“
Fazit
Die Partei, welche die Ergebnisse des Forschungsgipfel am besten repräsentiert, ist die ALDE. Zusätzlich zu der Tatsache, dass nahezu jeder der für die Analyse herausgearbeiteten Punkte explizit im Parteiprogramm erwähnt wird, gibt es noch viele kleinere Konzepte des Gipfels, die sich in dem Programm wiederfinden. Zum Beispiel eine Blue Card die für leichtere Einwanderung von Fachkräften und ein Kommunikationsinstrument, um die EU Kommission direkt in Kontakt mit den Unternehmen zu bringen.
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