Wie junge Erwachsene im Europarat Jugendpolitik machen

, von  Valentin Dreher

Wie junge Erwachsene im Europarat Jugendpolitik machen
Die Beteiligung junger Menschen spielt im Europarat eine große Rolle. Wikimedia Commons / Rosso Robot / Creative Commons BY-SA 4.0-Lizenz

Der Europarat ist die einzige europäische Organisation, in der junge Erwachsene in der Jugendpolitik mitentscheiden dürfen. Emilija Gagrčin und Sebastian Vogt vertreten im Jugendbeirat des Europarats die Interessen junger Menschen. Wie sind sie dort hingekommen? Und wie funktioniert ihre Arbeit?

Emilija Gagrčin ist Europäerin. Das sagt sie, ohne zu zögern.

Emilija hat ihre persönliche europäische Geschichte: Die gebürtige Serbin fing schon früh an, Deutsch zu lernen, nahm dann in der 10. Klasse an einem Austausch nach Deutschland teil. Eigentlich, so berichtet sie, sei das eine tolle Erfahrung gewesen, die dazu geführt habe, dass sie zwei Jahre später nach Berlin gezogen ist.

Aber eines habe sie gestört: “Ich habe in Diskussionen in Deutschland gemerkt, dass mich nicht jede*r als Europäerin betrachtet, weil ich einen serbischen Pass habe.” Das habe sie schockiert. Lange habe sie sich gefragt, was “Europa” eigentlich bedeutet, wer sich Europäer*in nennen darf.

Irgendwann ist sie zu einem Schluss gekommen: “Ich betrachte Europa nicht als Ort der Grenzen, sondern als einen Raum, in dem man sich über unsere gemeinsamen Werte einig ist: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.” Sie fügt hinzu: “Und ich arbeite daran, dass dieser Raum seine Werte immer mehr lebt.”



Emilija sitzt seit 2018 im Jugendbeirat. Dort vertritt sie heute unter anderem die Austauschorganisation AFS, die 2009 ihren Austausch nach Deutschland organisierte. Foto: privat


Der Ort, an dem Emilija Gagrčin für diese Werte einsteht, nennt sich “Advisory Council on Youth”, der Jugendbeirat des Europarates. Der Beirat besteht aus 20 Vertreter*innen von europäischen Jugendorganisationen, die vom Europäischen Jugendforum gewählt werden. Außerdem sitzen dort zehn Repräsentant*innen von kleineren, meist nationalen Jugendorganisationen, die etwa für die Belange von Minderheiten einstehen und so neue Perspektiven in den Beirat bringen.

Jede*r hat ein Stimmrecht

Einer ihrer Kolleg*innen ist Sebastian Vogt, der im Beirat das Deutsche Nationalkomitee für internationale Jugendarbeit repräsentiert. Für ihn liegt das Besondere am Jugendbeirat vor allem in einem Aspekt: dem sogenannten Co-Management-Prinzip. Das bedeutet: Wenn der Jugendbeirat zweimal im Jahr mit Ministerialbeamt*innen über Empfehlungen für die Jugendarbeit verhandelt, hat jede*r ein Stimmrecht. “Es ist eine unglaubliche Gleichberechtigung, wenn ich weiß, dass ich neben einem Ministerialbeamten sitze und das gleiche Stimmrecht habe”, sagt Sebastian.

Er glaubt, dass gerade diese Gleichberechtigung der Grund dafür ist, warum der Jugendbeirat bereits seit fast 50 Jahren besteht. “Junge Menschen müssen merken: Ihre Stimme hat einen Einfluss. Wenn ich nur für schöne Bilder einbezogen werde, mache ich halt was anderes. Aber wenn ich weiß, ich kann dort was bewegen, mache ich mit”, erklärt er. Als besondere Errungenschaft betrachtet er, dass der Jugendbeirat auch Einfluss auf die Verteilung des Budgets des Europäischen Jugendwerks hat. Die Stiftung des Europarates vergibt jedes Jahr 3,5 Millionen Euro an Jugendprojekte in den Mitgliedstaaten.

Auch Sebastian hat dort schon Gelder beantragt: Für einen Jugendverband in seiner Heimatstadt Schwalmstadt, einer kleinen Stadt in Hessen. “Ich kann das, was wir auf europäischer Ebene machen, hier in unseren Jugendhäusern direkt umsetzen und lokale Projekte vom Europäischen Jugendwerk fördern lassen”, berichtet er.



Der Jugendbeirat trifft regelmäßig Regierungsvertreter*innen, um mit ihnen Jugendpolitik zu beraten. Foto: Wikimedia Commons / Rosso Robot / Creative Commons BY-SA 4.0-Lizenz


Europa passiert vor Ort

Wenn man mit Sebastian Vogt spricht, merkt man, dass er ein heimatverbundener Mensch ist. Neben seinem Engagement auf europäischer Ebene macht er Lokalpolitik und Jugendarbeit in Schwalmstadt.

Er betrachtet seine lokale Verwurzelung als großen Vorteil: “Auf dieser europäischen Ebene schwebt man immer nur so oben drüber und hat keine Bodenhaftung. Aber durch das konkrete Wissen von vor Ort kann ich sagen, was gebraucht wird – vor allem im ländlichen Raum. Der ist nämlich in Strukturen wie dem Jugendbeirat immer unterrepräsentiert.”

Sebastian Vogts Fachgebiet im Jugendbeirat ist Youth Work. Ihm ist wichtig, dass man den englischen Begriff verwendet, denn er beschreibt neben der Jugendarbeit auch die Jugendsozialarbeit, verfolgt also einen breiteren Ansatz zur Unterstützung Jugendlicher.

Konkret kümmert Sebastian sich darum, dass der Jugendbeirat so arbeitet, dass die Ergebnisse vor Ort ankommen. “Youth Work passiert vor Ort – und die Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen werden, müssen vor Ort umgesetzt werden, und darauf ist unsere Arbeit letztendlich ausgelegt.”

Emilija und Sebastian sehen sich nicht als Politiker*innen, sondern als Repräsentant*innen junger Menschen in Europa. Für Sebastian bedeutet das in erster Linie, sich seiner eigenen Privilegien bewusst zu sein. “Wenn ich mir klar mache, dass ich ein weißer, männlicher, privilegierter Mensch bin, dann kann ich auch reflektiert damit umgehen, dass das nur meine eigene Perspektive ist und ich auch andere einbeziehen muss.”

Aus diesem Grund lädt der Jugendbeirat regelmäßig von aktuellen Themen direkt Betroffene zu sogenannten Konsultationen ein. So wollen dessen Mitglieder die Erfahrungen anderer sozialen Gruppen kennenlernen, zum Beispiel die junger geflüchteter Menschen. Darüber hinaus beteiligt sich der Jugendbeirat an Vernetzungstreffen wie der europaweiten European Youth Work Convention im Dezember. Bei der virtuellen Veranstaltung haben sich Youth Worker*innen, Wissenschaftler*innen und Politiker*innen vernetzt, Perspektiven ausgetauscht und gemeinsam Forderungen an die Politik gestellt.

Das Ziel ist eine Empfehlung des Ministerrats

Doch was passiert mit den Forderungen im Jugendbeirat? “Das ist ein sehr formalisierter Prozess.”, erklärt Emilija. Zuerst beraten die Mitglieder des Beirats untereinander darüber, wie man zu einem bestimmten Thema Anliegen der Jugend sinnvoll gesetzgeberisch umsetzen könnte. “Dann sagen wir: Jetzt ist es an der Zeit, eine Empfehlung für das Ministerkomitee zu schreiben”, sagt Emilija. Diese Dokumente werden dann in einem gemeinsamen Treffen mit Ministerialbeamten debattiert und bearbeitet.

“Am Ende wird unsere Empfehlung vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedet. Das bedeutet, dass die Empfehlung tauglich ist, Gesetzgebung in europäischen Ländern zu informieren.” Das sei eine große Errungenschaft, weil das Dokument dann keine Empfehlung des Jugendbeirates, sondern eine Empfehlung des Ministerkomitees an die Mitgliedsstaaten ist.

“Unsere Rolle ist damit erledigt. Unser Mandat ist es, Empfehlungen zu schreiben. Danach liegt es in den Händen von Jugendorganisationen oder Ministerien, mit den Empfehlungen des Ministerrates Druck auf die Regierungen der Mitgliedstaaten auszuüben, um dort neue Gesetzgebung anzustoßen”, erklärt Emilija.

“Sehr offen für meine Positionen”

Doch die Arbeit der Mitglieder des Jugendbeirates geht darüber hinaus. Emilija sitzt nebenbei noch im Ad-hoc-Ausschusses des Europarates für KI. “Ich sitze an einer Kreuzung zwischen den Themen KI und Jugend – und mache mir dann Gedanken: Wie kann man die beiden Themen verbinden? Wo können wir im Jugendbeirat ansetzen?”

Im KI-Ausschuss durfte Emilija schon Präsentationen halten und an wichtigen Dokumenten mitarbeiten. “Da sitze ich regelmäßig in diesem Ausschuss, und diese Leute sind sehr offen für meine Positionen”, erzählt sie. “Ich habe das Gefühl, dass ich gleichberechtigt dort sitze – mit der Ausnahme dass ich in diesem Ausschuss kein Stimmrecht habe.”

Der Jugendbeirat werde von vielen Instanzen in ganz Europa als ein natürlicher Ansprechpartner zum Thema Jugendfragen gesehen, berichtet Emilija. “Wir sprechen zum Beispiel oft in der Parlamentarischen Versammlung vor Abgeordneten aus ganz Europa, die unsere Ideen zurück in die nationalen Parlamente tragen.” Dort treffe man auch mal Politiker*innen, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. “Das ist dann schon ein cooler Moment”, sagt sie schmunzelnd.

Dieser Beitrag ist zuerst bei unserem Kooperationspartner Dein-Europarat.eu erschienen. Dort begleiten Nachwuchsjournalist*innen den deutschen Vorsitz im Europarat im Rahmen eines Projekts der Europäischen Akademie Berlin.

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