Was verkörpert die europäische Wende der neuen italienischen Regierung?

, von  Roberto Castaldi, übersetzt von Stephan Raab

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Was verkörpert die europäische Wende der neuen italienischen Regierung?
Fotoquelle: Governo.it/ Presidenza del Consiglio dei Ministri / CC-BY-NC-SA 3.0 IT

Die wohl offensichtlichste Veränderung und der größte Bruch der neuen Regierung Conte II mit der von ihm geführten ersten Regierung, ist ihre Wendung hin zu einer pro-europäischen Politik. Einige der Beispiele hierfür sind die Wahl von Gualtieri für das Wirtschaftsministerium, Amendola als Minister für Europapolitik, sowie die Nominierung von Gentiloni als Italiens Vertreter in der Kommission. Das alles untermauert die These, dass der eigentliche Kern der italienischen Krise die internationale Positionierung des Landes selbst war.

Viel wurde in den italienischen Medien Gualtieri detailliert vorgestellt, ohne jedoch durchblicken zu lassen, dass er sich einst der Spinelli Gruppe angeschlossen hatte, jenem losen Verbund von Abgeordneten und bedeutenden Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft, der es zum Ziel hat, die europäische Integration voranzutreiben. Auch deshalb ist davon auszugehen, dass Gualtieri erneut die Gedanken einer Eurozonen-Reform anstoßen wird, wobei er hier auf die von den Vorgänger-Regierungen Renzi und Gentiloni mit Padoan und Gozi ausgearbeiteten Vorschläge zurückgreifen könnte. Weiterhin steht der Regierung auch Marco Piantini, Berater für Europaangelegenheiten, zunächst unter Präsident Napolitano, später auch unter Renzi, als einer der renommiertesten italienischen Experten zu Europa zur Verfügung.

Europapolitik – das ist wo Italiens neue Regierung klare Konvergenzen mit den Regierungen in Frankreich, Spanien und Portugal offenbart. Dies würde eine Wiederaufnahme der italienischen Initiative für eine tiefere Integration in Europa erlauben, gestützt einerseits durch Gentiloni (welcher für diesen Bereich in der Kommission verantwortlich sein wird), sowie anderseits gefördert durch die besondere Lage Deutschlands, welche sich nur schwer den Vorschlägen einer von Deutschland geführten europäischen Kommission verweigern können dürfte.

Darüber hinaus wird Innenministerin Luciana Lamorgese ankündigen, dass sich Italien bereit erklärt, einer Reform des Dublin-Abkommen zuzustimmen, wie es dies bereits das europäische Parlament getan hat. Hierzu müsste die Kommission das Heft in die Hand nehmen und die Reformen in der Art anstoßen, dass sie im Rat die Unterstützung einer qualifizierten Mehrheit finden. Bisher haben sich dem vor allem die Visegrad-Staaten, zusammen mit Österreich und der schwarz-gelben Regierung Italiens verweigert. Ohne Italien wird es nicht möglich sein, 35% der Bevölkerung zu vertreten, um eine Sperrminorität aufzubauen. Eine Reform des Dublinsystems wäre ein Meilenstein für die neue Regierung, insbesondere auch zur Abgrenzung zu Salvinis Rhetorik. Ein weiterer wichtiger Bereich könnte zusätzlich die Neuausrichtung der italienischen Verteidigungspolitik sein, wo Guerini die Beteiligung Italiens an verschiedenen Projekten der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit sicherstellen wird, damit auch dieses Feld einen neuen Schwung erleben kann.

Aber auch auf die Wirtschaft wird die neue Regierung Italiens schauen müssen, insbesondere die Industriepolitik. Mit dem richtigen Ansatz wird sich dies auch in das Gesamtbild einer verstärkten europäischen Integration fügen, alles mit dem Ziel, eine bessere gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik anzustreben. Denn, auch das wird die italienische Regierung beachten müssen, können nationale Alleingänge nicht mehr den Anforderungen an eine immer turbulentere Welt, und ansteigenden Spannungen und Bedrohungen rund um Europa, gerecht werden.

Im Hinblick auf die Einführung eines verpflichtenden Staatskundeunterrichts - auch wenn die Durchsetzung sich um ein Jahr verzögern wird - ist es essenziell sicherzustellen, dass diese auch eine europäische Komponente enthalten wird, um eine aktive bürgerliche Beteiligung auf allen Ebenen zu fördern. Aus diesem Grund werden das Ministerium für Unterricht, Universitäten und Forschung (MIUR) und Amendolas zugehöriges Europaressort das Koordinierungs-Abkommen mit der europäischen Kommission und dem EP neu auflegen. Ziel ist es, auf Basis von bereits umgesetzten Pilotprojekten ein Weiterbildungsangebot für Lehrkräfte zu schaffen, welche bisher über keine oder kaum Kenntnisse der europäischen Ebene verfügen. Zudem könnte, so eine der vielzähligen Optionen, jedes durch EU-Mittel geförderte Bildungsprogramm um ein Mini-Modul zu Europafragen ergänzt werden, um den Mindeststandard zu Wissen über die Europäische Union und ihrer Institutionen anzuheben. (Dies könnte zudem auch online und zentralisiert geschehen, um Kosten zu sparen). Mit Hilfe solcher Angebote soll Wissen über die EU geschaffen werden, welches auch auf Menschen außerhalb von Universitäten und höheren Bildungswegen zugeschnitten sein kann. Denn bisher, so verdeutlichen es die Umfragen des Eurobarometers, gibt es hierzu noch zu geringe Kenntnisse innerhalb der italienischen Gesellschaft.

Ein wichtiges politisches Signal wird aus dem Palazzo Chigi, also dem neuen und alten Amtssitz von Conte, kommen. Bereits unter der Regierung Gentiloni wurde eine Arbeitsgruppe damit beauftragt ein neues Abkommen zur Förderung der europäischen Integration zwischen Frankreich und Italien zu schließen. Ähnlich wie das deutsch-französische Freundschaftsabkommen könnte dies Dynamiken zur Reform der Union unterstützen.

Doch die Zeit drängt. Das Fenster für eine große und umfangreiche Reform der Union scheint greifbar nahe, mit einer deutschen Kommissionspräsidentin, einer französischen EZB-Präsidentin und einem italienischen Parlamentspräsidenten, einer europafreundlichen Regierung in Deutschland, Frankreich und jetzt auch in Italien, welche sich alle gegen eine anti-europäische und nationalistische Opposition zur Wehr setzen müssen. Da die nächsten Wahlen in diesen Ländern erst in einigen Jahren bevorstehen, ermöglicht dies Italien eine Verschnaufpause einzulegen, alte Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen, etwas was die vorhergehende Regierung verspielt hatte, und eine entscheidende Rolle in der Frage zur Zukunft Europas zu spielen. All dies muss sich 2020 ereignen, um einen Reformprozess der Verträge anzustoßen, damit man es schafft 2021 oder 2022 mit der Ratifizierung abschließen zu können. Genau dies hat der Movimento Federalista Europeo in einer Stellungnahme kürzlich vorgeschlagen: Weil dies genau der richtige Zeitpunkt für proeuropäische Regierungen und politische Kräfte ist, die Europäische Union neu zu beleben, um den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden, sowie dem Nationalismus entschieden entgegenzustehen.

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