Alle sechs Regierungschefs der Westbalkan-Staaten lud EU-Außenbeauftragte Mogherini gestern zum Abendessen nach Brüssel. Erst am Montag hatte die Kommission erklärt, wer auf dem Stuhl Mazedoniens Platz nehmen würde: Zoran Zaev wurde als „designierter Premierminister“ zu dem Treffen eingeladen.
Internationale Anerkennung kann Zaev nur nützen, wenn er mit der Regierungsbildung in Mazedonien vorankommen will. Die Anerkennung durch Staatspräsident Ivanov erfolgte am 17.05.17. Zuvor hatte sich Ivanov fast sechs Monate geweigert, Zoran Zaev das Mandat für eine Koalitionsregierung zu erteilen. Ivanov begründete seine Weigerung damit, dass die Beteiligung albanischer Parteien eine Bedrohung für die Souveränität des Landes darstelle. Damit handelte Ivanov im Interesse des scheidenden Regierungschefs Gruevski, der sich trotz gescheiterter Koalitionsverhandlungen im Amt bestätigt sah. Anfang Mai eskalierte der Machtkampf als Schläger in das Parlament eindrangen und Abgeordnete angriffen. Auch Zaev erlitt dabei eine Platzwunde am Kopf.
Im September wurden auf einen Vermittlungsversuch der Europäischen Union hin vorgezogene Neuwahlen in Mazedonien abgehalten. Vorangegangen waren landesweite Proteste gegen die Regierung Gruevski in der Folge eines Abhörskandals bei dem 20.000 Menschen abgehört wurden.
Die konservative Partei VMRO-DPMNE von Amtsinhaber Gruevski errang 51 Sitze. Die sozialdemokratische Partei SMDS von Zoran Zaev kam auf 49 Mandate. Für die Regierungsbildung entscheidend ist damit als drittstärkste Kraft die Demokratischen Union für Integration (DUI) mit 10 Sitzen. Sie vertritt neben kleineren Parteien die Albaner, die 25 Prozent der rund 2 Millionen zählenden Bevölkerung Mazedoniens ausmachen. Besonders im Osten des Landes, an der Grenze zum Kosovo und Albanien ist der Anteil der albanisch-muslimischen Bevölkerung groß.
Koalitionsverhandlungen zwischen der konservativen Partei VMRO-DPMNE Gruevskis und der DUI scheiterten an der Forderung Albanisch landesweit als zweite Amtssprache einzuführen. Durch das knappe Wahlergebnis sind die albanischen Parteien, die insgesamt 20 von 120 Sitzen errungen haben zu Königsmachern aufgestiegen. Eine Koalition zwischen den Sozialdemokraten und einer oder mehrerer albanischer Parteien hätte die erforderliche Mehrheit.
Mazedonien erlebte die Auflösung Jugoslawiens weniger blutig als andere Länder des Balkans. Im Frühjahr 2001 kam es zu Kampfhandlungen zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und der Terroreinheit UCK. Kämpfer aus dem bis 1999 andauernden Krieg im Kosovo beanspruchten die albanisch besiedelten Gebiete für sich. 200 Menschen starben, über 100.000 wurden vertrieben. Der unter Vemittlung der USA und der EU ausgehandelte Friedensvertrag von Ohrid sollte einen Ausgleich schaffen. Albanisch ist seitdem in manchen Regionen zweite Amtssprache.
Die Unzufriedenheit mit der Regierung Gruevski hatte sich bereits 2015 entladen. Mit Farbbeuteln bewarfen die Demonstranten Regierungsgebäude in der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Im Stil antiker Tempel sollten die Neubauten dem Selbstbewusstsein der mazedonischen Nation dienen, die sich immerhin in der Tradition des Weltreiches von Alexander dem Großen sieht. Wie groß die Kosten des aus Steuergeldern bezahlten Großprojekts „Skopje 2014“ waren, wurde von einer Koalition mazedonischer NGOs aufgedeckt: 560 Millionen statt der geplanten 80 Millionen Euro. Allein die Statue des antiken Alexanders mit Wasserspiel kostete 33 Millionen.
Rund 360 Euro netto verdienen Mazedonier im Schnitt. Auch im Vergleich zu anderen Balkanländern ein niedriger Wert. Wut über teure Prestigeprojekte und Korruption im öffentlichen Sektor befeuerte die anhaltenden Proteste gegen die Regierung Gruevski. Mit zusammengenähten albanischen und mazedonischen Fahnen symbolisierten die Demonstranten dabei den Zusammenhalt über ethnische Grenzen hinweg.
Hinter der Kritik an seiner Regierungsführung sah Amtsinhaber Gruevski eine von den USA und der EU gesteuerte Kampagne. Die Proteste aus der Zivilgesellschaft verdammte Gruevski als Projekt des US-Milliardärs Soros. Eine bekannte Kommunikationsstrategie der Rechten in Osteuropa, die NGOs und watchdogs zur Korruptionsbekämpfung verallgemeindernd mit Soros verbindet. Die Vorstellung hinter sämtlichen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten stehen die Umsturzpläne eines US-amerikanischen Milliardärs mit jüdischen Wurzeln bedient antisemitische Stereotype.
Auch die mazedonische Sektion der Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) wurde mit Verweis auf die „Desorosisierung Mazedoniens“ in ihrer Arbeit behindert. Die JEF Europe wurde 1972 gegründet, die mazedonische Sektion 1991.
Die Anerkennung von Albanisch als Amtssprache treibt derzeit viele ethnische Mazedonier auf die Straße. Eine Koalitionsregierung von Sozialdemokraten und albanischen Parteien wird sich Angriffen konservativer Mazedonier ausgesetzt sehen. Ethnische Spannungen sind auch in diesem Land des Westbalkans nicht auszuschließen.
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— Federica Mogherini (@FedericaMog) 24. Mai 2017
Vor den Gesprächen mit den Regierungschefs der Westbalkan-Länder sprach EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini von der „transformativen Kraft“ der EU-Beitrittsperspektive. Gemeint sind damit Fortschritte in der demokratischen Entwicklung des Landes im Sinne der Kopenhagener Kriterien, die die Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft, eines funktionierenden Rechtsstaats und der Bekämpfung von Korruption vorsehen. Deutlich wird, dass sich Mogherini auch ohne ein konkretes Datum für den EU-Beitritt Fortschritte in diesen Bereichen wünscht. Mazedonien ist seit 2005 offizieller Beitrittskandidat der EU.
Korrekturen:
In dem Artikel hieß es zuvor bezogen auf die Ernennung von Premierminister Zoran Zaev, dass die Anerkennung durch Staatspräsident Ivanov bisher ausblieb. Tatsächlich erteilte Staatspräsident Ivanov diesem am 17.05.17 das Mandat zur Bildung einer Koalitionsregierung.
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