Liebe Menschen dieser Erde,
„Weltschmerz“ bezeichnet laut Duden das Leiden, das wir empfinden, wenn zwischen eigenen Erwartungen an die Welt und den tatsächlichen Geschehnissen eine zu große Lücke entsteht. Seitdem ich mich mit aktueller Politik beschäftige, glaube ich, diese Definition zu verstehen. Ein Blick in die täglichen Nachrichten offenbart die Grausamkeit von Kriegen, Hunger und Tod.
Seit einiger Zeit löst auch der Klimawandel diesen Weltschmerz in mir aus. Nicht nur ich, sondern vor allem Wissenschaftler*innen sagen, dass die Notlage eindeutig zu erkennen sei – und doch handeln Entscheidungsträger*innen nicht. Ich fühle mich ohnmächtig der Herausforderung gegenüber, den Klimawandel aufzuhalten: Es tut weh, die Folgen zu kennen und nichts dagegen tun zu können.
Wir befinden uns im sechsten Massensterben der Erdgeschichte. Es gab also bereits fünf davor. In weniger als 50 Jahren werden wir eine Erderwärmung erreichen, die so viele Kettenreaktionen auslösen könnte, dass die Menschheit auf diesem Planeten über kurz oder lang nicht mehr überlebensfähig wäre. Es würden zahlreiche Kriege ausbrechen, Menschen würden massenhaft aus nicht länger bewohnbaren Lebensräumen fliehen. Wir würden die Natur zerstören und eine schier unbegreifliche Zahl von Tierarten mit uns reißen. An diesem Klimawandel sind wir schuld. Nicht jedes Individuum, aber die Menschheit in ihrer Gesamtheit.
Last der Verantwortung
Es ist schwierig, sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinanderzusetzen. Wir wollen nicht daran denken, dass unser Leben früher oder später ein Ende finden wird, weil wir nicht wissen, was darauf folgt: Ein großes schwarzes Nichts ist wenig attraktiv. Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass wir uns noch weniger mit dem Tod der gesamten Menschheit befassen möchten. Die Wissenschaft ist sich einig, dass ein „weiter machen wie bisher“ früher oder später jedoch genau dazu führen würde. Wir sind die letzte Generation, die die Katastrophe noch aufhalten kann. Die Entscheidungsträger*innen dieser Welt handeln jedoch nicht.
Ich glaube weder, dass sie grausam sind, noch dass ihnen die Menschheit egal ist. Viel mehr glaube ich, dass sie die tatsächliche Gefahr nicht wahrhaben möchten, weil die Faktenlage zu erschreckend ist. Durch die Klimakrise sind Politiker*innen mit einer Verantwortung konfrontiert, die so noch nie dagewesen ist. Ich glaube aber, dass sie nicht über das Leben der gesamten menschlichen Art entscheiden möchten – und doch tun sie es durch ihre Passivität.
Unsere Politiker*innen werden für eine festgesetzte Zeit gewählt, haben für diese ein Wahlprogramm und versuchen in ihrer Amtszeit ihr Bestes, um anschließend erneut gewählt zu werden. Sprechen wir von Politik, welche die Klimakrise abwenden soll, müssen sie umdenken: Die Herausforderungen dieser Zeit denken nicht in Wahlkämpfen. Sie fordern Lösungen, die weit über ihre Amtszeiten hinausgehen. Und sie fordern Lösungen, in denen alle Menschen mitgedacht werden – abseits ihrer Stammwähler*innen und abseits nationaler Grenzen. Eine CO2-Steuer auf sämtliche Produkte klingt beispielsweise erstmal sinnvoll. Zugleich muss sie durch Finanzierungsmöglichkeiten für Menschen, die schon jetzt am Existenzminimum leben, ergänzt werden. Genau wie national überlegt werden muss, wie eine Klimapolitik funktionieren kann, die Ungleichheit unter den Bürger*innen nicht verstärkt, müssen außerdem international Maßnahmen gesucht werden, um diejenigen zu entschädigen, die schon jetzt ebenso wie in der Zukunft aufgrund der Klimakrise aus ihrer Heimat fliehen müssen. Wasser und einfache Lebensmittel sind in manchen Regionen schon (oder jetzt noch) eine Knappheit: Durch den fortschreitenden Klimawandel werden sich Wüstenregionen enorm ausbreiten und in den meisten Gebieten der Welt wird Lebensmittelanbau nicht mehr möglich sein.
Wir müssen jetzt handeln
Wird die Politik aber weiterhin die Stimmen der Zivilbevölkerung ebenso wie – das muss ganz klar betont werden – die Stimmen der Wissenschaft ignorieren, wird die Diskrepanz zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und politischem Handeln zu groß werden. In der Bevölkerung wird ein Gefühl der Ohnmacht einsetzen: Dass die Politiker*innen nicht reagieren, rückt eine Lösung der Krise in noch weitere Ferne und macht Hoffnungen zunichte. Ein solches Gefühl von mangelnder Handlungsfähigkeit kann sich langfristig in Gewalt ausdrücken - insbesondere, wenn die Politik so lange taub bleibt, bis die Klimakatastrophe Menschen ihren Lebensraum und ihre Nahrungsmittel nimmt. Eins ist klar: Die Klimakrise wird Kriege verursachen, denn niemand wird einfach zusehen, wie die eigene Familie verhungert. Langfristig wird sie Tote fordern.
Und doch gebe ich nicht auf. Resignation wird irgendwann zu einem normalen Gefühl. Solange es noch Hoffnung gibt - und die gibt es - werde ich kämpfen. So schockierend die Faktenlage auch sein mag: Die Wissenschaft ist sich sicher, dass wir die Klimakrise noch in den Griff bekommen können. Diese Kämpfe kann jedoch niemand allein ausfechten. Daher meine Bitte: Kämpft mit! Kämpft für das, was euch wichtig ist! Jeder noch so kleine Beitrag hilft. Es geht nicht um einzelne perfekte Menschen, die wir dann mit Preisen überhäufen können. Es geht um ein kollektives Kämpfen für das Leben an sich. Wir können uns gegenseitig aus der Resignation befreien, um weiterzukämpfen, wenn das Leid zu unerträglich scheint. Gemeinsam können wir die Katastrophe noch aufhalten.
Hochachtungsvoll
Stefanie Neufeld
Im Themenschwerpunkt „Klima & Nachhaltigkeit“ erschienene Artikel:
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