Manfred Weber für die Europäische Volkspartei (EVP)
Weber ist Teil der bayerischen Mitte-rechts-Partei CSU, die sich im konservativen Flügel der EVP verortet. Mit drei Amtszeiten im Europäischen Parlament sind seine europapolitischen Erfahrungen weitgreifend, auf nationalstaatlicher Ebene spielte er bisher jedoch weder in Bayern noch in Berlin eine wichtige Rolle innerhalb einer Regierung. So könnte man argumentieren, dass Weber aufgrund seiner geringen Bekanntheit außerhalb von Brüssel kaum einen Draht zu den europäischen Bürger*innen hat.
Webers politische Agenda konzentriert sich auf eine stärkere Kontrolle der Außengrenzen, die Eindämmung illegaler Einwanderung und das Wiederherstellen der Verbindung Europas zu seinen Bürger*innen. Wie seine nicht konfrontative Haltung gegenüber dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán bewertet wird, ist eine Frage des politischen Blickwinkels. In jedem Fall dürften ihm sein Profil als ruhiger Schlichter und das Aussparen kontroverser Themen wie Sparpolitik einige Stimmen einbringen. Andererseits hat ihn auch das Vermeiden der großen Debatten bisher nicht davon abgehalten, einige umstrittene Bemerkungen, zum Beispiel zum Thema Leitkultur, über Twitter zu verbreiten.
Europe Elects prognostiziert, dass die EVP bei den bevorstehenden Europawahlen 172 von 705 Sitzen erhalten wird.
Frans Timmermans für S&D
Frans Timmermans ist Mitglied der niederländischen Partei der Arbeit und derzeit erster Vizepräsident der Europäischen Kommission. Von 2012 bis 2014 war er in den Niederlanden Außenminister und von 2007 bis 2010 Staatssekretär für europäische Angelegenheiten. Timmermans ist ein Befürworter der Wohlfahrt und wird als Verfechter der Rechtsstaatlichkeit bezeichnet. Neben seinen hoch gelobten rhetorischen Fähigkeiten spricht er sieben Sprachen fließend.
Während seiner Zeit als Kommissar mit der Zuständigkeit für einer bessere Rechtsetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und die Charta der Grundrechte hat sich Timmermans häufig gegen die aktuellen Ereignisse in Ländern wie Ungarn positioniert, wo Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie selbst in Gefahr sind. Während sein Eintreten für die vier Grundfreiheiten unter Pro-Europäern Anerkennung findet, hat er ihm unter den Regierungen der Visegrád-Staaten und Rumäniens Konflikte eingebracht.
Laut der Prognose von Europe Elects würden S&D 136 Sitze im Europäischen Parlament bekommen.
Ska Keller und Bas Eickhout für die Europäischen Grünen
Ende November haben die Grünen ihre beiden Spitzenkandidat*innen Ska Keller und Bas Eickhout gewählt.
Ska Keller ist Mitglied der deutschen Partei Bündnis 90/ Die Grünen. Ihr Parteibeitritt im Jahr 2002 markiert den offiziellen Beginn ihrer politischen Karriere. Kellers politisches Engagement reicht jedoch bis in ihre Teenagerjahre zurück, als sie Anti-Neo-Nazi Proteste in ihrer Heimatstadt organisierte.
Keller ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments und hatte seit ihrem Parteibeitritt verschiedene Führungspositionen innerhalb der nationalen Partei inne. Allerdings wird diese Erfahrung für die Position der Präsidentin der Europäischen Kommission wohl kaum als ausreichend gelten.
Ska Keller hat ihre politische Agenda als pro EU und pro Wandel bezeichnet. Ihr Fokus liegt auf der Bekämpfung von Populismus, der Förderung ökologischer Maßnahmen, dem Erreichen eines sozialen Mindeststandards in allen EU-Ländern und der Verteidigung der grundlegenden europäischen Werte.
Bas Eickhout ist der andere Spitzenkandidat der Grünen und Teil der holländischen GroenLinks-Partei. Im Gegensatz zu den anderen Kandidaten ist Eickhout eher ein Technokrat als ein Politiker. Er ist seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments und hat das GroenLinks-Wahlprogramm für die Europawahlen 2004, 2009 und 2014 sowie die niederländischen Wahlen 2010 und 2012 mitverfasst. Seine Erfahrungen liegen im Bereich Umweltpolitik und -forschung.
Bezogen auf seine politische Agenda nannte Bas Eickhout gegenüber Euractiv die Ökologisierung der Wirtschaft und die Reform der europäischen Sozialagenda als seine obersten Prioritäten. Er erklärte auch, nicht in die Falle geraten zu wollen, sich auf eine Haltung für oder gegen die EU festzulegen. Die Verteidigung der EU in ihrer derzeitigen Gestalt sei schließlich nicht die einzige politische Option.
Europe Elects prognostiziert im nächsten Europäischen Parlament 45 Sitze für die Grünen.
Jan Zahradil für die europäischen Konservativen und Reformisten
Der Tscheche Jan Zahradil ist seit 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments und derzeit Präsident der 2009 gegründeten Allianz der Konservativen und Reformer in Europa. Von 1998 bis 2004 war er Mitglied des tschechischen Parlaments. Zahradils politische Heimat ist auf nationaler Ebene die Demokratische Bürgerpartei (Občanská demokratická strana - ODS).
Zahradil ist ein starker Fürsprecher der Visegrád-Gruppe und einer Union verschiedener Geschwindigkeiten mit der Freiheit der Mitgliedstaaten, ihre eigene außenpolitische Agenda zu verfolgen.
Seine Prioritäten im Rennen der Europawahl sind die Überprüfung der Legislative der EU, die Etablierung der EU im Welthandel und die Anpassung der EU-Ausgaben für den Schutz der Außengrenzen. In einem Interview mit Euractiv sagte er, es sei an der Zeit für eine andere, konservative Sichtweise mit dem Erfahrungshintergrund eines neuen Mitgliedstaats.
Die Prognose von Europe Elects deutet bei den bevorstehenden Europawahlen auf 54 Sitze für die ECR-Gruppe hin.
ALDE, derzeit die viertgrößte Partei im Parlament, hat niemanden nominiert, und stellt sich damit gegen das System der Spitzenkandidaten. Andere Gruppen, die derzeit Sitze im Europäischen Parlament einnehmen und ebenfalls bisher auf offizielle Nominierungen verzichtet haben, sind GUE / NGL und EFDD.
Jede*r Kandidat*in hat seine eigenen Facetten. Das Aufstellen von Spitzenkandidat*innen hilft dabei, den Menschen bei Europawahlen die unterschiedlichen Optionen aufzuzeigen. Im gegenwärtigen politischen Klima steht diesmal möglicherweise ein anderer Aspekt im Vordergrund: Statt der Frage „Wen wählen Sie?“ lautet die Entscheidung „Welches Europa wählen Sie?“.
1. Am 21. März 2019 um 11:50, von Martina Als Antwort Weber, Timmermans, Keller & Eickhout, Zahradil: Spitzenkandidat*innen im Überblick
Der Artikel hat mir sehr gut gefallen. Er eignet sich gut für einen ersten Einstieg in die Materie. Ich bin eine - in vermutlich normalem Umfang - uninformierte EU-Bürgerin und mir hat diese kurze aber sehr informative Aufbereitung sehr geholfen. Da ich mir beim Lesen Notizen gemacht habe, fiel mir auf, dass bei der Aufzählung der Fraktionen die viertgrößte Fraktion vor der Drittgrößten dargestellt wird. Das hat mich irritiert und mein Exzerpt ist jetzt auch verkehrt hinsichtlich der Reihenfolge. Falls dieser Effekt nicht beabsichtigt war, empfehle ich die Absätze zu tauschen. Der Nebeneffekt der etwas zweifelhaft erscheinenenden Objektivität (Grüne vor Rechts gewichtet??) wäre bei durchgehender Abfolge nach Fraktionsgröße nicht mehr gegeben.
LG aus Potsdam/Brandenburg
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