Vorbild: Die Vereinigten Staaten von Amerika
Die Amerikaner haben uns etwas voraus, von dem wir in Deutschland noch nicht einmal sicher sind, ob wir es überhaupt sein wollen, geschweige denn jemals sein werden – eine Nation.
Sie haben uns nicht nur das Endergebnis voraus, sondern sie haben uns auch die Organisationsform voraus, die einzig möglich ist, um das zu vereinen, was einstmals als unvereinbar galt – viele Staaten mit unterschiedlichen Geschichten, mit unterschiedlichen Ethnien, Kulturen und ja, sogar unterschiedlichen Sprachen. Die USA haben sich vor 240 Jahren darauf geeinigt, dass es Sinn macht, Unterschiede zu überwinden, um für ein höheres Gut gemeinsame Sache zu machen. Es folgten fast 100 Jahre „Findungsphase“, in der nicht klar war, ob das Gebilde von „Vereinigten Staaten von Amerika“ wirklich Bestand haben würde. Zahlreiche Kriege wurden geführt, um das Gebilde zu erweitern, der Wohlstand beruhte – insbesondere im Süden (aber nicht nur da!) – auf den Schultern der versklavten und verschleppten afrikanischen Arbeitskräfte und schließlich entschieden sich diese Südstaaten sogar dazu, zum Erhalt ihrer eigenen „Lebensweise“ (so euphemistisch das Wort klingt, um damit Sklaverei zu maskieren) einen Bürgerkrieg zu riskieren, um sich vom als Joch empfundenen Präsidenten und Kongress aus Washington keine Vorschriften mehr machen lassen zu müssen.
Es ist allgemein bekannt, was dann folgte: die Nordstaaten fanden sich mit dem „Austritt“ der Südstaaten nicht ab und am Ende wurde daraus der blutigste Krieg in der amerikanischen Geschichte. Heute sind die USA ein föderaler Bundesstaat. 50 einzelne Staaten haben noch immer weitgehende autonome Rechte, um über ihr Schicksal eigenständig zu entscheiden. Man muss die Genese der USA verstehen, um zu begreifen, wie es möglich ist, dass dem US-Präsidenten vorgeworfen wird, ein Kommunist zu sein, wenn er das aus europäischer Sicht hehre Ziel verfolgt, jedem Amerikaner eine Krankenversicherung zu verschaffen.
Wir Europäer haben im Jahr 2015 vermutlich mehr mit der Geschichte der USA gemein als uns lieb ist. Die Europäische Union wurde nicht in einem Abwehrkampf gegen einen Invasor geformt wie das 1776 bei den USA im Kampf gegen die Engländer der Fall war, aber auch bei uns war es Krieg, der den Gedanken emporkommen ließ, dass eine föderale Einheit besser sein könnte als das alleinige Fortbestehen der Nationalstaaten. Wir Europäer hatten und haben es schwerer, das Gemeinsame zu finden, wo das Trennende, das Nationale in den Köpfen der Bevölkerung noch immer beharrlich nagt und die vermeintlich glorreiche Vergangenheit uns über die triste Gegenwart und die erwartete vom Niedergang gezeichnete Zukunft weinen lässt. Selbst über den Sinn von freiem Handel wird im Jahr 2015 in Europa gestritten, wo es doch genau dieser war, der am Anfang des Wegs zu einem gemeinsamen Europa stand.
Mittlerweile sind zum freien Handel, freie Grenzen, Freizügigkeit und freie Arbeitswahl gekommen, wir dürfen ein gemeinsames Parlament wählen, wir teilen die gemeinsamen Werte von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde und wir haben seit 13 Jahren eine gemeinsame Währung.
Rückkehr zur Kleinstaaterei in Europa?
Trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass das Projekt auf dem Weg des Scheiterns ist. Der Euro wird mehr geduldet als geliebt, ein „nationales Gefühl“ für die Europäische Union sucht man bisher vergebens und nicht erst seit gestern fragen sich viele, warum man überhaupt auf die dumme Idee gekommen ist, sich so weit festzulegen. Eigentlich war es doch schöner als die europäischen Nationalstaaten noch alles selbst entscheiden durften.
Ich behaupte, dass diese Haltung aber im Grunde ihres Herzens bei vielen Europäern nicht mehr zutrifft. Die meisten Menschen (zumal in Grenznähe) sind froh, dass sie ohne Grenzkontrolle zum Nachbarn hinüberfahren können, dass sie für europäische Waren keinen Zollaufschlag zahlen müssen und dass es im Urlaub mit der Währung so einfach klappt. Kaum einer macht heute noch Polenwitze, man blickt eher mit Staunen zum osteuropäischen Nachbarn, der so unglaublich vom freien Warenverkehr profitiert und ganz hinten in der Ecke versteckt empfinden sogar viele Deutsche eine Verpflichtung, den Italienern bei ihren Flüchtlingsproblemen zu helfen.
Was aber keiner möchte ist dass sich einzelne Gliedstaaten auf Kosten der anderen profilieren. Die Europäische Union ist nach wie vor ein fragiles Gebilde mit zartem Vertrauen, bei dem jeder immer noch ein argwöhnisches Auge auf den anderen wirft. Wenn sich dann jemand eklatant nicht an die mühsam vereinbarten Regeln hält, wird aus dem argwöhnischen Auge schnell die Zornesröte und an diesem Punkt sind wir mittlerweile angekommen. Die Geduld der Europäer mit Griechenland, das nicht bereit zu sein scheint, die Solidarität der übrigen Staaten in gemäßigtem Ton anzuerkennen, um anschließend veränderte Bedingungen auszuhandeln, ist am Ende. Wir reden währenddessen ja nicht einmal mehr über das dem mehr oder weniger offen dem Faschismus entgegenstrebende Ungarn und wir fürchten uns währenddessen in einer freien Minute vor dem Austritt der Briten aus dem Europäischen Haus.
Europäer sollten sich auf den Weg zu einer besseren Union machen - notfalls ohne Griechenland, Ungarn und Großbritannien
Wir sollten aber aus der amerikanischen Geschichte lernen und unsere eigene Geschichte einflechten. Die Gemeinsamkeiten der europäischen Staaten und die Herausforderungen vor denen sie stehen reichen nicht nur, sondern sie erfordern geradezu den Europäischen Bundesstaat. Wir sollten aber – entgegen dem amerikanischen Vorbild – niemanden zwingen, zu bleiben.
Wenn Herr Tsipras die Solidarität der Europäischen Staaten mit Füßen tritt, um sich als nationalistischer Triumphator vor seinen Anhängern feiern zu lassen, sollten wir ihn stattdessen gehen lassen und notfalls bitten, zu gehen. Wenn Herr Orban meint, er könne im Schatten der Krise in seinem Land die Grundrechte und den Rechtsstaat immer weiter beschneiden, sollten wir auch ihn bitten, zu gehen. Und wenn Herr Cameron erneut aus Rücksicht auf die vermeintlichen heimischen Befindlichkeiten ebenfalls die Europäische Union nutzen möchte, um sie als Fußabtreter zu nutzen, sollten wir auch dem britischen Referendum mit mehr Gelassenheit entgegenblicken.
1. Am 27. Juni 2015 um 00:50, von duodecim stellae Als Antwort Warum uns der Grexit nicht schrecken sollte
Die Idee von der Eurozone als Kerneuropa ist sehr sinnvoll, aber das Problem ist die Dynamik von solchen Zersetzungsprozessen. Wir leben in sehr geordneten Zeiten. Und wir jungen Leute können uns die Katastrophen und das Chaos das in der Vergangenheit in Europa Alltag war und in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit wiederkehren wird, nicht vorstellen. Wir sind in Mitteleuropa ja nicht mal in der Lage die Krise in Griechenland zu begreifen.
Wir denken die Agenda 2010 haben die Menschen in Deutschland ja auch überlebt, die Griechen sollen sich nicht so anstellen. Schaut man sich aber die Zahlen an, dann begreift man, dass das was Griechenland vom IWF, Kommissionsbeamten und EZB aufgedrückt wurde, die Wirtschaft in eine Abwärtsspirale gedrückt hat, wie sie seit der großen Depression in keinem Land Europas vorkam. Die Löhne haben sich seit 2010 fast halbiert, viele beziehen überhaupt keinen Lohn Aufgrund der Arbeitslosigkeit, Hartz4 oder Sozialhilfe gibt es in Griechenland nicht (nur Arbeitslosengeld für ein Jahr, was die meisten Arbeitslosen mittlerweile nicht mehr bekommen). Viele Familien leben von den Renten der Großeltern. Wenn die Gläubiger jetzt fordern diese Renten zu kürzen, Macht man sich eigentlich des Massenmords schuldig!
Der Vergleich mit Brünings Sparpolitik drängt sich auf. Und wir sollten uns alle erinnern, dass nach Brüning Hitler folgte. Insoweit können wir froh sein, dass nach Sammars nur Tsipras kam und nicht die Goldene Morgenröte. Im Falle eines Grexit/Staatsbankrotts halte ich einen Militärputsch und das Kriegsrecht in Griechenland für durchaus realistische Szenarien.
Um auf die Dynamik zurück zu kommen: Keiner weiß was bei einer Staatspleite innerhalb der Eurozone geschieht. Wir haben keine Eurobonds, somit sind die Staaten einzeln angreifbar und die Angriffe (in Kombination von Kapitalflucht und erneuten Wetten gegen Staaten) werden kommen, nach dem Prinzip des schwächsten Gliedes in der Kette. Die Finanzmärkte in Europa und Weltweit sind aufgebläht mit EZB- und FED-Geld Aufgrund der QE Programme, was zu einer erhöhten Volatilität führt. Bei erhöhter Volatilität kann es sehr schnell zu Crash-Dynamiken kommen, die nicht mehr beherrschbar sind. Die Eurozone ist weiterhin Aufgrund ihrer politischen und strukturellen Uneinigkeit weiterhin ein Kartenhaus. Da eine Karte heraus zu ziehen ist fahrlässig!
2. Am 27. Juni 2015 um 01:06, von duodecim stellae Als Antwort Warum uns der Grexit nicht schrecken sollte
Und selbst wenn sich Europa verkleinert, wie soll mit dem aktuellen politischen Personal ein Kerneuropa entstehen? Mark „Möchtegern-Cameron“ Rutte in Holland, Merkel, die visions- und mutloseste Kanzlerin aller Zeiten, Hollande der erfolgloseste Präsident aller Zeiten und auch Renzi ist weit davon entfernt ein glühender Europäer wie Enrico Letta vor ihm zu sein. Die postkommunistischen Staaten im Osten der Union nehmen gerne Geld aus den Entwicklungsfonds und fordern Unterstützung im Angesicht der russischen Muskelspiele, aber wenn sie mal 1000 Flüchtlinge aufnehmen sollen, will man von europäischer Solidarität nichts wissen. Denkt wirklich jemand dass auch nur ein Italiener nach diesem Gipfel bereit ist einen Konflikt mit Russland anzufangen um Polen zu schützen, dass, mit seiner national fast homogenen Bevölkerung, nicht mal bereit ist den Italienern ein Paar asylberechtigte (!) Flüchtlinge nach einem fairen Quotenschlüssel abzunehmen?
Der Europäische Rat hat als Europäische Institution auf ganzer Linie (wiedermal) versagt. Das macht er aber schon seit 5 Jahren so, also Business as usual. Die Bürger haben sich schon an das nationale Affenballet in Brüssel gewöhnt. Wen wundert es da, das immer weniger an Europa glauben, wenn man immer nur im Fernsehen sieht, wie sich nationale Regierungschefs wie die Kleinkinder um den Griesbrei streiten? Die nationalen Politiker machen das schlechte Beispiel vor. Es herrscht doch in allen Hauptstädten nur Anspruchsdenken: Was macht Europa für mich? Keiner fragt sich, was tue ich für Europa! Mit solchen „Führungskräften“ in den Nationalstaaten stehen Jean-Claude Juncker und Martin Schulz als Last men standing auf verlorenem Posten da.
Und wenn jetzt auch noch die JEF den Grexit nicht so schlimm findet, steht es echt schlecht um Europa. Monnet und Schuman rotieren in ihren Gräbern!
3. Am 2. Juli 2015 um 11:05, von Faktencheck Als Antwort Warum uns der Grexit nicht schrecken sollte
Mit langer Rede wird ein geeintes Europa beschworen und mit wenigen falschen Sätzen zunichte gemacht. Es ist ja eben nicht so, dass Griechenland unter Syriza MEHR fordert als ihnen zustehen würde. Es ist vielmehr so, dass die europäisch NICHT GEWÄHLTEN Institutionen, personalisiert durch Troika und IWF Forderungen an Griechenland stellen, die unerfüllbar sind. Um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen wird ein Ultimatum gestellt und verlangt, dass die ärmsten NOCH WEITER und NOCH MEHR zur Kasse gebeten werden (MWSt-Erhöhung!). Genauere Details u.a. hier: http://www.n-tv.de/politik/Juncker-hat-die-Unwahrheit-gesagt-article15408656.html
Mit dem folgenden Satz „Wenn Herr Tsipras die Solidarität der Europäischen Staaten mit Füßen tritt, um sich als nationalistischer Triumphator vor seinen Anhängern feiern zu lassen, sollten wir ihn stattdessen gehen lassen und notfalls bitten, zu gehen.“ reiht sich der Autor in eine unschöne Reihe ein, welche unbelegte Behauptungen unreflektiert nachplappern.
Sehr, sehr schade und traurig, welche solche „Stimmen“ Stimmung machen GEGEN ein europäisches Land und gegen ein vereintes Europa.
4. Am 12. Juli 2015 um 23:29, von Alexander Peters Als Antwort Warum uns der Grexit nicht schrecken sollte
„FAKTEN“
Sehr geehrter Herr „Faktencheck“,
Ihre „Fakten“ lassen sehr zu wünschen übrig. Natürlich fordert Griechenland „MEHR“ als ihm zusteht; und nicht erst „unter Syriza“. Die Währungsunion erlegt ihren Mitgliedern die Verpflichtung auf, ihre Verschuldung in bestimmten Grenzen zu halten - aus gutem Grund, wie man heute sieht. Griechenland hat seit seinem Euro-Beitritt nie ernsthafte Anstrengungen unternommen, den Maastricht-Anforderungen auch nur nahezukommen, und stattdessen lieber Partner und EU-Kommission mit frisierten Statistiken getäuscht. Infolgedessen war es mit einer Schuldenquote von mehr als 100% bereits hoffnungslos überschuldet, als es von der Weltfinanzkrise getroffen wurde, und verlor sofort völlig die Kontrolle über seine Finanzen. Infolgedessen - INFOLGE seiner Weigerung, seinen Vertragspflichten gegenüber den Partnern nachzukommen und in normalen Zeiten für eine fiskalische Reserve zu sorgen - kann Griechenland in diesen Krisenzeiten nicht mehr aus eigener Kraft mit der der Lage fertig werden, und zwingt seine Partner dazu, ihm mit Hunderten von Milliarden beizuspringen. Milliarden, die ihn Form von Schuldenverzicht, Zinsenverzicht, ESM-Rettungsmitteln, EZB-„Notkrediten“ an griechische Banken und EZB-Anleihestützungskäufen aufgebracht werden, die nie zurückkommen werden und die alle früher oder später als Verlust in den Staatshaushalten der anderen Euroländer auftauchen werden.
Das Demokratieargument von wegen der „NICHT GEWÄHLTEN Institutionen“, die Griechenland angeblich tyrannisieren, sticht überhaupt nicht. Tsipras kann froh sein, daß er bloß die Troika und nicht etwa die deutschen - finnischen, litauischen, slowakischen usw. - Wähler von seinen Sparmaßnahmen überzeugen muß. Wenn DIE in solchen dummdemokratischen Stimmungsplebisziten über die Rettungspolitik abstimmen dürften, wie neulich die Griechen, hätte Athen wahrscheinlich schon die früheren Rettungspakete nicht erhalten.
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