Weltweit größte Flüchtlingskrise weiterhin ohne internationale Beobachter

, von  Rosanna Martens

Weltweit größte Flüchtlingskrise weiterhin ohne internationale Beobachter
Flüchtlingscamp im Rakhine-Staat, Myanmar: Die Lage spitzt sich zu. Foto: Foreign and Commonwealth Office / Flickr / CC BY 2.0

Fast eine Million Rohingya sind in diesem Jahr aus Myanmar geflüchtet. Die dortige Situation gerät zunehmend außer Kontrolle. Während Vertreter der UN bereits von ethnischen Säuberungen sprechen, sind noch immer keine internationalen Beobachter im Rakhine-Staat an der Westküste Myanmars vor Ort. Die EU hat kürzlich ihre finanziellen Hilfen für die Region auf 51 Millionen Euro aufgestockt, doch welche konkrete Strategie verfolgt sie, um die Rohingya in Myanmar vor weiteren Übergriffen der Armee zu schützen?

Allein zwischen August und Oktober 2017 sind 530.000 Menschen von Myanmar nach Bangladesch geflüchtet. Ihre Dörfer wurden zerstört und viele Familienmitglieder getötet. Die meisten Geflüchteten sind Frauen und Kinder, viele davon Waisen oder Halbweisen. Alle 1,5 Millionen Rohingya sind staatenlos.

Doch während der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan die Angriffe auf Rohingya als „ethnische Säuberungen wie aus dem Lehrbuch“ bezeichnet und Nichtregierungsorganisationen das Geschehen bereits als Genozid charakterisieren, schaut die Regierung Myanmars unter der Führung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi tatenlos zu. Die Einfuhr von Hilfslieferungen sowie internationalen Beobachtern wird nach wie vor verhindert.

Rohingya sind in Myanmar nicht als Minderheit anerkannt

Das Wort Rohingya wird auch von der neuen Regierung, die sich seit 2016 für den Demokratisierungsprozess und für die Interessen der Minderheiten im Land einsetzen möchte, nicht ausgesprochen. Sie werden offiziell als Bengalen bezeichnet, weil sie nicht nachweisen konnten, dass ihre Vorfahren bereits vor der Zeit der britischen Kolonialisierung auf dem heutigen Gebiet der Rakhine-Region an der Westküste Myanmars lebten. Die Region ist aktuell die ärmste in Myanmar und seit Jahrzehnten werden die von der Wirtschaftskrise betroffenen Bevölkerungsteile gegeneinander aufgehetzt.

Antimuslimische Propaganda wird weder öffentlich verurteilt noch geahndet. Problematisch hierbei ist insbesondere die religiöse Begründung der Attacken der von buddhistischen Mönchen geleiteten „Ma Ba Tha“-Bewegung („Organisation zum Schutz von Rasse und Religion“), welche Angst vor der Errichtung eines muslimischen Kalifats in Myanmar schürt und dies mit dem Kinderreichtum muslimischer Familien begründet. Forderungen wie „Kauft nicht bei Muslimen!“ bestimmen ihren Populismus. Ashin Wirathu, der Anführer der „Ma Ba Tha“ wird auch als „buddhistischer Bin Laden“ bezeichnet. In Staatsmedien und sozialen Netzwerken wird vor „extremistischen Terroristen“ gewarnt, die einen „Islamischen Staat“ aufbauen wollen. Die Mehrheit der Bevölkerung Myanmars ist buddhistisch und hat sich dieser ultranationalistischen Bewegung angeschlossen. Vom Dalai Lama wurden diese Mönche jedoch heftig kritisiert: „Buddha steht auf Seiten der Muslime, die jetzt von Buddhisten angegriffen werden.“

Der Konflikt zwischen Buddhisten und Muslimen in Myanmar

Der Konflikt zwischen Rohingya und der buddhistischen Mehrheitsbevölkerung dauert bereits mehr als 50 Jahre an. Nachdem das damalige Burma 1948 die Unabhängigkeit von Großbritannien zurückerlangt hatte, übernahm das Militär 1962 die Macht und schloss bald darauf die Rohingya von der allgemeinen Wahl aus. Als die burmesische Armee 1978 gegen illegale Ausländer mit massiver Gewalt vorgeht, flüchten erstmals 200.000 Rohingya nach Bangladesch. Über 10.000 von ihnen sterben in den folgenden Monaten an Unterernährung und dem Mangel an sauberem Trinkwasser. Um die politische und soziale Ausgrenzung juristisch zu legitimieren, tritt ab 1982 das so genannte „Staatsbürgerschaftsgesetz“ in Kraft, welches die Rohingya nicht als eine der 135 ethnischen Gruppen in Burma anerkennt und von der Staatsangehörigkeit ausschließt.

1989 wurde schließlich Burma in Myanmar umgetauft und das 1785 von Burma eroberte Gebiet Arkan wurde zur Rakhine-Region, benannt nach der buddhistischen Rakhine-Bevölkerung, die im gleichen Gebiet lebt wie die Rohingya. Zwei Jahre später flüchten erneut 260.000 Rohingya vor der militärischen Gewalt gegen Muslime im Rahmen der „Operation für eine saubere und schöne Nation“. In den umliegenden Staaten Bangladesch, Indonesien, Malaysia und Thailand erhalten jedoch nur die wenigsten Asyl. Viele werden mit Zwangsrückführungen zurück nach Myanmar abgeschoben.

Seit 1994 sind in der Rakhine-Region Hilfsorganisationen hauptverantwortlich für die medizinische und gesundheitliche Versorgung, da der Staat wenig in die Region investiert hat. Dies hat die Folge, dass aktuell 710.000 Personen von nur fünf Ärzten versorgt werden müssen, und schlägt sich auch in der hohen Kindersterblichkeit nieder. Dadurch, dass Kindern der Rohingya der Unterricht in öffentlichen Schulen verwehrt wird, herrscht unter ihnen eine Analphabetenquote von 80%.

Als 2012 bis 2013 Angriffe durch buddhistische Mönche zunehmen, befinden sich 180.000 Binnenflüchtlinge in Myanmar. 36.000 Rohingya mussten jedoch in ihren von feindlichen Siedlungen umgebenen Dörfern ausharren. Hilfsorganisationen wurde damals der Zugang versperrt. Seitdem 2014 auch Hilfskonvois durch buddhistische Gruppen angegriffen wurden, hat die Regierung Myanmars allen Hilfsorganisationen und internationalen Beobachtern den Zutritt zur Rakhine-Region untersagt. Als Ende September diesen Jahres erstmals wieder eine Reise von UN-Vertretern geplant war, wurde diese ohne Angabe von Gründen kurzfristig abgesagt.

Mit der Ausweitung des „Gesetzes zum Schutz von Rasse und Religion“ 2015 sind Rohingya in ihrem Alltag stark eingeschränkt: sie dürfen sich nicht frei außerhalb ihres Dorfes bewegen und müssen Zwangsarbeit verrichten. Interreligiöse Ehen, sowie mehr als zwei Kinder pro Paar sind Rohingyas verboten und werden mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet. Von der Wahl 2016, welche von der Partei Suu Kyis gewonnen wurde, sind Rohingya ausgeschlossen gewesen. Insgesamt haben zwischen 2012 und 2016 bereits 90.000 Rohingya überwiegend per Boot ihr Land verlassen und befinden sich mehrheitlich in stark überlasteten Flüchtlingscamps im südlichen Bangladesch. Viele wurden während der Flucht aber auch durch Menschenschmuggler getötet, als Sklaven verkauft, oder haben die tagelange, beschwerliche Reise durch den Dschungel nach Bangladesch nicht überlebt. Als im Oktober 2016 die Rebellenorganisation der Rohingya (ARSA) Grenzpolizisten an der Grenze zu Bangladesch angreift und tötet, nimmt sich die burmesische Armee das zum Anlass, um noch härter durchzugreifen und dieDörfer der Rohingya systematisch zu zerstören und ihre Bewohner zu töten.

Seit 2011 ist der für die militärischen Überfälle verantwortliche Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing im Amt und galt bis zuletzt als Hoffnungsträger der Demokratisierung Myanmars. Noch im April 2017 wurde er wurde er während einer Europareiseim Auswärtigen Amt in Berlin empfangen.

EU bewirkt Abkommen zur Rückführung geflüchteter Rohingya

Suu Kyi möchte die Fronten zwischen der Regierung und dem Militär nicht weiter verhärten lassen oder die Bevölkerung gegen sich aufbringen und ist daher nicht bereit, sich für die Rohingya als unbeliebteste Bevölkerungsgruppe Myanmars einzusetzen. Auf Druck der Europäischen Union kam Ende November dennoch eine Annäherung und ein Abkommen zwischen Myanmar und Bangladesch zustande, das Ende Januar 2018 in Kraft tritt. Demnach soll 620.000 geflüchteten Rohingya eine freiwillige Rückführung nach Myanmar ermöglicht werden, wenn diese den Nachweis erbringen, dass sie aus Myanmar kommen.

Die Umsetzung erweist sich jedoch als schwierig, da vielen Rohingya dieser Nachweis aufgrund der fehlenden Staatsangehörigkeit fehlt, ihre Dörfer in der Rakhine-Region zerstört und niedergebrannt sind und auch die Muslimfeindlichkeit in der Gesellschaft und den Staatsmedien nicht zurückgegangen ist. Internationalen Organisationen ist eine Begleitung der Rückführungen bisher nicht erlaubt. Einer freiwilligen, würdevollen und sicheren Rückkehr stehen somit noch einige Hürden im Wege. Diese gilt als unwahrscheinlich, solange über die Staatsbürgerschaft für Rohingya nicht ernsthaft diskutiert wird und ihnen keine menschenwürdigen Lebensbedingungen und Rechtsgleichheit geschaffen werden.

Myanmars Regierung hat 2016 eine Kommission aus sieben burmesischen und zwei europäischen Vertretern aus Wissenschaft und Politik unter der Leitung von Kofi Annan einberufen, um die Gesellschaft an der Westküste Myanmars zu untersuchen und Lösungsvorschläge für den regionalen Konflikt zwischen Muslimen und Buddhisten zu entwickeln. Diese Kommission legte nach 12 Monaten im August 2017 ihren Bericht vor, indem das Wort Rohingya nicht erwähnt wird. Myanmar, die EU und viele weitere internationale Akteure berufen sich seitdem auf diesen Bericht. Spätestens seit September 2017 hat sich die Lage im Land jedoch deutlich verschärft und Suu Kyi hat auf internationaler Ebene ihre Glaubwürdigkeit als Friedensnobelpreisträgerin größtenteils verloren.

Allein zwischen dem 24. August und dem 25. September 2017 sind mindestens 6700 Angehörige der muslimischen Minderheit getötet worden. Das berichtet die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Unter den Getöteten seien mindestens 730 Kinder unter fünf Jahren.

Von der internationalen Staatengemeinschaft wird die Regierung im Allgemeinen scharf kritisiert. Ein härteres Durchgreifen gegen die nicht demokratisch legitimierte burmesische Armee wird vermehrt gefordert.

Internationale Gemeinschaft unterstützt Hilfslieferungen mit 340 Millionen Euro

Als die EU im Oktober eine internationale Geldgeberkonferenz in Genf einberuft, kommen insgesamt 340 Millionen Euro zusammen. Die EU selbst wird ihre bisherigen Hilfen von 21 Millionen auf weitere 30 Millionen Euro aufstocken. Deutschland spendet weitere 60 Millionen Euro. Die Länder der Europäischen Union sind insgesamt mit Abstand der größte Spender für humanitäre Hilfen für die Rohingya.

Die EU möchte die Regierung in Myanmar weiterhin in ihrem Demokratisierungsprozess und in der Entwicklungshilfe unterstützen. Dabei sollen auch das UN-Flüchtlingshilfswerk und verschiedene Nichtregierungsorganisationen an Einfluss gewinnen. Die Vertreter der Europäischen Union möchten trotz der schlechten Menschenrechtslage die Verhandlungen um ein bilaterales Investitionsschutzabkommen mit Myanmar möglichst bald fortführen um wirtschaftliche Interessen im erdölreichen südostasiatischen Staat zu stärken. Dies ist ein Grund, weshalb die EU noch keine gemeinsame Erklärung zur Rohingya Flüchtlingskrise abgegeben hat. Wirtschaftssanktionen gegen Myanmar, beispielsweise in der Textilindustrie, sind bisher nicht vorgesehen.

Die Situation in den Flüchtlingscamps innerhalb und außerhalb Myanmars wird währenddessen zunehmend dramatischer. Viele Camps sind nicht auf eine so stark wachsende Bewohnerzahl ausgelegt. Ganze Großstädte entstehen ohne ausreichend sanitäre Anlagen und fester Wohngebäude. Es fehlen die notwendigen medizinischen Einrichtungen, um die große Zahl erschöpfter und traumatisierter Personen ausreichend zu versorgen. Weil die finanziellen Mittel internationaler Hilfslieferungen nur bis Februar 2018 ausreichen, werden auch Nahrungsmittellieferungen knapp.

Jeder siebte Staatenlose weltweit ist ein Rohingya. Einen anerkannten UN-Flüchtlingsstatus haben allerdings nur 87.000 von ihnen. Es bleibt abzuwarten, wie das geplante Rückführungsabkommen zwischen Bangladesch und Myanmar durchgeführt wird. Die Vereinten Nationen, sowie die Europäische Union werden sich für eine nachhaltige, sichere und menschenwürdige Rückführung stark machen. Ein erster Schritt um die Situation und die Faktenlage zu kontrollieren, ist die Genehmigung der Einreise internationaler Beobachter.

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