„Wir brauchen einen dritten Weg für Europa“

, von  Pietro De Matteis, übersetzt von Laura Lubinski

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„Wir brauchen einen dritten Weg für Europa“
Pietro De Matteis ist Vorsitzender der European Federalist Party, eine im Jahr 2011 gegründete pan-europäische Partei,, zur Verfügung gestellt für treffpunkteuropa.de

Welchen Weg wählt Europa in die Zukunft? Euroskeptiker befürworten die Rückkehr zum Nationalstaat, amtierende Regierungschefs wollen den Status quo bewahren. Pietro De Matteis, Präsident der European Federalist Party, plädiert mit der Vision eines neuen europäischen Gesellschaftsvertrags für einen dritten Weg. Sein Grußwort an die Jungen Europäischen Föderalisten lest ihr hier im Wortlaut.

„Europa ist der schwersten Krise seit 1930 noch nicht entkommen. Mit fünf langen Jahren der Austerität und einem ausdauernden EU-Bashing, das die Fehlleistungen der eigenen Politik kaschieren sollte, haben es unsere nationalen Politiker nun endlich geschafft: Das Vertrauen der Bürger in das europäische Projekt schwindet dahin. Als ob das nicht genug wäre, haben sich unsere Politiker Reformen zu einer demokratischeren Union in den Weg gestellt und damit nationalistischen Bewegungen auf dem ganzen Kontinent zum Vormarsch verholfen. Bravo!

Wenn Nationalisten und Euroskeptiker aus den Ängsten und der Unzufriedenheit krisengeplagter Bürger Kraft schöpfen, wird es für jeden einzelnen von uns Zeit, die Initiative zu ergreifen und die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass auch zukünftige Generationen vom hohen Lebensstandard, der Mobilität, dem Frieden und, was noch wichtiger ist, von der Hoffnung profitieren können. Von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Hoffnung ist im heutigen Europa mit einer Jugendarbeitslosigkeit von 25 % in der EU und 50% in Spanien und Griechenland ein sehr kostbares Gut geworden. Wenn wir auf der Jugend Europas unsere Zukunft aufbauen, legen wir mit einer hoffnungslosen Jugend in diesem Moment den Grundstein für eine hoffnungslose Zukunft. Das dürfen wir nicht akzeptieren.

Die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen infolge des Krisenmanagements werfen kein gutes Licht auf einige politische Maßnahmen, die in der Vergangenheit implementiert (oder vermieden) wurden. Den meisten Europäern ist klar geworden, dass ein Kurswechsel nötig ist. Die Frage ist nur, welcher Weg beschritten werden soll. Auf der einen Seite verhalten sich die amtierenden Politiker so wie immer: Auch die schlauesten unter ihnen behaupten, dass wesentliche Veränderungen jetzt nicht möglich sind und wir weitere 20 bis 30 Jahre abwarten müssen. Aber die Welt wird nicht warten, bis Europa seine Probleme gelöst hat, ebenso wenig wie die jetzige und zukünftige Generation junger Europäer. Auf der anderen Seite nehmen Nationalisten und Euroskeptiker durchaus Probleme der EU in ihrer gegenwärtigen Form wahr, geben jedoch die falschen Antworten darauf: Die EU zu verlassen, nationale Grenzen wiederaufzubauen und aus dem Euro auszutreten wäre, als ob man auf dem Weg zum Abgrund Europas das Gaspedal kräftig durchträte.

Glücklicherweise gibt es einen dritten Weg. Im krassen Widerspruch zu dem gefährlichen „business as usual“-Szenario, für das die Mainstreamparteien stehen, kann Europa auf pragmatische Träumer zählen, die daran glauben, dass die vor uns stehenden Herausforderungen nur mit einem besseren Europa gemeistert werden können. Diese neue Vision kann nur Gestalt annehmen, wenn Europäer des gesamten Kontinents ihre Sorgen teilen und gemeinsame Lösungen diskutieren. Es wird immer deutlicher, dass unsere Länder einzeln längst nicht mehr in der Lage sind, Wachstum und Arbeitsplätze zu garantieren. Gleichzeitig hat das heutige Europa noch nicht das demokratische Mandat oder das Budget, hierbei die Führung zu übernehmen. Das erzeugt eine enorme Lücke zwischen den institutionellen Möglichkeiten und den Erwartungen in den Köpfen der Menschen, was diese entweder von der Politik entfremdet oder extremen Gruppierungen in die Arme treibt. Um diese Lücke zu schließen, müssen wir uns einem „neuen europäischen Sozialvertrag“ annähern, der zuallererst die europäische Dimension und nicht nur nationale Lösungen in den Blick nimmt.

Mit diesem Ansatz werden wir feststellen, dass das, was viele Europäer schlussendlich fordern, nicht - wie Cameron und die UKIP behaupten - eine Blockade der Mobilität innerhalb der EU ist, sondern ein „sozialeres Europa“, das mobile Arbeitnehmer, Studenten oder Arbeitssuchende schützt und zugleich Sozialdumping oder „Wohlfahrtstourismus“ einschränkt. Die Europäer wollen eine EU, in der kleine und mittelständische Unternehmen besser vom einheitlichen Binnenmarkt profitieren und stark genug werden können, um global wettbewerbsfähig und gleichzeitig offen für Jugendbeschäftigung und Schlüsselsektoren wie Energie, Transport und Forschung zu sein. Eine Union, in der es keinen Steuerwettbewerb und keine, wie im #LuxLeaks-Skandal enttarnten, Steueroasen gibt. Ein Europa, das ein erfolgreicher außenpolitischer Akteur ist und das seinen Bürgern näherkommt. Schritte in die richtige Richtung finden schon statt. So haben die Europäer bei den letzten Wahlen indirekt unter den Spitzenkandidaten den ersten Präsidenten der Europäischen Kommission gewählt. Und unter den ersten 10 Prioritäten der Juncker-Kommission findet sich das Vorhaben, die demokratische Dimension der EU zu stärken. All das ist notwendig, reicht aber noch lange nicht aus.

Um die Lücke zwischen den Ansprüchen der Bürger und den Leistungen der EU zu schließen, müssen sie Zugang zum Herzen politischer Entscheidungsfindung erhalten, und zwar in ihrer Rolle als Europäer und nicht nur als deutsche, französische, italienische, polnische usw. Staatsangehörige. Die European Federalist Party (EFP) wurde gegründet, damit EU-Bürger als Europäer über Politik nachdenken können und damit andere politische Parteien dazu bewegt werden, ehrgeizige Visionen für Europa zu entwickeln. Wir glauben, dass nur so ein wahrhaft paneuropäischer politischer und öffentlicher Raum geschaffen werden kann. Ein weiterer kleiner Schritt in diese Richtung wurde vor der letzten Europawahl von der EFP unternommen, als diese es schaffte, die Föderalisten in Österreich, Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien und Portugal zu vereinigen und Europas erste transnationale Liste mit Kandidaten aufzustellen, die dasselbe paneuropäische politische Programm vertraten.

Wenn wir die aktuellen und noch kommenden Herausforderungen angehen wollen, müssen wir europäisch denken. Und wir müssen politische Bewegungen wie die Jungen Europäischen Föderalisten unterstützen, die sich einer ambitionierten Vision für Europa verschrieben haben. Nur ein wahrhaft demokratisches und föderales Europa kann die Energie freisetzen, die latent in der europäischen Gesellschaft vorhanden ist und eine europäische Renaissance herbeiführen. Jetzt ist es an der Zeit zu laufen, wenn wir unsere Verabredung mit der Geschichte nicht verpassen wollen. Unsere Untätigkeit werden uns heutige und zukünftige Generationen von Europäern nicht verzeihen und uns für die Folgen verantwortlich machen. Was werden wir unseren Enkeln sagen, wenn wir nicht einmal versucht haben, etwas zu ändern?“

Ihr Kommentar
  • Am 30. April 2015 um 23:56, von  duodecim stellae Als Antwort „Wir brauchen einen dritten Weg für Europa“

    Die EFP hätte bei der letzten Europawahl echt Chancen gehabt über Deutschland ins EU-Parlament zu ziehen, da es da ja keine 5%-Hürde mehr gibt. Leider haben sie in Deutschland nicht genügend Unterschriften bekommen um überhaupt für die Wahl zugelassen zu werden. Ich habe es damals auch verpennt, aber man hätte damals auch mehr die Werbetrommel rühren müssen.

    Bei aller „Überparteilichkeit“, wir brauchen die EFP, allein schon um einen klaren politischen Antipol gegenüber der UKIP, AfD und Konsorten zu bilden.

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